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Verbindung mit ihrer Großtante, der Herzogin von Malessene, auf. Diese war auch bereit, als ihre Anstandsdame zu ihr zu ziehen und einen großen Teil ihres Mobiliars mit ins Château zu bringen; aber auch sie hatte als Angehörige des Adels, dessen Machtposition durch die Revolution zusammengebrochen war, kaum Geld.

      Trotzdem kamen sie irgendwie durch, und das war nicht einmal so schwer wie erwartet, denn im Dorf St. Denis wohnten eine Menge Leute mit schlechtem Gewissen. Zimmerleute und Maurer kamen ins Château und arbeiteten viele Stunden für nur ein paar Sous. Maler und Steinmetze waren bis zur Dunkelheit am Werk, und auch ihre Rechnungen waren niedrig. Nach und nach wurden die Löcher im Dach ausgebessert, die Fenster der Räume, die benutzt wurden, verglast, die Türen wieder eingesetzt.

      Jedenfalls ließ es sich wieder im Château leben, auch wenn es nur ein ärmlicher Schatten seiner früheren Pracht war. Und als die Möbel der Herzogin aus dem Süden eintrafen, zog zumindest wieder ein Teil der alten Eleganz ein.

      Es hatte jedoch keinen Zweck, allzu viel auszupacken, da zum Hauspersonal nur noch der alte Jacques und seine Frau gehörten, die schon dem Grafen gedient hatten, außerdem Antoinette und zwei oder drei Mädchen aus dem Dorf.

      Jacques war bereits ein alter Mann. Als die Revolution ausbrach, hatte er sich gerade zur Ruhe setzen wollen. Dies war ihm nun nicht mehr möglich, da er kein angemessenes Ruhegeld erhielt. Sie alle waren froh, daß sie ihn bei sich hatten!

      Er wußte, wie man einen Haushalt führte, und obgleich er unaufhörlich vor sich hin brummelte, den alten Zeiten nachtrauerte und den Notbehelf und die provisorischen Einrichtungen, derer man sich ständig bedienen mußte, verurteilte, war es doch seine Erfahrung, die dafür sorgte, daß das Hauspersonal wenigstens zum Teil die Formen gegenüber der Herrschaft wahrte.

      Manchmal hatte Rêve das Gefühl, daß alles eine einzige Farce war, daß das Leben, das sie zwischen den Ruinen der Vergangenheit aufzubauen suchte, leer und sinnlos war.

      In solchen Momenten konnte sie nur noch der nie endende, sonnige Humor ihrer Großtante davor bewahren, sich der Verzweiflung hinzugeben.

      Während aus dem Chaos Schritt für Schritt ein geordnetes Leben wurde, traten neue Schwierigkeiten auf, die ihr Sorgen und Angst bereiteten.

      Ja, Angst! Und jetzt, da Rêve in ihrem Bett lag und nachdachte, gestand sie sich selbst ein, daß sie schreckliche Angst vor der Zukunft hatte.

      Von ihren Gedanken aufgeschreckt, sprang sie aus dem Bett, zog die Vorhänge zurück und blickte hinab auf das klare Wasser des Sees, der direkt unter ihrem Fenster lag.

      Erst jetzt kam ihr richtig zu Bewußtsein, was in der Vornacht geschehen war, und sie hob die Hände zu den Wangen, als wolle sie die dunkle Röte verbergen, die sie überflutete.

      Wie wundervoll, wie unerwartet schön war es gewesen! Sie hatte nicht gewußt, daß man überhaupt so glücklich sein, daß man solch ein Entzücken verspüren konnte.

      Das also war Liebe! Liebe, die, wie die Herzogin sagte, wie ein Adler aufstieg, bis man sich völlig in dem strahlenden Blau einer leuchtenden Freude verlor, einer Freude, die einen vor Schüchternheit beben ließ und doch als glühende Flamme emporschoß, um eben diese Schüchternheit zu verzehren.

      Rêve holte tief Luft. Sie war glücklicher, als sie es jemals in ihrem Leben gewesen war! Sie war verliebt! Und trotzdem hing ein Schatten, eine dunkle Wolke im Hintergrund; sie hatten gestern Abend keine Zeit gehabt, darüber zu sprechen.

      Kein einziger Moment war für Worte geblieben, als sie sich mit ihrem ganzen Sein einander hingaben, und sie hatte gewußt, daß sie nichts weiter hören wollte als das Schlagen seines Herzens im Gleichklang mit dem ihren, seine drängenden Lippen auf den ihren und der zärtliche Druck seiner Hände - das war alles, was sie spüren wollte!

      Wie hätte sie sich daran erinnern sollen, daß es noch etwas anderes gab als die wundervolle Erfahrung ihrer eigenen Antwort, als das atemberaubende Glück, die Flamme der Leidenschaft in seinen Augen zu sehen und zu wissen, daß er sie begehrte?

      Wie hätten sie reden sollen, wenn nicht in den flüsternden Worten der Liebe, die so sanft und melodisch klangen wie die Abendbrise in den Kiefern.

      »Je t’adore!«

      »So wunderschön - so vollkommen!«'

      »Noch einmal!«

      »O mein Gott - noch einmal!«

      Sie hatten nicht sprechen wollen, hatten keine Zeit zum Reden gehabt. Doch jetzt, im hellen Licht des Morgens, dachte sie daran, wieviel sie einander zu berichten hatten.

      Jetzt bedauerte sie es, daß einer so wenig vom anderen wußte. Sie wußten allerdings das Wesentliche - daß sie einander liebten, daß sie zueinander gehörten. Dies war nicht Liebe auf den ersten Blick, sondern eher die Wiedervereinigung zweier Menschen, die in einem früheren Leben zusammen gewesen sein mußten und sich jetzt in diesem Leben wiedergefunden hatten.

      Vom ersten Moment an, als Rêve Armand sah, war er ihr vertraut erschienen. Sie wußte nicht, ob es an seinem hübschen Gesicht lag, an seinen dunklen Augen, dem festen, eckigen Kinn oder an seiner Art, die Mundwinkel zu verziehen, wenn er sich amüsierte.

      Jedenfalls konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, daß es einmal eine Zeit gegeben hatte, in der sie ihn nicht gekannt, nicht geliebt hatte. Und sie wußte, ohne daß er es ihr hätte sagen müssen, daß er genauso empfand.

      Sie hatten einander gefunden, und ihre Körper hatten das, was sie aus der Erinnerung verloren hatten, wieder entdeckt.

      »Dein Haar!«

      Armand hatte es sanft berührt, als wäre es irgendein zerbrechlicher Stoff, den seine Finger leicht zerreißen könnten. Sie hatte sofort begriffen, was er wollte, und mit vor Erregung zitternden Händen die Nadeln aus den dunklen, glänzenden Locken gezogen.

      Wieder glühte ihr Gesicht, als das Haar ihr weich über die nackten Schultern fiel wie in der Nacht zuvor. Sie hatte gewußt, woran er dachte, als er einen Schritt zurückgetreten und sie angesehen hatte.

      Dann war er ehrfurchtsvoll, ja fast andächtig, auf die Knie gesunken, hatte eine einzige schmale Locke in die Hand genommen und seine Lippen fest darauf gepreßt.

      Einen Augenblick lang hatte sie ein Gefühl der Angst erfaßt, als hätte er sie zu einem geheiligten Ort zurückgezogen, an den sie ihm nicht folgen könnte, doch dann war er wieder aufgestanden, und sie hatte erneut in seinen Armen gelegen.

      Sie hatte gefühlt, wie seine Kraft sich ihrer immer mehr bemächtigte. Sie hatte gewußt, daß sie ein wildes Feuer in ihm entfacht hatte, und daß nur seine eiserne Selbstbeherrschung ihn davon abhielt, sie mit Gewalt in die dunklen Schatten des Tempels zu tragen.

      »Meine Kleine, meine Geliebte!«

      Seine Lippen hatten erneut ihren Mund gesucht. Sein Verlangen machte seine Liebkosung fast rauh.

      Rêve spürte die warme Sonne auf ihren Lippen und fühlte noch einmal jenen schmerzhaften, hinreißenden Kuß.

      Allein bei diesem Gedanken bebte ihr Körper schon, und während das Verlangen wie eine Flamme in ihr brannte, fühlten sich ihre Lider schwer und ihr Mund wund an. Bald, sehr bald, würde sie ihn wiedersehen!

      Ihr Herz sprang vor Freude. Sie würde ihn wiedersehen! Auf einmal schien sich jedoch eine dunkle Wolke vor die Sonne zu schieben, ihr fiel ein, daß ihr Stiefbruder vielleicht schon an diesem Tag ins Château kommen würde.

      So lange hatte sie sich auf ihn gefreut, hatte sie Stunde um Stunde seine Ankunft erwartet. Aber jetzt fürchtete sie sich zum ersten Mal davor und wünschte, sie hätte ihre Tante daran gehindert, ihm zu schreiben.

      Armand, Marquis d’Augeron, war der Sohn von Rêves Mutter aus erster Ehe. Sie war sehr unglücklich in dieser Ehe, die beschlossen wurde, als sie noch zur Schule ging, eine Ehe mit einem Mann, der ihr Vater hätte sein können. Und als schließlich ihr Mann starb, kehrte Rêves Mutter in ihr Elternhaus zurück.

      Doch die Verwandten ihres Mannes sorgten dafür, daß sie ihr Kind nicht

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