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Die Ruhe hier fiel mir sofort auf. Wie machen Sie das nur? In einem Haus, in dem so viele Kinder

      leben?« Inge sah sich in dem elegant eingerichteten Biedermeierzimmer um. Es wirkte vornehm und gepflegt. Über dem offenen Kamin hing das Gemälde einer alten Dame. Es musste wohl Nicks Urgroßmutter, die Gründerin von Sophienlust, sein.

      »Das ist durchaus nicht immer so.« Denise schüttelte lächelnd den Kopf. »Im Moment sind die größeren Kinder in der Schule, unsere Kleinen machen mit Schwester Regine einen Spaziergang. Deshalb diese Ruhe. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen gern das Haus.«

      »Es würde mich sehr interessieren.«

      »Dann kommen Sie bitte.« Denise lächelte charmant.

      Die beiden Frauen traten in die Halle, gingen von dort weiter. Uwe trippelte artig an der Hand seiner Mutti.

      »Hier kommen wir zum Musikzimmer, zum Zeichensaal und zu dem großen Aufenthaltsraum. Aber vielleicht sehen wir uns zuerst den Wintergarten an. An den Vögeln, die dort untergebracht sind, wird auch Uwe Spaß haben.«

      Inge Hellbach blieb überrascht an der Tür zum Wintergarten stehen. »Das ist ja wunderbar!«, rief sie. Voll Bewunderung sah sie auf die prächtig gedeihenden exotischen Pflanzen. Viele von ihnen blühten in verschwenderischer Fülle. Durch ein riesiges Fenster, das vom Boden bis zur Decke reichte, sah man in den gepflegten Park von Sophienlust. Weite grüne Rasenflächen und mächtige alte Bäume gab es hier. Auf dem silbrig glänzenden Weiher schwammen einige muntere Enten. Es war ein zauberhaftes Bild. Ein Bild, das jeden Betrachter in seinen Bann zog.

      Klein Uwe entdeckte jedoch etwas ganz anderes. Er riss sich von der Hand seiner Mutti los und lief auf seinen kurzen dicken Beinchen zu dem bunten Papagei, der auf einer Stange saß und gelassen blinzelte.

      »Piep-piep!«, quietschte Uwe voll Freude und klatschte in die Händchen.

      »Das ist Habakuk, unser Papagei«, stellte Denise vor. Sie ging Uwe nach und nahm ihn auf den Arm, damit er den bunten Vogel besser sehen konnte.

      Uwe ließ sich das gern gefallen. »Piep-piep, lieb!«, krähte er und streckte den Arm aus, um die schillernden Federn von Habakuk zu streicheln.

      »Keine Angst, unser Habakuk ist an Zärtlichkeiten gewöhnt«, beruhigte Denise die besorgte junge Mutter. »Habakuk ist der Freund unserer Kinder. Er würde keinem etwas tun.«

      Tatsächlich hielt der große Vogel ganz still und ließ sich streicheln.

      Uwe quietschte vor Vergnügen. Nach Kleinkinderart fuhr er grob zwischen die leuchtenden Federn und patschte auf Habakuks Rücken. Doch auch das ließ sich das gutmütige Tier ruhig gefallen.

      »Habakuk kann sogar sprechen«, erklärte Denise ihrem künftigen Pflegling. »Wenn du ihm etwas vorsagst, spricht er es nach.«

      Uwe begriff sofort. »Mami!«, kreischte er und beugte sich dabei weit vor.

      Habakuk legte den Kopf schief und äugte den Kleinen neugierig an.

      »Sag Mami!«, forderte Uwe noch lauter.

      Der Papagei schüttelte sich, dass die glänzenden Federn nur so raschelten. Dann öffnete er den Schnabel und krächzte schauerlich.

      Erschrocken fuhr Uwe zurück. Enttäuschung spiegelte sich auf seinem hübschen Gesichtchen.

      »Versuch’s noch einmal«, ermunterte Denise den kleinen Kerl. Dabei legte sie zärtlich den Arm um das Kind.

      »Ich glaube, er würde es gar nicht merken, wenn ich jetzt gehe«, tuschelte Inge Hellbach. »Es wäre vielleicht für alle besser als ein großer Abschied.«

      »Der Meinung bin ich auch. Alle Formalitäten wird Frau Rennert, unsere Heimleiterin, erledigen. Sie finden sie drüben in dem kleinen Büro.«

      Uwe war von Habakuk so begeistert, dass er die leise geführte Unterhaltung nicht hörte. »Mami«, sagte er laut und deutlich.

      »Ma-mi!«, wiederholte Habakuk jetzt ungeduldig. Er schaute ein bisschen gekränkt und ungnädig drein. Offenbar schien es ihn zu ärgern, dass man seine Fähigkeiten bezweifelte.

      Uwe lachte so fröhlich, wie es nur ein Kind vermochte. Seine helle Stimme erfüllte den Wintergarten und drang hinaus in die Halle.

      Inge Hellbach, die sie dort hörte, presste hart die Lippen aufeinander. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass heiße Tränen über ihre Wangen liefen.

      *

      Galant war Alexander von Schoenecker beim Ausladen der Einkaufstaschen behilflich. »Konntest du alles erledigen?«, fragte er seine Frau schmunzelnd. Natürlich wusste er, dass Denise, wie üblich, für alle etwas mitgebracht hatte. Vor allen Dingen aber ein hübsches Kleidungsstück oder ein Spielzeug für das Enkelkind Peterle. Seit Andrea, seine Tochter aus erster Ehe, mit dem jungen Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn verheiratet war, hatte sich die Freundschaft zwischen Denise und ihrer großen Stieftochter noch vertieft. Kaum ein Tag verging, da Denise nicht zu einem kurzen Besuch ins Tierheim hinüberfuhr. Niemand war über dieses gute Verhältnis froher als Alexander. Denise verstand es, alles so geschickt zu arrangieren, dass es zwischen den Stiefgeschwistern niemals Schwierigkeiten gab. Sie verstanden sich ausgezeichnet.

      »Weißt du, wen ich in der Stadt getroffen habe?«, fragte Denise, ohne auf die Anspielung ihres Mannes einzugehen.

      »Keine Ahnung.« Alexander sah seine hübsche Frau bewundernd an. »Du warst beim Friseur. Gut siehst du aus, Denise. Ich frage mich, wie du es anstellst, immer jünger und immer hübscher zu werden.«

      Denise überhörte das Kompliment. Sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. »Inge Hellbach«, sagte sie.

      Alexander stellte die Taschen in der geräumigen Halle von Gut Schoeneich ab und öffnete die Tür zum kleinen Salon. Die Köchin Martha hatte dort bereits den Kaffeetisch gedeckt.

      »Das ist doch nicht möglich. Hat sie nicht gesagt, dass ihr Mann mit seinem Orchester auf eine Tournee nach England geht?«

      »Ja. Deshalb war ich auch so verblüfft. Die beiden müssten längst unterwegs sein. Übrigens ist mir Frau Hellbach ausgewichen. Sie muss mich erkannt haben, aber sie wollte nicht gesehen werden.«

      »Aber wenn sie hiergeblieben ist, warum nimmt sie dann ihr Kind nicht zu sich?« Alexander dachte an den drolligen kleinen Uwe, der inzwischen zum Liebling aller geworden war. Nicht nur die großen Mädchen, auch die Erwachsenen verwöhnten und verhätschelten das hübsche Kind. Trotzdem blieb Uwe der gutmütige kleine Lausbub, der so fröhlich lachen konnte, dass ihn einfach alle gernhaben mussten.

      »Das frage ich mich auch. Sie hat ihr Kind gern, davon bin ich überzeugt. Es muss einen schwerwiegenden Grund dafür geben, dass sie Uwe in Sophienlust untergebracht hat. Als ich sie sah, Alexander, bin ich richtig erschrocken, so blass und verhärmt wirkte sie. Es scheint, als wäre sie in der Zwischenzeit um viele Jahre älter geworden.«

      »In knapp zwei Wochen?«

      »Das ist es ja eben. Sie muss ernste Sorgen haben.«

      Alexander trat zu seiner schlanken Frau und legte zärtlich die Arme um sie. »Meine geliebte, mitleidige Denise. Du musst nicht immer die Sorgen anderer zu deinen eigenen machen. Vielleicht hast du dich getäuscht. Vielleicht war es gar nicht Inge Hellbach, die du gesehen hast.«

      Denise schmiegte sich in die starken Arme ihres Mannes. »Ich täusche mich normalerweise kaum. Aber vielleicht hast du recht. Wir könnten an der ganzen Sache nichts ändern.«

      »Es könnte höchstens sein, dass uns der kleine Uwe bleibt.«

      »Nein, das glaube ich nicht. Inge Hellbach ist nicht die Frau, die ihr Kind im Stich lässt. Das habe ich sofort gefühlt.«

      »Wenn du es sagst, Denise, wird es stimmen.« Voll Zärtlichkeit streichelte Alexander das glänzende dunkle Haar seiner Frau. Verliebt betrachtete er dabei ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht. Er kannte und liebte jede Linie darin, und doch war es, als wollte er sie sich immer wieder neu einprägen.

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