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gebunden ist, der sie dienen soll, ist sie eng mit den Lebensprozessen der Gruppe verknüpft. Ihre Beschränkung auf einige wenige Anlässe und Gegenstände limitiert zugleich ihre Ausübung. Aus dem nämlichen Grunde nimmt sie mit behelfsmäßigem oder antiquiertem Arbeitsgerät vorlieb, vorausgesetzt, es gestattet die Wahrnehmung der ihr zugewiesenen Funktion, d. h. Bilder zu liefern, die das Wiedererkennen ermöglichen. Und da sie schließlich – aus abermals demselben Grund – die Gebrauchsbestimmung, aus der sie hervorgeht, nicht abzustreifen vermag, kann sie ihre Zwecke nicht selbst setzen und die spezifischen Intentionen einer autonomen Ästhetik verwirklichen.

      Zwar stimmt, daß die allein an der Familienfunktion orientierte photographische Praxis sich ihre Grenzen selber zieht; aber es lassen sich nicht alle Varianten in Intensität und Qualität der Praxis einzig der Macht des »Bedürfnisses« nach Photographien zuschreiben (das an die Struktur und den Integrationsgrad des Familienmilieus gebunden bleibt). Soweit man beispielsweise das Bedürfnis nach Photographien befriedigen kann, ohne die Photos selbst zu machen, soweit die eigenständige photographische Praxis gar als Luxus erscheinen mag, da letztlich die selbstgefertigten Bilder in der Mehrzahl der Fälle zu den Atelieraufnahmen hinzukommen statt diese zu ersetzen, so weit ist es nur natürlich, daß die Zahl der Besitzer von Photoapparaten mit steigendem Einkommen zunimmt. Es versteht sich ebenfalls von selbst, daß innerhalb des begrenzten Ensembles von Gegenständen und sozial gebilligten Anlässen noch Raum bleibt für Nuancen in der Intensität der Praxis, die ein höheres Einkommen zuläßt.

      Viele Saisonkonformisten besitzen eine Kamera besserer Qualität und eine ganze Anzahl von Zubehörartikeln, die sie nach wie vor in den Dienst der traditionellen Funktionen der Photographie stellen. Keinesfalls darf man in dem Umstand, daß die Quote der Besitzer von hochkomplexen Photoapparaten proportional mit dem Einkommen wächst, ein Indiz für steigende Ansprüche an die Qualität der Praxis sehen: Die Intensivierung der Praxis, begünstigt durch das höhere Einkommen, das wiederum höhere Ausgaben für Filme (vor allem teure Farbfilme) erlaubt und die Anlässe zum Photographieren vervielfacht, überwindet allein noch nicht die übliche zugunsten einer qualitativ ausgefeilten Praxis. Für die meisten Käufer einer Kleinbildkamera sind deren technische Finessen als explizites Kaufmotiv nicht ausschlaggebend.

      Zahlreiche Besitzer von Kleinbildkameras wissen über deren Möglichkeiten keineswegs genau Bescheid. Auch haben die, die nach eigenen Aussagen mit dem Gedanken spielen, eine hochwertige Kamera zu erwerben, keine bessere Fachkenntnis von deren Eigenschaften als diejenigen, die einem solchen Kauf gleichgültig oder ablehnend gegenüberstehen. Die Untersuchung einer Stichprobe von Amateurphotographen hat ergeben, daß die Besitzer hochentwickelter Apparate (mit eingebautem Belichtungs- und Entfernungsmesser oder Spiegelreflexsucher) insgesamt weniger technische Kenntnisse haben als die Besitzer von minder komplizierten Apparaten. Andererseits lassen sich die Besitzer von anspruchsvollen Kameras deutlich in zwei Kategorien unterteilen, nämlich in solche, die die Möglichkeiten ihrer Kamera gut kennen und technisch ziemlich versiert sind, und in solche, die zugeben, von der Technik ihres Apparats überfordert zu sein, und die nur über wenig professionelles Wissen verfügen. Das heißt, der Erwerb einer kostspieligen Ausrüstung scheint eher von Konsumgewohnheiten bestimmt zu sein, die qualitativ hochwertige Produkte zu bevorzugen vorschreiben, als von einer qualitativen Änderung der photographischen Ambitionen. Kurz, die Perfektionierung der zur Verfügung stehenden Mittel dringt von außen in die Photographie ein: Nichts weniger als das Resultat neuer Ansprüche, die sich unmittelbar aus der photographischen Praxis ergeben, ist diese vielmehr Ausdruck der Bemühung, einer diffusen Gruppennorm zu entsprechen.29 Es verhält sich daher keineswegs so, daß die ästhetische oder gar technische Qualität des produzierten Bildes und die Modalität der Praxis sich aus den Eigenschaften des Apparats, aus seinen Möglichkeiten oder Grenzen ableiten ließen, daß die routinehafte und stereotype Produktion der meisten Photographierenden aus den Beschränkungen erklärt werden könnte, die ihnen durch ein einfaches Gerät oder ihre technische Inkompetenz auferlegt werden. Vielmehr ist es die photographische Intention selbst, die – den traditionellen Funktionen nach wie vor untergeordnet – erst den Gedanken aufkommen läßt, sämtliche Möglichkeiten eines Apparats voll zu nutzen (welche übrigens bei dessen Auswahl kaum eine Rolle gespielt haben), und die ihre eigenen Grenzen im Felde der technischen Möglichkeiten bestimmt.

      Die verstärkte Beschäftigung mit der Photographie folgt also in den meisten Fällen aus äußeren Bedingungen, etwa der Verfugung über ein bestimmtes Einkommen und dem damit verbundenen Lebensstil, und nicht aus einer eigenständigen Modifikation der Praxis. Allerdings, obschon die familiale Funktion der Photographie mehr oder weniger vollständig und je nach Einkommen auf unterschiedlichem Niveau wahrgenommen werden kann, geschieht dies allemal nur zu bestimmten Gelegenheiten und in Gebrauchsformen, die im allgemeinen wenig intensiv sind und gegenüber ästhetischen Intentionen gleichgültig bleiben. Da die soziale Norm sowohl das festlegt, was photographiert werden muß, als auch das, was photographiert werden darf, könnte die Skala des Photographierbaren nicht unendlich erweitert werden, und mit dem Verschwinden der photographischen Anlässe müßte auch die Praxis selbst verschwinden. Nun läßt sich tatsächlich das Photographierbare nicht unbegrenzt photographieren, und außerhalb des Photographierbaren gibt es sozusagen »nichts zu photographieren«. Beispielsweise scheinen die Bauern von Lesquire die Motive in ihrer Alltagsumgebung, von den Kindern einmal abgesehen – und auch das erst seit einigen Jahren –, nicht für wert zu erachten, sie mit der Kamera aufzunehmen: Was man täglich vor Augen hat, photographiert man nicht.

      »Also wenn du z.B. eine Reise machst, dann lohnt es sich auch, Photos zu machen. Aber unsereiner, was sollen wir schon photographieren? Die Hauptstraße? Oder spielen: photographierst du mich, photographier ich dich? Ach was, das bringt nichts ein!« »Was meinst du, wer hier Lust hat, zu photographieren? Man hat sich schon zu oft gesehen. Immer dieselben Gesichter, den ganzen Tag! Man kennt sich mittlerweile bis zum Überdruß. 150 Leute, die auf der Stelle treten, ohne eine Möglichkeit der Verbindung nach außen. [...] Es sind hauptsächlich die Fremden, die Ansichtskarten in den Kasten werfen. Die Leute am Ort verschicken bestenfalls Karten mit dem Bild eines Zechers und der Unterschrift ›Grüße aus Lesquire‹ oder auch ›Lesquire, das Dorf der guten Weine‹. Aber Ansichten von unserem Ort? Ausgeschlossen!«

      Die extreme Enge und Kompaktheit der Lebenswelt, der Umstand, daß das Erwachsenendasein sich in demselben Rahmen abspielt wie die Kindheit, schließen Fremdheits- und Befremdlichkeitsgefühle aus, jene leichte Verunsicherung, die dazu führt, die Dinge der Umwelt neu wahrzunehmen. Der Tourist und der Fremde rufen Erstaunen hervor, wenn sie die alltäglichen Gegenstände oder Menschen photographieren, die ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen. »Was, Sie photographieren diese Tür! O Gott, am Ende glauben Sie vielleicht, daß wir sie nicht beachten. Im Gegenteil! Sie ist schön!« Die vertraute Umgebung ist das, was man immer gesehen, aber nie wirklich wahrgenommen hat. Allenfalls ist man bereit, sein Haus zu photographieren oder photographieren zu lassen, nachdem man es renoviert oder geschmückt (an einem Feiertag beispielsweise), d. h. festlich hergerichtet hat, genauso wie man seinen Sonntagsstaat anlegt, wenn man sich im Atelier photographieren läßt.

      »Wenn das Haus schön wäre, die Zimmer netter gerichtet, die Felder in voller Frucht wären, mit schönen Bäumen und prächtigem Vieh. [...] Aber das ist jetzt nicht die Zeit: Die Felder sind kahl und die Kühe abgemagert.«

      Man trifft zwar so gut wie niemals einen Photographen, der nicht der Familienphotographie den ihr gebührenden Platz einräumte; doch gibt es viele unter ihnen, die der Photographie noch andere Sinnvarianten zuschreiben, freilich bloße Abwandlungen der archetypischen Gebrauchsweise. Unstreitig ist die Intensivierung der photographischen Praxis eng verknüpft mit Ferienzeit und Tourismus. Doch daraus darf weder gefolgert werden, daß die Urlaubs- oder Reisebilder nicht mit der familialen Funktion der Photographie erklärt werden könnten, noch daß bereits die Vervielfachung der Anlässe des Photographierens eine Praxis begründete, die mit neuen Bedeutungen ausgestattet wäre.30 Daß von denen, die in Urlaub fahren, mehr photographiert wird als von denen, die zu Hause geblieben sind, liegt sicherlich zum Teil daran, daß die Praxis der Photographie ebenso wie die Möglichkeit, zu verreisen, von der Höhe des Einkommens abhängt, aber auch und vor allem daran, daß der Urlaub zu den »hohen Zeiten« des Familienlebens zählt. Wenn allerdings Unterschiede in den objektiven Anlässen für Photoaufnahmen, die

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