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er vieles aus dem Privatleben seiner Lieblinge. Trotzdem war er nie zudringlich. Denn sein Eifer hatte die wissenschaftliche unpersönliche Kühle. Auch war er verschwiegen wie ein Gelehrter, der die Ergebnisse seiner Forschungen aufbewahrt bis zu dem Tag, an dem er mit ihnen seine Theorie aufzubauen gedenkt.

      Da ich Arnolds Interesse für das Theater kannte, wunderte ich mich nicht darüber, daß ich ihn schon an einigen Abenden nicht im Kaffeehaus gesehen hatte. Er muß noch vor dem Theater da gewesen sein, dachte ich. Wahrscheinlich treten in dieser Woche Schauspieler auf, die ihn interessieren. Wahrscheinlich ist er eingeladen worden.

      Als er aber länger als eine Woche ausblieb, wurden selbst die Spieler unruhig. Arnolds tragische Schweigsamkeit fehlte ihnen. Für wen spielten sie noch? Jedesmal, wenn ich an einem Tisch vorbeiging, hielt mich einer am Rock fest und fragte: »Wo bleibt Zipper so lange?« Auch ich fragte. Die Kellner hatten ihn nicht gesehen, die Kassierin auch nicht. Ja, am Büfett lag Post für ihn, die er nicht abgeholt hatte.

      Ich war schon lange nicht bei den Zippers gewesen. Es war Winter, ich wußte, daß sie nicht heizten.

      Oh; ich kannte diese Winter im Hause Zipper! Da saß der Alte im Winterrock, die Frau Zipper hatte nach der Art der Bäuerinnen ihrer Heimat einen Schal kreuz und quer um den Körper geschlungen, die Fensterscheiben waren trüb, kleine Wässerchen rannen an ihnen herunter, sie waren nicht wie aus Glas, sondern wie aus trübem Wasser, aus den Mündern der Menschen kam ein grauer Hauch, ihre Hände waren rot, ihre Finger geschwollen, eine tote Fliege klebte hier und dort in einer Ecke, das Licht war aus unbekannten Gründen grünlichgrau, die Wohnung erinnerte an eine Art Meeresgrund, an eine Art Bassin, an ein Aquarium. Der Abend fiel früher in diese Wohnung, als er von Rechts und Natur wegen sollte. Waren die Lampen angezündet, so brannten sie in einem grauen Nebel, man sah ihren Kern nicht, sie erinnerten an Mitternachtssonnen. Der alte Zipper schneuzte sich fortwährend. Er hatte einen Rachenkatarrh seit seiner ersten Jugendzeit. Ich erinnere mich, daß er Jahr für Jahr davon gesprochen hatte, nach Kudowa zu fahren. Da aber auch sein Magen nicht ordentlich arbeitete, schwankte der alte Zipper, ob er nicht doch lieber nach Karlsbad fahren sollte. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er nirgends hinfuhr, weil er kein Geld besaß. Er bildete sich ein, er bliebe zu Hause, weil er zwei Übel habe, von denen jedes einen anderen Kurort verlange. Er krächzte, räusperte sich, trank Sliwowitz und hustete.

      Als ich diesmal die Wohnung der Zippers betrat, sah ich, daß der Alte den Schal seiner Frau trug. Er war ein bißchen krank, er konnte seinen bescheidenen Geschäften nicht mehr nachgehen. Ein Glück, daß Wandl heil aus dem Krieg zurückgekommen war und die Miete für den »Salon« bezahlte. Sie war jetzt Zippers einzige Einnahme. Er traktierte mich mit Weichselschnaps und Tee. Er wurde warm, er sprach viel, er war sogar optimistisch. Hörte man ihm zu, so konnte man glauben, er ginge einem glücklichen, sorglosen Greisenalter entgegen. Arnold war gut versorgt. Während eine Million junger Männer brotlos umherirrte, saß er an einer Stelle, auf der man wachsen und gedeihen konnte, eine Pflanze in einem gut placierten Blumentopf. Nichts konnte mehr in seinen Weg kommen. Er war nicht einmal nur Vertragsbeamter. Er war ausnahmsweise schon mit Dekret angestellt. Er war auch schon seit einigen Tagen nicht zu Hause gewesen.

      Um ihn nicht unruhig zu machen, log ich, daß ich Arnold erst vorgestern im Kaffeehaus gesehen hätte. Warum vorgestern? – Es schien mir, daß ich weniger log, wenn ich eine vorgetäuschte Unterredung vor einer längeren Zeit stattfinden ließ.

      Ich wußte aber schon, daß Arnold etwas zugestoßen war. Oh, kein Unglück, keine Katastrophe! Denn in dem Leben der Zippers hatten die Schicksale keine ursprüngliche und plötzliche Kraft. Sie hatten die langsame, langweilige Tätigkeit der Bohrwürmer. An dem grauen Himmel, der sich über den Zippers wölbte, entluden sich keine Gewitter. Sie zogen sich nur an ihm zusammen. So eine zaghafte Wolke fühlte ich jetzt herannahen. Ich sprach aber nicht von ihr. Ich tat so, als wäre es heller Sonnenschein.

      An diesem Abend wollte ich Arnold im Kaffeehaus erwarten.

      Es schien mir, daß es nicht mehr so aussah wie immer. Arnold Zipper fehlte. Alle, die sich so oft im stillen gefragt hatten: Was macht eigentlich dieser Zipper hier?, fragten heute laut: »Warum ist Zipper nicht da?« Er fehlte den Spielern wie den Sprechern. Einige standen früher von den Spieltischen auf, weil die ermunternde düstere Zustimmung Arnolds ihnen mangelte. Einige Beredte schwiegen heute, weil gerade jener Zuhörer ausblieb, den sie immer übersehen hatten, wenn er da war. In der Symphonie der Gesichter, der Geräusche und der Stimmungen, die den Wert des Kaffeehauses ausmachten, fehlte das Gesicht Arnolds, seine Schweigsamkeit und sein tragischer Schatten. Die Polizeistunde nahte heran, und Arnold kam nicht. Am nächsten Tag ging ich ins Amt. Einer von seinen Kollegen sagte mir, Herr Zipper hätte sich krank gemeldet und wäre schon einige Tage ausgeblieben. Ich glaube, es war Herr Kranich, der es mir sagte. Ich glaube auch, daß er es mit jener hämischen Kälte sagte, die vielen unglücklichen Staatsbeamten nach fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit eigen ist.

      Auch in seiner Wohnung war Zipper nicht Daß er nicht krank war, wußte ich sofort. Sollte er plötzlich nach Brasilien gefahren sein? So plötzliche Entschlüsse entsprachen nicht seiner Langsamkeit. Ein Zipper beging keine Gewaltstreiche. Wo sollte ich ihn suchen?

      Ich gab mir selbst eine Frist von acht Tagen. Ich fand mich vorläufig damit ab, daß Arnold nicht da war. Ich löschte ihn aus der Liste der Lebenden aus und tat so, als wäre er nie dagewesen. Ich beschloß, erst nach acht Tagen wieder an ihn zu denken.

      Aber die acht Tage waren noch nicht verstrichen, als ich Zipper traf. Es war um die Mittagszeit. Ich kam ins Kaffeehaus, um nachzusehen, ob ein Brief für mich gekommen wäre. Da saß Zipper, in einem Winkel, fast verborgen, und schrieb offenbar an einem Brief. Er sah mich noch nicht. Ich beobachtete, wie er den Mund halb geöffnet hatte, wie ein Schlafender oder wie ein Kind. Sein Kopf lag tief über dem Papier, auf dem er schrieb. Er schrieb nicht fließend. Er schien nachzudenken oder Pausen zu machen, in denen er einem Zug fremder Gedanken nachsah, wie man Vögeln nachsieht, die am Horizont dahinschweben. Obwohl er seine Augen auf mich gerichtet hatte, sah er mich nicht.

      »Guten Tag, Arnold!«

      Er legte den Ellenbogen auf das Papier, erinnerte sich, daß er sich durch diese Bewegung verraten hatte, zog den Arm zurück, tat, als ob er etwas Gleichgültiges geschrieben hätte, und rückte zurück, um mir Platz zu machen. Ich setzte mich aber nicht.

      »Wo steckst du?«

      »Ich arbeite so viel.«

      »Du bist aber doch krank gemeldet im Amt?« »Ach, so, du warst dort, freilich – –! Ich arbeite etwas anderes.«

      »Warum kommst du nicht mehr am Abend hierher?«

      »Weil ich müde bin. Es langweilt mich auch schon. Ich mag nicht.«

      »Wollen wir zusammen essen?«

      »Wenn du mich einlädst.«

      »Willst du nicht den Brief zu Ende schreiben?«

      »Das hat Zeit!«

      »Ist er nicht sehr wichtig?«

      »Doch, er ist sehr wichtig!«

      »Dann schreib ihn lieber!«

      »Ich kann aber nicht mehr.«

      »Warum gehst du nicht ins Amt?«

      »Ich halte es nicht mehr aus!«

      Arnold packte den Brief ein, er faltete ihn viermal zusammen und legte ihn in die Brieftasche. Auf der Straße sagte ich:

      »Wenn dich jemand sieht?«

      »Das wäre mir recht.«

      »Willst du denn aus dem Amt weg?«

      »Eigentlich nicht. Aber ich wünsche, daß man mich zwingt, es zu verlassen. Es wäre mir lieb, wenn jetzt der Hofrat Kronauer zum Beispiel vorbeiginge. Ich habe nicht die Kraft wegzugehen. Ich erwarte ein Malheur. Es steht in meiner Macht, es heraufzubeschwören, aber ich habe nicht die Kraft dazu.«

      In diesem Moment sah ich von ferne den Hofrat Kronauer vorbeigehn.

      Ich

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