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an ein Grübchen geschwunden.

      In der Ecke neben dem Fenster, in dem Zimmer, in dem wir so oft gesessen hatten, als in der Welt noch Frieden und bei den Zippers noch Krieg gewesen war, in der Ecke stand ein roter samtener Sessel aus dem Salon.

      »Hier«, sagte Zipper, »ist Cäsar immer gesessen, die letzten Wochen.« Frau Zipper ging wieder in die Küche.

      »Wann wird dieser Krieg zu Ende sein?« fragte Zipper.

      »Noch nicht, glaube ich«, sagte ich. »Wir warten auf den Tod.«

      Ich fuhr wieder in den Krieg. Und der Krieg war nicht zu Ende. Die alten Zippers dienten und die jungen. Millionen Zippers schossen und starben, und hunderttausend wurden verrückt.

      Jedesmal kamen Briefe an Arnold. Sie enthielten alle dasselbe.

      Arnold schrieb Briefe nach Hause. Ich fügte immer einen Gruß hinzu.

      Manchmal, wenn ich die Feldwachen kontrollierte, sah ich das Zimmer der Zippers vor mir – und es kam mir vor wie ein Zimmer des Friedens.

      Dennoch hörte eines Tages der Krieg auf. Die Monarchie zerfiel. Wir kamen nach Hause.

      Im letzten halben Jahr hatte ich Arnold nicht gesehen. Er war krank geworden und als Rekonvaleszent zu einem Bahnhofskommando gekommen. Ich kehrte infolge verschiedener widriger Umstände erst Anfang Dezember 1919 zurück. Da war Arnold schon wieder in Zivil. Es stand fest, daß er nicht mehr den Doktor machen würde. Er mußte schnell eine Arbeit suchen.

      Es war ein häßlicher Winter im Jahre 1919. Er war feucht, der Schnee hielt kaum einen Tag. Der Wind galoppierte durch die Stadt wie ein nasser Mörder. Die Straßen waren finster. Italienische Offiziere trugen warme, wollene Schals, Gamaschen, knarrende gelbe Ledertaschen, sie gingen siegreich herum, sie waren die Verbündeten des Winters und überhaupt Verbündete. Aus Amerika kamen: Cornedbeef, Pastoren mit Weihnachtsbäumen für arme Kinder und die befreiten Zivilgefangenen. Aus Rußland und aus Italien kamen die Heimkehrer. Viele, die sie erwartet hatten, starben und machten ihnen Platz. Die Börse war lebhaft, und das Geld wurde wertlos. Eine Million junger Männer ging herum und suchte Arbeit. Arnold war unter ihnen.

      Bis zu dieser Zeit hatte ich Arnold nur im Schatten seines Vaters und seines Hauses gesehen, ich hatte nur den Mitschüler Zipper gekannt, der in der dritten Bank an der Ecke saß, immer einen halben Kopf kleiner war als die »ganze Klasse«, sich durch viele Sommersprossen vor den andern auszeichnete, die mich an geröstete Semmelbrösel erinnerten, der manchmal fleißig und manchmal faul war, wie alle andern, und Gedichte »fließend« aufsagte, wie es sein Vater ja verlangte. Dann war Arnold ein Student wie viele andere. Er liebte ein Mädchen, das ihm Briefe an die Universität schickte, sein Name stand oft auf der schwarzen Tafel bei der Portierloge, der letzte Name (nicht viele Namen begannen mit Z). Dann wurde Arnold Soldat. Und er verbarg wie alle seine Physiognomie. Vielleicht hatte er bis dahin auch noch keine gehabt. Ich sah ihn wachsen, älter werden, Geburtstage feiern. Aber ich sah nicht, wie er ein Gesicht bekam. Ich betrachtete ihn niemals, ich glaubte, ihn so genau zu kennen. Acht Monate vorher hatte ich ihn in einer Uniform gesehen, die wie die meisten Uniformen der jungen Offiziere jener kriegerischen Zeit immer um ein wenig gegen die Vorschriften verstieß – um das kleine bißchen gegen die Vorschriften verstieß, das genügte, die Heldenhaftigkeit in Koketterie zu verwandeln. Denn die Eitelkeit war in jenen Tagen – nicht zum ersten Male im Lauf der Jahrtausende – stärker als die Disziplin und sorglos vor dem Tod. Arnold trug zum Beispiel, was Infanterieoffizieren verboten war, eine Mütze ohne Schild schief auf dem Kopf. Er war nicht kindisch genug, um mit seiner militärischen Existenz und seinem Offiziersgrad zufrieden zu sein; und den Charakter selbstgefälliger Keckheit verlieh er seiner Kleidung nicht deshalb, weil er sich mit der Uniform freute. Aber er gehörte zu jenen Männern – ich konnte es später bei vielen bemerken –, die einer Mode erliegen, wie Menschen mit empfindlichen Atmungsorganen einer Influenza.

      Ich weiß, daß mir Arnold Zipper erst auffiel, als ich ihn nach dem Krieg traf.

      Obwohl ich ihn nur ein halbes Jahr nicht gesehen hatte, schien er mir doch in der Zivilkleidung so verwandelt, daß ich glaubte, ihn nach langen Jahren wieder getroffen zu haben. Er trug einen dunkelblauen Anzug aus billigem, gefärbtem Militärstoff. Es war einer von den Anzügen, die man in armen Vierteln auf Stangen vor kleinen Läden hängen sieht, die, wenn man sie angezogen hat, den menschlichen Körper abzuschrecken scheinen, so daß er sich selbst vor ihnen zurückzieht und zwischen sich und dem Stoff, der ihn bekleiden sollte, der ihn aber nur umhüllt, einen luftleeren Raum läßt. Hinter den Bewegungen, die Arnold Zipper in diesem Anzug machte, ahnte ich die ursprünglichen, feineren und gelenkigeren Bewegungen des nackten Körpers. Es war, als kämen der Ärmel und die Hose dem Arm und dem Bein um den Bruchteil einer Sekunde nach. So entstand eine kaum bemerkbare Unbeholfenheit im Gehaben Zippers – vielleicht verursachte sie es eigentlich, daß ich Arnold jetzt genauer zu beobachten begann.

      Ein blau-weiß gestreifter weicher Kragen, den Arnold zu einem Hemd von der gleichen Farbe, aber einem andern Muster trug, wahrscheinlich in der Hoffnung, daß die auffallenden Farben die Verschiedenheit der Zeichnung vergessen machen, lenkte vielleicht erst meine Aufmerksamkeit auf das frauenhafte Grübchen in seinem Kinn, das mich manchmal an seine Mutter erinnerte und das ihm den Ausdruck eines genußfreudigen Menschen und eines gutherzigen verlieh. Auffallend waren seine kleinen weißen Zähne, die Zähne eines Nagetiers, die Arnolds Angesicht heiter machten, beinahe übermütig, wenn er sprach. Hielt er den Mund geschlossen, so war sein Gesicht düster. Seine Stirn war rein und groß, sie wirkte unschuldig und unbeschrieben. Seine Augen hatten einen federleichten Blick, der von den Zielen abglitt, wie ein Korkpfropfen, abgeschossen aus einer Knabenflinte. Mit diesen Blicken sah Arnold die Welt. Er kannte ihre Flächen, ihre Glätte und ihre Rauheit, ihre Buntheit und ihre Eintönigkeit. Manchmal wirkte seine Gabe, zu fühlen, was er nicht sehen konnte. Im übrigen war er verschwiegen, aber nicht vorsichtig genug, um sich nicht zu verraten. Er war feinfühlig, aber nicht aufmerksam genug, um niemanden zu verletzen. Mit seinem Vater verglichen, erschien er nicht merkwürdig, sondern eher gewöhnlich.

      Er wohnte, obwohl er wenig Geld hatte, nicht bei seinen Eltern. Er aß nur bei ihnen. Wovon er das übrige bestritt, wußte ich lange nicht. In einer andern Zeit hätten ihm seine Fähigkeiten eine Existenz gesichert. In den ersten Monaten nach dem Krieg aber konnte nur einer jener außergewöhnlichen Zufälle helfen, die man »Glück« nennt, oder jene außergewöhnliche Kraft, die ein Genie oder ein Brutaler vor sich her treibt wie einen Tank. Arnold Zipper war nicht genial und nicht herzlos. Er war im Gegenteil zart, gutherzig, begabt und schüchtern.

      Vom Dezember bis zum März lebte er von dem Handel mit Militärstoffen, wie ich bald erfuhr. Er vermittelte zwischen Käufern und Verkäufern. Es war damals Sitte im Land: die »abgerüsteten« Offiziere, die ohne Beruf waren oder ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten, handelten mit Militärstoffen. Zipper gehörte nicht zu den Tüchtigen.

      Er haßte sein Geschäft. Bevor er in ein Kaffeehaus trat – denn in den Kaffeehäusern wickelte man die Geschäfte ab –, hatte er hundert Bedenken. Andere kamen mit der siegreichen Festigkeit eines Commis voyageur von Beruf, in der Überzeugung, ihr Opfer zu finden, zu überreden und gefügig zu machen; eine Überzeugung, die Geschäftsreisende ebenso unwiderstehlich macht wie couragierte Liebhaber und angreifende Generale. Zipper aber war zaghaft, und er zog infolgedessen das Mißgeschick an, ungefähr wie manche Menschen Krankheiten anheimfallen, weil sie Ansteckung und Erkältung fürchten. Zippers Empfindlichkeit verursachte es, daß er den zufälligen und harmlosen Blick eines Kellners für einen vorwurfsvollen hielt. Man mußte im Spielsaal des Kaffeehauses stehen, so lange, bis der Käufer von seiner Kartenpartie aufstand. Wie oft aber kam es vor, daß der Käufer Zipper schon bei seinem Eintritt bemerkte, ihm durch ein Zeichen zu verstehen gab, daß er warten möchte, und in der Hitze des Spieles den Wartenden vergaß oder nur zu vergessen schien! Denn es war auch eine Methode darin, denjenigen, der das Angebot machte, zu zermürben; zu erproben, ob er so sehr »im Druck« war, daß er geduldig wartete, oder ob er so unabhängig war, sofort wegzugehen, wenn der Käufer nicht schnell genug zugriff. Andere konnten in dem Kaffeehaus, in dem sie ein Geschäft abschließen

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