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besonders an einer Konversation gelegen zu sein. Er versuchte um jeden Preis, das Schweigen seiner Frau zu brechen. Ja, er zwang sich sogar, ihr eine Freundlichkeit zu sagen. An ihr aber glitt selbst seine Güte ab, wie ein Tropfen Öl an vereistem Glas. Wenn Cäsar oder Arnold einen Fettfleck auf ihre Kleider machten, unachtsam waren, ein Glas Wasser verschütteten, so sagte der alte Zipper zu seiner Frau: »Sieh her, wie sich deine Kinder schon wieder benehmen.« Seit einem Jahrzehnt trank er nach jedem Essen einen Tee. Es mußte ein ganz besonderer Tee sein, das Glas nicht zu voll, damit Zipper es am oberen Rand fassen konnte, ohne sich die Finger zu verbrühen. War aber der Rand zu breit gelassen, so sagte er witzig: »Was kostet ein ganzes Glas, Madame?« War der Tee zu hell, so schickte er ihn zurück, damit er länger aufgebrüht werde. War er zu dunkel, so verlangte er warmes Wasser. Er bekam es in einer metallenen Kanne, deren Henkel so heiß war, daß er ihn mit einem Taschentuch anfassen mußte; und obwohl er wußte, jedenfalls aus Erfahrung wissen mußte, daß der Henkel nicht zu fassen war, griff er doch immer mit nackten Fingern nach ihm, fuhr erschrocken zurück, schüttelte die Hand in der Luft wie einen weißen Vogel und durchbohrte seine Frau dabei mit jenem Blick, mit dem man einen bedenkt, der uns auf ein Hühnerauge getreten ist. Niemals vergaß der alte Zipper, sich über den Tee, seine Zubereitung, die verschiedenen Arten, seine Heilkraft, seine Schädlichkeit zu verbreiten. Mindestens sechzehnmal habe ich selbst aus seinem Munde gehört, wie er sich einmal einen Teerausch angetrunken hatte. »Es war allerdings«, schloß Zipper seine Erzählung, »kein Tee wie dieser hier!« Und dabei sah er seine Frau an.

      Wenn ich mir heute das Bild der Frau Zipper zurückrufe, sehe ich, daß sie in einem Nebel gelebt hat, in einer Art von grauem trübem Heiligenschein, wie er für Märtyrer paßt, die für lächerliche Zwecke und aus lächerlichen Gründen Schmerz und Pein erdulden. Ich weiß nicht, ob sie ihre Kinder geliebt hat. Vielleicht waren sie ihr gleichgültig oder verhaßt, wie der Vater. Sie schien mir mehr für den Schmerz dazusein als für die Liebe. Was die Kinder betrifft, so kam Arnold erst spät dazu, seine Mutter zu lieben. Vorläufig hielt er sich mehr an den Vater, der ihm ja mehr Spaß bereitete. Die Erziehung hatte der alte Zipper allein übernommen, obwohl er seine Söhne häufig ihre Kinder nannte. Es waren Söhne, und er hatte beschlossen, aus ihnen »Menschen zu machen«.

      Er begann mit der »Erziehung zur Männlichkeit«. Die spartanischen Methoden imponierten ihm, aber Athen nicht weniger. Von Sparta und Athen wußte er nur, was er, ein Autodidakt, unter der Hand an Wissen errafft hatte. Er kannte überhaupt die Geschichte aus Anekdoten, die Welt aus dem Photoplastikon, das Leben aus dem Briefkasten der Zeitung. Was er nicht wußte, erfuhr er aus dem Lexikon oder am Mittwoch von der Redaktion. Viele Fragen beschäftigten ihn im Laufe eines Tages. Ihn interessierte die Entfernung der Erde vom Mond, vom Mond zur Sonne, von der Sonne zum Mars. Ihn interessierten die Milchstraße, der Brand von Moskau, der Krieg in der Krim, die letzte Choleraepidemie in Wien, ein System, Geld in Monte Carlo zu gewinnen, die Schädlichkeit der Fliegen, die Wirkung eines Sonnenbrands, die Höhe des Gaurisankars, der erste Aeroplan, das Privatleben des Grafen Zeppelin, die erste Aufführung der »Räuber«, die letzten Indianer in Bolivien. Er hatte den ewig ungestillten Wissensdurst des einfachen Mannes, der sich hinaufgearbeitet hat und der an dem Irrtum leidet, Wissen sei Bildung, Bildung mache stark und Stärke erfolgreich. Er schwor auf Hygiene. Er selbst tauchte seine Kinder jeden Tag in kaltes Wasser. Als sie drei Jahre alt waren, kaufte er ihnen kleine Fahrräder. Cäsar hatte sich schon mit acht Jahren selbständig gemacht. Arnold aber bekam immer neue, immer größere Fahrräder. Er bekam Roller, Schlittschuhe, Schlitten und Skis, Tennisrackets und Säbel zum Fechten. Als Fünfjähriger lernte Arnold tanzen. Er lernte Nationaltänze. Er tanzte Mazurka, Krakowiak, Kasatschok, Csárdás, er lernte mit Kastagnetten klappern. Der alte Zipper ließ bei einer Wohltätigkeitsvorstellung Arnold als Tänzer auftreten. Der Alte saß in der ersten Reihe. Für den halben Saal hatte er Freikarten verteilt. Weite Verwandte, gleichgültige Bekannte schleppte er herbei. Dann ließ er Arnold auf der Bühne photographieren. Er selbst kam heraus und verneigte sich, nachdem er fünf Minuten vorher geklatscht hatte.

      Er führte Arnold jeden Sonntag ins Hippodrom und lehrte ihn reiten. Er nahm einen »Lehrer für dramatische Kunst«, Arnold lernte deklamieren. Bestimmte Verse mußte Arnold immer wieder seinem Vater vorsprechen. Der Alte hatte einen besonderen literarischen Geschmack. Er liebte ein Gedicht von Rudolf Baumbach: »Die Reise ins Paradies«. Obwohl er den Kaiser verachtete, hörte er doch gerne das Gedicht eines zeitgenössischen Lyrikers, der zum Thema seiner Dichtung den Tag des Kaisers gewählt hatte. Jede Strophe behandelte je eine Stunde dieses Tages und die Arbeit, die der Monarch in dieser Stunde verrichtete. Der alte Zipper liebte: »An der Quelle saß der Knabe«, »Habe nun, ach, Philosophie«, »Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht«, »Durch diese hohle Gasse muß er kommen«, »Der Gott, der Eisen wachsen ließ« und die »Lorelei«. All das rezitierte Arnold »fließend«, wie der alte Zipper zu sagen liebte. Denn auf den Fluß kam es ihm an.

      Blieb aber Arnold einmal irgendwo stecken, so legte der alte Zipper die Hände auf seine Stirn und fragte: »Was soll aus dir werden?« Dieselbe Frage erfolgte, wenn Arnold vom Rad oder vom Pferd fiel. Was sollte aus ihm werden?! Nach dem Wunsch des Vaters alles mögliche: ein Zirkuskünstler und ein Schauspieler; ein Gelehrter und ein Dichter; ein Erfinder und ein Kavalier; ein Diplomat und ein Zauberer; ein Glücksritter und ein Komponist; ein Don Juan und ein Musikant; ein Abenteurer und ein Ministerpräsident. Alles konnte Arnold werden; alles, was der alte Zipper nicht geworden war.

      Weshalb war aus dem alten Zipper nichts geworden – wenigstens seiner Meinung nach nichts geworden? – Weil er den größten Teil der Energie, die ihm Gott mitgegeben hatte, dazu hatte verwenden müssen, um aus einem Proletarier ein Bürger zu werden. Denn das ist der Weg der kleinen Menschen. Als Zipper, der Sohn eines Tischlers, jung war, sollte er auch ein Tischler werden. Er wurde Lehrling. Er verfertigte Tische aus Eichenholz, Schränke, Wiegen, Koffer und Särge. Schließlich kam er zu einem großen Tischler in die Lehre nach Wien.

      In der kleinen Stadt ist es, als wäre man von Geburt an für irgendeinen Beruf, irgendeine Sendung, irgendein Geschäft bestimmt. Der ist Gemeindepolizist und jener Totengräber. Der ist Uhrmacher, und jener handelt mit Nahrungsmitteln. Der ist ein reicher Kaufmann und jener ein armer Glasermeister. Schon der Vater des Reichen war reich, und der Großvater des Reichen war es auch schon. Die ältesten Menschen der Stadt können sich nicht erinnern, daß irgendein Vorfahre des Reichen arm gewesen wäre. Der Sohn eines Tischlers wird niemals ein Totengräber. Der Sohn eines Delikatessenhändlers wird niemals ein Flurwächter. Zipper, der Sohn eines Tischlers, wäre ein Tischler geblieben, wenn er nicht in die große Stadt gekommen wäre.

      Er steckte nicht mehr ganz in seinem Beruf. Er ragte mit einem Teil seiner Strebsamkeit über die Grenzen hinaus, die seinem Leben gezogen waren. Schließlich lag ihm die Strebsamkeit im Blut. Ein wenig flatterhaft war er auch. Er arbeitete nicht mehr in einer einfachen Werkstatt mit drei Gesellen, wie zu Hause, bei seinem Vater, sondern in einer großen Sargfabrik mit dreihundert Arbeitern, die keine Tischler waren. Jeden Tag wurden genau siebzig Särge fertiggestellt. Wo viele Menschen leben, sterben auch viele. Es war ein trauriges Geschäft. Im Anfang dachte Zipper fortwährend an den Tod. Er aber war dem Leben zugeneigt.

      Er wechselte den Beruf, aber er blieb beim Holz. Er kam zu einem Instrumentenmacher in die Lehre. Er lernte Violinböden herstellen, Stege und Bodengriffe. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er seine musikalische Begabung. Er gedachte nicht so lange zu warten, bis er eine ganze Geige hätte verfertigen können. Er hoffte auf ein außergewöhnliches Glück, zumal da er sich in ein Mädchen verliebt hatte, dessen Eltern, wohlhabende Delikatessenhändler, ihre Tochter nur einem wohlhabenden Manne zu geben gewillt waren. Er spielte in der Lotterie und gewann. Hierauf besuchte er die Eltern seiner Geliebten und sprach davon, eine Musikalienhandlung zu eröffnen. Er verlobte sich. Eine kleine Musikalienhandlung paßte ihm nicht, er wollte mit einer großen anfangen. Dazu mußte man mehr Geld haben, als er gewonnen hatte. Weil er an sein Glück glaubte, auch einige Abenteuer zu bestehen gedachte, ging er zur Bahn und fuhr nach Monte Carlo. Und dort ereigneten sich jene außergewöhnlichen Umstände, unter denen er seinen Chronometer erstanden hatte.

      Er verlor den größten Teil seines Geldes, kam zurück, heiratete. Es reichte nicht

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