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der Kai wie ausgestorben. Die Frau im knöchellangen Tigerfellmantel mit der modischen Bubikopf-Frisur, die in Begleitung eines hageren jungen Mannes die Mole überquerte, zog sogleich alle Blicke auf sich. Mit ihrem mokkabraunen Haar, dem dunklen Teint und den schwarzen Kohleaugen hätte man sie für eine Sizilianerin halten können, doch ihre Extravaganz und die dominante Art, mit ihrem jungenhaften Begleiter im Schlepptau voranzustolzieren, straften diesen Eindruck Lügen.

      Zielstrebig stakste die Frau mit den geschwärzten Augenlidern und den kirschrot geschminkten Lippen auf die Gruppe zu und richtete in gebrochenem Italienisch das Wort an sie: »Scusa, palare inglese?«

      Ihre tiefe rauchige Stimme, die animalischen Gesichtszüge und die Verruchtheit, die von ihr ausging, weckten bei den Sizilianern Begehrlichkeit. Die Männer verneinten ihre Frage mit breitem Grinsen, woraufhin sich die Frau nach einer billigen Unterkunft erkundigte.

      »Non caro?«, fügte sie hinzu.

      »Non caro«, wiederholte einer der Fischer mit anzüglichem Blick auf die Fremde.

      Dann trat ihr Begleiter, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, an die Fischer heran. Im Vergleich zu der Frau, der man ansah, dass sie gelebt hatte, wirkte der schlaksige Mann mit dem Jungengesicht wie ein Oberschüler. Der Altersunterschied der beiden war so offensichtlich, dass die Sizilianer sie für Mutter und Sohn hielten. Nach einem kurzen Wortwechsel mit den Einheimischen, bei dem sich das Missverständnis dahingehend aufklärte, dass es sich bei dem vermeintlichen »figlio« tatsächlich um den »marito« von »la tigre« handelte, fragte der junge Mann die Fischer nach dem Haus eines gewissen Signore Crowley. Bei der Erwähnung des Namens prusteten die Männer los und schienen sich über gar nichts mehr zu wundern.

      Den Heiterkeitsausbruch der Fischer ignorierend, wandte sich die Frau im Tigerfellmantel murrend an ihren Ehemann: »Baby, es ist doch schon viel zu spät, um dort noch hereinzuplatzen. Lass uns lieber im Ort ein Zimmer nehmen und morgen hingehen!«, suchte sie ihn umzustimmen, doch »Baby« zeigte sich widerspenstig.

      »Was für ein Unsinn, Betty! Meister Therion wird mit Sicherheit noch wach sein«, schnaubte er und machte seiner Gattin unmissverständlich klar, dass er auf der Stelle zur Abtei wolle – weswegen sie ja auch hier seien.

      Die Frau seufzte resigniert und unterwarf sich dem Eigensinn ihres Gefährten, gegen den sie, wie sie in der Vergangenheit gelernt hatte, ohnehin machtlos war. Die Fischer hatten unterdessen zwar nicht genau verstanden, um was es ging, waren jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass »la tigre« zwar die Hosen anhatte, aber ihr Begleiter bestimmte, was gemacht wurde. Das nötigte ihnen einen gewissen Respekt ab. So erbot sich auch einer von ihnen, dem Paar den Weg zum Haus von »il mago« zu zeigen, wie Aleister Crowley von den Einheimischen genannt wurde.

      Als sie durch das Gewirr der engen Gassen mit den pittoresken zitronenfarbenen Häusern liefen, die mit dem wuchtigen Felsmassiv im Hintergrund zu verschmelzen schienen, kam es Betty so vor, als habe sie nie eine malerischere Stadt gesehen. Dennoch war Cefalù für sie der letzte Ort auf der Welt, an den sie freiwillig gezogen wäre. Wegen des verfluchten Magiers und seiner unseligen Abtei hasste sie die ganze Stadt und wenn Raoul nur den Namen Cefalù erwähnte, was er in letzter Zeit ständig getan hatte, wurde ihr regelrecht übel. Aber sie war mitgekommen, um Raoul nicht gänzlich an Crowley zu verlieren. Immerhin war sie schon 38 und würde nicht für immer als Modell in der Londoner Künstlerszene arbeiten können.

      Sie sah den Magier noch deutlich vor sich. Vor gut einem Jahr – Raoul und sie waren gerade frisch verheiratet und noch glühend verliebt gewesen – hatte er an die Tür ihres Zimmers in Soho geklopft. Nichtsahnend hatte sie aufgemacht und sich Auge in Auge mit einem korpulenten Mann mit Glatze befunden, der einen Schottenrock getragen und einen Holz-Stab mit einem Schlangensymbol in der Hand gehalten hatte. Er hatte dunkle, fiebrig glänzende Augen, mit denen er sie regelrecht hypnotisiert hatte. Sein süßlicher Geruch war ekelerregend gewesen.

      Er hatte den Stab gehoben, als ob er sie hatte segnen wollen, und gewichtig genäselt: »Tu was du willst, sei das ganze Gesetz!« Anschließend hatte er sich als Aleister Crowley vorgestellt und Raoul Loveday zu sprechen gewünscht.

      Als Betty ihm daraufhin mitgeteilt hatte, dass Raoul nicht da sei, hatte er sie gebeten ihm auszurichten, er möge Crowley am Abend bei einer gemeinsamen Bekannten namens Betty Bickers aufsuchen. Der Mann war ihr vom ersten Moment an zuwider gewesen. Bereits damals hatte sie geahnt, dass er ihr Unglück bringen würde. Seitdem hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen und Raoul war ihr mehr und mehr entglitten. Was war nur aus dem jungen Oxford-Studenten geworden, der ganz verrückt nach ihr gewesen war und sie unbedingt hatte heiraten wollen? Nach zwei glücklosen Ehen hatte Betty das Gefühl gehabt, in Raoul endlich die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben. Doch inzwischen kam es ihr so vor, als sei er mehr mit Crowley als mit ihr verheiratet. Solange der Magier in London geweilt hatte, war Raoul ständig mit ihm zusammen gewesen und nächtelang nicht nach Hause gekommen. Wenn er dann zurückgekehrt war, war er total verdreckt gewesen, hatte nach Äther gestunken und war so erschöpft gewesen, dass er nur noch hatte schlafen wollen. Er hatte Betty auch nicht mehr angerührt. Als Crowley dann endlich abgereist war, war sie erleichtert gewesen und hatte gehofft, dass es zwischen ihr und Raoul wieder so werden würde wie früher. Doch was für ein Trugschluss! Denn Meister Therion, wie Raoul den Magier ehrfürchtig zu nennen pflegte, hatte ihn nicht mehr losgelassen und ihn selbst aus der Ferne noch beeinflusst. Ständig hatte er Raoul Briefe geschrieben, die Raoul mit der Begründung vor ihr zurückgehalten hatte, sie gingen nur ihn und Meister Therion etwas an. Er schwärmte von Crowley in den hellsten Tönen und hielt ihn für den größten Magier aller Zeiten. Als er unlängst von Crowley gebeten worden war, zur Abtei von Thelema zu kommen, um sein magisches Erbe anzutreten, war Raoul nicht mehr zu halten gewesen. Obgleich es der Okkultist tunlichst vermieden hatte auch Betty einzuladen, hatte sie darauf bestanden mitzukommen.

      Jetzt erst recht, hatte sie gedacht und das Nötigste zusammengepackt. Ganz so leicht würde sie es Crowley nicht machen, Raoul vollständig zu vereinnahmen. Im Gegenteil: Er sollte sich an ihr die Zähne ausbeißen! Denn wenn es etwas gab, das Betty beherrschte, dann war es das Kämpfen. Früh hatte sie es lernen müssen, in dem Rattenloch unweit der Victoria Docks am Londoner Hafen, wo sie aufgewachsen war.

      Während sie ihren düsteren Gedanken nachhing und hinter Raoul und dem Fischer den steilen Olivenhain erklomm, zeichneten sich in der Dunkelheit die Umrisse eines Gebäudes ab.

      »Das ist die Abtei«, rief Raoul begeistert und bat Betty, dem Fischer, der sich auf den Rückweg machen wollte, einen Obolus für seine Hilfsbereitschaft zu geben, der in Anbetracht ihrer Geldknappheit allerdings recht dürftig ausfiel. Während sich Betty noch bei dem Mann bedankte, stürmte Raoul bereits den steilen Hügel hinauf. Dann wartete er vor dem Eingang des weißen, niedrigen Hauses, bis Betty ihn erreicht hatte. Seine dunklen Augen glänzten ergriffen, als er die Inschrift über der Tür vorlas: »Tu was du willst, soll sein das einzige Gesetz.« Er warf Betty einen seligen Blick zu. »Du glaubst ja gar nicht, wie glücklich ich bin, hier zu sein.«

      Betty hatte es die Sprache verschlagen. Wie aus dem Nichts erschien plötzlich ihr Hochzeitsfoto vor ihrem geistigen Auge, das sie schon damals so schockiert hatte – mit seinen bleichen, eingefallenen Wangen und den tiefen Augenhöhlen sah Raoul darauf aus wie ein Leichnam. Sie war zwar viel zu abgeklärt, um abergläubisch zu sein, doch die dunkle Ahnung, die ihr schlagartig das Blut in den Adern gefrieren ließ, brach sich Bahn. Sie schloss Raoul in die Arme und drückte ihn an sich wie eine Ertrinkende.

      »Darling, ich flehe dich an, lass uns umkehren! Dieser Mann ist dein Untergang«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.

      Doch Raoul entwand sich gereizt ihrer Umarmung. »Was weißt du schon von Magie, du törichtes Geschöpf?«, sagte er abschätzig und klopfte an die wurmstichige Holztür.

      Eine große, ausgemergelte Frau mit hennarot gefärbten Haaren und glasigen Augen, die in eine scharlachrote Robe gehüllt war, öffnete ihnen und bat sie hinein. Der niedrige, nur von Kerzenlicht erleuchtete Raum war so durchdrungen von Opiumqualm und beißendem Äthergeruch, dass es Betty den Atem verschlug.

      Die Frau deutete auf ein Tablett. »Darf ich dir einen Lichtkuchen anbieten, Schwester?«, säuselte sie

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