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und schrieb auf Französisch (die Sprache der Wissenschaft war allerdings nach wie vor Latein), französische Moden waren der dernier cri von Sankt Petersburg bis Lissabon und auf den Bühnen des Kontinents galten die Stücke von Racine und Corneille als das Maß der Dinge, während Shakespeare ein toter Hund war.

      1726 wurde Voltaire plötzlich aus der Bahn geschossen durch eine Geschichte, die sehr häufig und in vielen Versionen erzählt worden ist. Auslöser war eine spitze Bemerkung gegenüber dem bereits erwähnten Chevalier de Rohan-Chabot, einem eitlen und etwas blöden Abkömmling einer der wichtigsten Familien Frankreichs, der in die Geschichte der Aufklärung so gut passt wie Pontius Pilatus ins Glaubensbekenntnis. Rohan hatte den ehrgeizigen Poeten herablassend gefragt, wie er denn nun heiße, Arouet oder Voltaire? Der war um eine boshafte Antwort nicht verlegen und erwiderte, »was auch immer mein Name ist, ich weiß seine Ehre zu bewahren.« Humor ist selten unabhängig vom sozialen Status und diese Bemerkung war zu viel in einem ehrpusseligen Zeitalter, in dem Familien wie den Rohans der Stolz auf ihre Vergangenheit das Wichtigste war. Der Chevalier grollte und sann auf Rache. Dabei fiel ihm aber nichts Originelles ein und beim nächsten Treffen, nach einer Aufführung in der Comédie-Française, in der Garderobe der berühmten Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, wiederholte er einfach seine Frage. Voltaire ließ ihn mit der Bemerkung »der Chevalier hat seine Antwort bereits bekommen« abblitzen. Rohan wollte Voltaire nun verprügeln, aber die Lecouvreur fiel geistesgegenwärtig in Ohnmacht und die Affäre wurde abermals vertagt.

      Rohan begab sich nun auf die nächste Eskalationsstufe, wiederum ohne Esprit, dafür aber effizient. Einige Tage später war Voltaire beim Herzog von Sully, einem Freund und Bewunderer, zum Abendessen eingeladen. Während des Essens – der Mensch wollte schon damals permanent erreichbar sein – wurde Voltaire herausgerufen, um persönlich die Nachricht eines Boten entgegenzunehmen. Vor dem Haus wartete aber kein Bote, sondern die Lakaien des Chevaliers, die nun vollendeten, was ihr Herr sich beinahe selbst getraut hätte. Sie verdroschen Voltaire. Rohan saß in einer Kutsche, schaute zu und gab Anweisungen. Er soll befohlen haben, Voltaires Kopf zu schonen, denn der könne immerhin noch für einiges Amüsement zu gebrauchen sein. »Was für ein gütiger Herr!«, riefen da die Zuschauer, die das Spektakel inzwischen angelockt hatte. Verletzt und erniedrigt kehrte Voltaire zu seinen Gastgebern zurück, die aber nichts von dem Vorfall wissen wollten. Wenn sich ein Schreiberling mit einem der Großen des Landes anlege, so die kühle Erwiderung von Sully, müsse er die Konsequenzen tragen und könne nicht erwarten, dass er Unterstützung aus dessen eigenem Stand finde.

      Zu seiner Wut musste Voltaire entdecken, dass die ganze Pariser Gesellschaft Rohans Reaktion vollkommen normal und nachvollziehbar fand und sich niemand für ihn verwenden wollte. Also musste er sich selbst helfen und nahm Fechtunterricht, um seinen Feind zum Duell zu fordern. Das war aber mehr als ungeschickt, denn nicht nur Duelle, sondern auch Forderungen dazu waren verboten. So kam Voltaire in die Bastille, eines der angenehmeren Gefängnisse, wo er sich bereits gut auskannte. Er hatte dort seinen gefeierten Ödipus verfasst, als er zehn Jahre zuvor wegen einer Satire auf den Regenten Philipp von Orléans schon einmal einsaß. Diesmal war das Vergehen aber nicht so schlimm und Voltaire bereits ein berühmter Poet, sodass er nach einigen Wochen wieder freikam unter der Auflage, das Land zu verlassen. Hilflos und desillusioniert über Frankreich und seine Gesellschaft schiffte Voltaire sich im Jahr 1726 nach England ein. Für die Französische Aufklärung und Ökonomie wurde diese Reise zu einem Wendepunkt und für die Monarchie zu einem ihrer wichtigsten Sargnägel – was zu diesem Zeitpunkt aber weder Voltaire noch Rohan ahnen konnten.

      In England musste Voltaire feststellen, dass er wider Erwarten mittellos war. Der Bankier, auf dessen Wechsel er sich in London verlassen hatte, war bankrott und seine Papiere wertlos. Voltaire war krank, einsam und verzweifelt: »Ich war in einer Stadt, in der ich niemanden kannte … In so einer elenden Verfassung hatte ich auch nicht den Mut, mich an unseren Botschafter zu wenden. Nie habe ich mich so elend befunden; aber mein Schicksal ist es, alles Unglück zu durchleben.« Durch irgendeine, heute nicht mehr nachvollziehbare Wendung des Schicksals fand er Aufnahme bei einem gewissen Everard Fawkener, einem der interessanteren Kaufleute seiner Zeit, später Botschafter in Konstantinopel, dann Chef der britischen Post und schließlich, im Alter von 53 Jahren, noch Schwiegersohn von General Churchill, einem Neffen des Herzogs von Marlborough. Dort fing Voltaire sich und fand nach all den Demütigungen auch seinen Humor wieder. Vor allem aber lernte er – was in Frankreich unmöglich gewesen wäre -, einen Kaufmann zu respektieren oder sogar zu bewundern.

      Diese Klasse hatte er bislang mit der Arroganz betrachtet, wie sie damals unter französischen Aristokraten üblich war. Der Staat brauchte die Unternehmer, denn sie waren diejenigen, die am Ende den Handel organisierten und die Waren produzierten, die das Leben erst angenehm machten. Sie waren ebenso unverzichtbar wie die Bauern, Handwerker oder Beamten, die man darum aber dennoch, als Mensch, als Persönlichkeit nicht wirklich ernst nehmen konnte. Das Leben der Kaufleute war in Voltaires Augen fade, ohne Raffinesse, Extravaganz und Esprit. Es fand in Kontoren statt, nicht auf Schlössern oder vergleichbaren Bühnen. Kein Dichter von Format, und erst recht nicht mit den Ambitionen eines Voltaire, wäre auf die Idee gekommen, freiwillig die Nähe von Kaufleuten oder Unternehmern zu suchen. Nur die äußerste Not ließ Voltaire die Bekanntschaft von Everard Fawkener machen.

      Auslandsaufenthalte, wenn sie schlecht vorbereitet sind, können erhebliche Überraschungen bereithalten. Auch Voltaire kam, als er in der Obhut Fawkeners seine Balance wiedergefunden hatte, zunächst nicht aus dem Staunen heraus. Er lernte ein Land kennen, das seiner Heimat in allen politischen und sozialen Belangen weit voraus war – was Voltaire bislang ganz grundsätzlich nicht für möglich gehalten hatte. Seine Beobachtungen fasste er in einem Buch zusammen, das er als Sammlung von Philosophischen Briefen komponierte. Adressat waren die Daheimgebliebenen, die der festen Überzeugung waren, Frankreich und die französische Kultur seien die Krone der Zivilisation, auf die man nur mit Neid blicken könne und von welcher der Rest der Welt sich vieles – um nicht zu sagen: alles – abschauen könne. In den Philosophischen Briefen sah Voltaire es gerade umgekehrt. Frankreich war rückständig, verknöchert und verarmt, sowohl geistig als auch finanziell. England war die Zukunft, war dynamisch und, unbemerkt von den Franzosen, mächtig geworden. Die Hofhaltung mochte nicht an Versailles heranreichen, aber wozu auch? Was zählte, waren die politischen und ökonomischen Grundlagen, auf der eine Gesellschaft ruhte. In Frankreich waren diese morsch, in England fast ideal. Dies den Franzosen anschaulich aufzuschreiben, war Voltaires Absicht.

      Die Macht der Kirche in England, so steht es in den Briefen, war nach den langen Jahren der mit großer Grausamkeit geführten Religionskriege geschwunden. Es herrschte religiöse Toleranz, über die man sich, bedachte man die Macht der Katholischen Kirche in Frankreich, nur wundern und freuen konnte: »Dies ist das Land der Sekten: Multae sunt mansiones in domo patris mei.1 Ein Engländer spaziert als ein freier Mensch, auf welchem Weg es ihm beliebt, in den Himmel.« Es war ein Staat, der seine Angelegenheiten ohne Zutun der Geistlichkeit zu regeln versuchte. »Wenn in England nur eine Religion herrschte, so würde ihre unumschränkte Gewalt zu fürchten sein; wären es ihrer zwei, so würden sie sich einander die Kehle abschneiden; sie sind aber wohl an die dreißig und leben alle friedlich und glücklich.« Die Gesellschaft in England war offen und pluralistisch. Jeder konnte nach seiner Façon glücklich werden. Das war in Voltaires Augen die Grundlage einer zivilisierten Gesellschaft, die Frankreich so schmerzlich (für Außenstehende) abging.

      Voltaire musste nicht nach England kommen, um vom Glauben abzufallen. Die Kirche war von jeher das Lieblingsziel seines Spottes. Was er dort lernte, war die segensreiche Rolle, die Händler, Kaufleute und Unternehmer spielten. »Man gehe auf die Börse in London, einen Platz, welcher ansehnlicher ist als manch ein Hofstaat, wo sich die Abgeordneten von allen Völkerschaften einfinden, um die Wohlfahrt der Menschen zu befördern. Hier treten der Jude, der Türke und der Christ miteinander in Unterhaltung, als wären sie Glaubensgenossen, und nennen nur denjenigen einen Ungläubigen, welcher bankrott ist. Hier vertraut der Presbyterianer dem Wiedertäufer, und der Anglikaner nimmt von dem Quäker Versprechungen entgegen. Beim Verlassen dieser friedfertigen und freien Versammlung gehen einige in ihre Synagogen, andere zum Trinken; jener lässt sich in einer großen Kufe im Namen des Vaters, durch den Sohn, im Heiligen Geist taufen; dieser lässt seinem Sohn die Vorhaut wegschneiden und murmelt über das Kind hinweg etliche hebräische

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