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nicht sehr, weil sie fort­wäh­rend die hin­ter ihr be­find­li­che zwei­te Ta­fel im Auge zu be­hal­ten such­te, wo Re­fe­ren­dar Son­nen­strahl ei­ner ih­rer Freun­din­nen den Hof mach­te. Auch klag­te sie Aga­the, dass sie zu enge Schu­he tra­ge und des­halb ge­zwun­gen sei, den gan­zen Abend nur auf ei­nem Fuße zu ste­hen, um den an­de­ren aus­ru­hen zu las­sen. Eu­ge­nie be­fand sich da­ge­gen in bes­ter Lau­ne, und auch die zwei Her­ren be­müh­ten sich nach Kräf­ten, die Un­ter­hal­tung in fri­schem Gan­ge zu hal­ten. Man tausch­te al­ler­lei sinn­rei­che Wit­ze und Wet­ten aus, nasch­te vor­zei­tig vom Des­sert, und lehr­te sich die rich­ti­ge Art des An­sto­ßens, wo­bei man ein­an­der in die Au­gen bli­cken muss­te. Aga­the mach­te die Be­mer­kung, dass dies al­les nicht die Art von harm­lo­ser Fröh­lich­keit war, in der sie frü­her mit den jun­gen Leu­ten ver­kehr­te. Mit den un­ge­wohn­ten Ge­sell­schafts­klei­dern schie­nen sie alle eine son­der­ba­re Fei­er­lich­keit an­ge­legt zu ha­ben Aga­the muss­te ein paar­mal in ein hel­les Ge­ki­cher aus­bre­chen, weil sie sich er­in­ner­te, dass ihr Tisch­herr, der sie jetzt »mein gnä­di­ges Fräu­lein« nann­te und ihr mit un­glaub­li­cher Höf­lich­keit jede Schüs­sel prä­sen­tier­te, sich ein­mal in ih­rer Ge­gen­wart mit Wal­ter fürch­ter­lich ge­prü­gelt hat­te, wo­bei sie selbst ei­ni­ge Püf­fe er­hielt und die Jun­gen zu­letzt bei­de zer­zaust und zer­kratzt an der Erde her­um­ge­ku­gelt wa­ren.

      Auch Mar­tin und Eu­ge­nie ka­men ihr wie un­be­kann­te Men­schen vor. Mar­tin hat­te statt sei­ner noch vor zwei Stun­den zur Schau ge­tra­ge­nen Derb­heit eine wun­der­li­che Sen­ti­men­ta­li­tät an­ge­nom­men, und Eu­ge­nie sag­te al­les mit ge­zier­ten klei­nen Spit­zen und ab­sicht­li­chen Be­we­gun­gen und Bli­cken, de­ren Sinn Aga­the noch nicht ver­stand. Da­bei fühl­te sie je­doch, dass auch sie sich mehr und mehr in ein ganz un­na­tür­li­ches We­sen ver­lor. Als der Lärm an den großen Ti­schen im­mer lau­ter wur­de, die Her­ren dem Cham­pa­gner leb­haft zu­spra­chen, sich in den Stüh­len zu­rück- oder weit über den Tisch hin­über lehn­ten und al­les um sie her lach­te, flüs­ter­te und ju­bel­te, wur­de Aga­the ohne je­den Grund sehr trau­rig. Das Ge­ba­ren der Men­schen um sie her kam ihr nicht mehr drol­lig, son­dern sinn­los und un­be­greif­lich vor. In dem ihr so wohl­be­kann­ten Ge­sicht ih­res Ju­gend­freun­des Mar­tin sah sie einen Aus­druck von Span­nung – von Qual, wel­che sich mit ei­nem son­der­ba­ren Lä­cheln ver­band. Sein Blick wich nicht von Eu­ge­nie, aber er schi­en kaum zu hö­ren, was sie sag­te, er starr­te fort­wäh­rend auf ih­ren Hals, auf ih­ren Bu­sen. Sie war so weit de­kolle­tiert – wie konn­te sie das nur aus­hal­ten, ohne vor Scham zu ver­ge­hen, dach­te Aga­the em­pört. Et­was in der Brust tat ihr da­bei weh. Es war wie eine Ent­täu­schung – als trä­te nun eine end­gül­ti­ge Ent­frem­dung zwi­schen ihr und Mar­tin ein … als ent­schlüp­fe ihr et­was, das sie für un­be­strit­te­nes Ei­gen­tum ge­hal­ten … Was denn? Sie lieb­te ihn doch nicht? Es fiel ihr gar nicht ein!

      Un­kla­re In­stink­te trie­ben sie, den jun­gen Dürn­heim an ih­rer Sei­te auch so – mit die­ser ge­heim­nis­vol­len Be­deu­tung im Bli­cke an­zu­se­hen, aber als er dar­auf mit glei­chem er­wi­der­te, war ihr das un­an­ge­nehm, sie är­ger­te sich über sich selbst und auch über den jun­gen Mann, der ihr fade und ohne jede Ro­man­tik vor­kam.

      Hät­te sie nur nach Haus ge­durft und im stil­len, dunklen Zim­mer mit ge­schlos­se­nen Au­gen lie­gen, ganz al­lein, ganz al­lein! Sie war sehr müde, sie sah al­les um sich her wie durch einen Ga­ze­schlei­er.

      Dem Sou­per folg­te der Ko­til­lon. Der kahl­köp­fi­ge As­ses­sor kam auf Aga­the zu und frag­te freund­lich her­ab­las­send, ob sie schon en­ga­giert sei, oder ob er das Ver­gnü­gen ha­ben dür­fe?

      Von die­sem Man­ne, der sie so tief be­lei­digt hat­te, soll­te sie, nun es ihm ein­fiel, sich her­um­schwin­gen las­sen?

      »Ich dan­ke, ich tan­ze den Ko­til­lon nicht«, sag­te sie kurz, und er ver­ließ sie mit sei­nem gleich­mü­ti­gen Lä­cheln, blieb in der Nähe ste­hen und sah durch sei­nen gol­de­nen Knei­fer müde in den Saal. Da­rauf kam ein Lieu­ten­ant und for­der­te sie auf, Aga­the folg­te ihm mit ver­gnüg­tem Tri­um­phe.

      In ei­ner der Pau­sen des viel­ver­schlun­ge­nen Tan­zes wink­te Mama sie plötz­lich her­an.

      »Wie Aga­the? Du hast den As­ses­sor Rai­ken­dorf ab­ge­wie­sen und tan­zest nun mit ei­nem an­de­ren?« flüs­ter­te die Re­gie­rungs­rä­tin auf­ge­regt. »Das geht un­mög­lich! Das darfst Du nie wie­der tun –. Oder hat er sich et­was ge­gen Dich zu Schul­den kom­men las­sen?«

      »Nein«, stot­ter­te Aga­the glut­rot, »nein – nur – ich mag ihn nicht!«

      »Ja, lie­bes Kind – wenn Du so wäh­le­risch mit Dei­nen Tän­zern sein willst – dann darfst Du nicht auf Bäl­le ge­hen. Es war eine große Freund­lich­keit von Herrn Rai­ken­dorf, ein so jun­ges Mäd­chen zu en­ga­gie­ren – er tanzt sonst nur mit Frau­en – das hät­test Du dank­bar an­er­ken­nen sol­len.«

      Aga­the warf trot­zig mit ei­ner ver­ächt­li­chen Be­we­gung den Kopf in den Na­cken. Sie be­griff nicht, wo­für sie dank­bar sein soll­te, wenn As­ses­sor Rai­ken­dorf einen schlech­ten Ge­schmack be­saß. Ihr ka­men alle ver­hei­ra­te­ten Frau­en un­ge­heu­er alt vor und durch­aus nicht mehr ge­eig­net zu Ri­va­lin­nen.

      *

      Sie schlief sehr un­ru­hig in der Nacht nach ih­rem ers­ten Ball; der Kopf war ihr dumpf und be­nom­men, sie fass­te den Ent­schluss, kei­nen zwei­ten zu be­su­chen. Aber als sie im Lau­fe des nächs­ten Ta­ges mit ih­ren Freun­din­nen zu­sam­men­traf und über das Fest re­de­te, schäm­te sie sich, ihre Mei­nung zu ge­ste­hen, und ver­si­cher­te, wie die an­de­ren Mäd­chen alle – auch Lis­beth Wend­ha­gen mit den en­gen Schu­hen – dass sie sich himm­lisch amü­siert habe.

      VII.

      Ein großer Kampf war in Sieg und Glück be­en­det, ein deut­scher Kai­ser war glor­reich ge­krönt, dem Traum ei­ner Na­ti­on war Er­fül­lung er­run­gen – Tau­sen­de von kraft­vol­len Män­nern la­gen zer­schos­sen und ver­we­send un­ter blut­ge­düng­tem Erd­reich.

      Von den Gra­nat­split­tern, die ihr Ziel nicht ge­trof­fen, ver­fer­tig­te man Tin­ten­fäs­ser und nied­li­che klei­ne Blu­men­scha­len, mit de­nen die jun­gen Da­men ihre Bou­doirs schmück­ten. Das Mi­li­tär zu eh­ren war Recht und Pf­licht des deut­schen Mäd­chens.

      Eu­ge­nie Wu­trow hat­te im­mer einen si­che­ren In­stinkt für das Not­wen­di­ge, für das Ziel, dem die öf­fent­li­che Mei­nung ih­res klei­nen Krei­ses zu­streb­te, sie trug einen Pa­le­tot, der bei­na­he ein Uni­form­rock war, ihr Zim­mer glich ei­ner Sei­ten­ab­tei­lung des Zeug­hau­ses, die zu ei­nem krie­ge­ri­schen Fes­te mit Blu­men und den Bil­dern der ho­hen Feld­her­ren fei­er­lich ge­schmückt wor­den war. Der Pa­trio­tis­mus stand ihr wie jede neue Mode und jede idea­le Pf­licht, wo­mit sie ihre an­mu­ti­ge Per­son her­aus­putz­te. Sie hat­te so einen be­son­de­ren Griff, durch den sie je­des Ding für ih­ren Ge­brauch zu­recht­rück­te, und einen fei­nen Ge­schmack für die Mi­schung der Far­ben.

      Wie sie eif­rig wur­de und scharf und le­ben­dig, wenn sie Mar­tin Gref­fin­gers schau­der­haf­te Grund­sät­ze be­kämpf­te! Wie sie sich im Ge­spräch mit ihm keck auf Ge­bie­te wag­te, vor de­nen an­de­re Mäd­chen sich fürch­te­ten!

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