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Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina
Читать онлайн.Название Animant Crumbs Staubchronik
Год выпуска 0
isbn 9783959913928
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ich glaube, nicht so gut. Es ist unglaublich viel zu tun und ich komme zu langsam voran. Hunderte Bücher liegen herum und keiner hat sich um sie gekümmert. Alles ist so groß, dass mir die Füße wehtun, wenn ich einmal hin und her gelaufen bin. Und zu allem anderen bin ich noch gar nicht gekommen«, gestand ich.
»Dann mach doch einfach langsam. Es ist dein zweiter Tag, Ani. Du setzt dich zu sehr unter Druck«, riet Henry mir und ich sackte in mich zusammen, so gut das mit Korsett eben möglich war.
»Du hast leicht reden. Du hast ja auch nicht den Teufel im Nacken, der nur darauf wartet, dass du versagst, damit er sich über dich lustig machen kann«, schimpfte ich, nahm meine Gabel zur Hand und begann zu essen. Essen war gut, Essen beruhigte mich.
»Du meinst Mr Reed?«, lachte Henry und ich sah ihm an, dass er sich zusammenreißen musste, um nicht noch lauter zu lachen.
»Natürlich, wen sonst?«, blaffte ich und pickte mir ein Stück Truthahn aus dem Krautsalat. »Er ist dreist und vorlaut und von Höflichkeit hat er auch noch nie etwas gehört. Er behandelt mich, als ob ich sowieso gleich versagen würde und ich es nicht wert wäre, dass er überhaupt das Wort an mich richtet«, schimpfte ich leise weiter und Henry versteckte sein Lachen hinter seiner Hand.
»Du lässt kein gutes Haar an ihm, was?«, meinte er und ich zuckte mit den Schultern.
»Warum auch? Soweit ich gehört habe, kann niemand ihn ausstehen.« Es schüttelte mich innerlich, wenn ich an ihn dachte, wie er auf mich herabsah und so tat, als ob ich nur nett herumsitzen würde, anstatt zu arbeiten.
»Ich mag ihn«, sagte Henry plötzlich und mir fiel vor Schreck die Kartoffel von der Gabel. Ich sah ihm in die blauen Augen, um sicherzugehen, dass er mich auch nicht auf den Arm nahm, und konnte darauf einfach nichts erwidern.
»Schau mich nicht so an, Ani. Er ist keine Höllenkreatur«, fuhr er fort und ich hätte ihm gerne widersprochen, wäre meine Stimme wieder bei mir gewesen. »Er macht es dir nicht aus Bosheit so schwer, sondern um dir die Gelegenheit zu geben, es allein zu schaffen, ohne Hilfe, wie ein erwachsener Mensch.«
»Sag das nicht so, als ob ich noch ein Kind wäre«, grummelte ich.
»Dann benimm dich auch nicht wie eins!«, warf er mir an den Kopf und stellte seinen Tee wieder ab. »Hör auf zu meckern, tu, was du kannst und alles andere wird sich schon fügen. Wenn du dich provozieren lässt, ist das nur ein Zeichen dafür, dass du dich nicht beherrschen kannst. Und dann wirst du auch weiter wie ein Kind behandelt werden.«
Mühsam schluckte ich gegen den Kloß an, der sich in meinem Hals bildete und mir signalisierte, dass ich mir eigentlich bewusst war, dass Henry recht hatte. Ich musste aufhören, wild um mich zu schlagen, und anfangen, die Dinge zu tun, weil ich es wollte und nicht, um Mr Reed oder meiner Mutter eins auszuwischen.
Aber das war leichter gesagt als getan.
Zumindest hatte Henry mir die Augen geöffnet und mir endlich einen guten Grund gegeben, zu bleiben. Und zwar um meinetwillen und nicht, um jemand anderem etwas zu beweisen.
»Ani.« Sein Blick wurde versöhnlicher. »Du schaffst das.«
Ich nickte, schob meinen Teller zur Seite, von dem ich nur ein paar Bissen gegessen hatte, und machte mich über das Stück Kuchen her. Schließlich war ich erwachsen. Erwachsene durften auch entscheiden, den Kuchen zuerst zu essen.
»Außerdem geratet ihr beide euch nur so sehr in die Hörner, weil ihr euch ziemlich ähnlich seid«, behauptete Henry plötzlich und ich verschluckte mich.
»Bitte was?!«, zischte ich scharf und konnte nur knapp verhindern, dass mir der Kuchen wieder aus dem Mund fiel. »Ganz bestimmt nicht. Hast du nicht gehört, wie ich sagte, er sei dreist und vorlaut und ohne eine Spur von Höflichkeit?«, empörte ich mich, nachdem ich geschluckt hatte, und in Henrys Augen kehrte das Lächeln zurück. Anstatt zu antworten, hob er nur vielsagend eine Augenbraue.
»Ich bin nicht dreist und vorlaut«, wiederholte ich. Henry begann stumm zu essen, womit er mich nur noch mehr verhöhnte.
»Da sagt Mutter aber was anderes«, erwiderte er und ich hörte die nur schwer zu versteckende Belustigung in seiner Stimme, die mich ärgerte.
Denn er hatte schon wieder recht. Mutter beschwerte sich ständig darüber, dass ich im richtigen Moment nicht den Mund hielt und immer alles besser wusste.
»Aber ich bin höflich«, versuchte ich es irgendwie noch zu retten. Henry nickte.
»Na ja. Du meinst, du versteckst deine Unhöflichkeit besser als er«, kommentierte er amüsiert und ich starrte ihn erbost nieder. Das von meinem eigenen Bruder zu hören, traf mich härter, als ich gedacht hätte, und ich wusste nicht, ob ich es verkraften konnte, ihm in diesem Punkt ebenfalls recht zu geben.
Das Sechste oder das, in dem ich eine Gleichgesinnte fand.
Ich stand neben einem leise knisternden Kamin. In der einen Hand hielt ich ein Glas mit Sodawasser, in der anderen ein kleines Sandwich mit Pastete und starrte genervt in einen großen Salon voller Menschen, die ich nicht kannte.
Eigentlich wollte ich überhaupt nicht hier sein und die versprochene Musik blieb bisher auch aus.
Nachdem mich Henry wieder zurück zur Bibliothek gebracht und mich zum Abschied einmal so fest an sich gedrückt hatte, dass ich kaum noch Luft bekam, war ich wieder in meiner Kammer verschwunden, um dort weiterzumachen, wo ich zuvor aufgehört hatte.
Obwohl sich nicht wirklich etwas an meiner Situation änderte, fühlte es sich nach unserem Gespräch zumindest besser an, hier zu sitzen und zu arbeiten.
Ich strich mit den Fingerspitzen über den lederbezogenen Einband eines dicken Buches, das ich aus Seidenpapier ausgewickelt hatte. Die frische Druckertinte stieg mir in die Nase, ich sah den Staub in der Luft tanzen, der von den geschnittenen Seiten herrührte, und genoss die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster hereinschienen und der ganzen Situation eine nostalgische Note verliehen. Es machte mich langsam, wenn ich die Bücher genoss und nicht einfach abarbeitete, aber das war mir in diesem Moment nicht wichtig.
Ich nahm mir Henrys Worte zu Herzen und ging es langsam an. Es war mein zweiter Tag und ich wollte an diesem Abend und allen folgenden nicht wieder so abgekämpft nach Hause taumeln, wie ich es gestern getan hatte. Man hatte mich hierher gebracht in der Annahme, in einer Bibliothek zu arbeiten und nicht, die Sklavin für einen verrückten Bibliothekar zu sein. Ich wollte nicht auf seine Meinung angewiesen sein. Ich würde tun, was ich konnte, mich nicht länger aus der Ruhe bringen lassen und schließlich dadurch beweisen, dass ich eine vollwertige Erwachsene war.
Was sollte er auch machen, außer mich weiter mit arroganten Blicken und gemeinen Kommentaren zu bedenken. Rauswerfen konnte er mich nicht. Zumindest nicht innerhalb des nächsten Monats, dafür hatte Onkel Alfred gesorgt.
Trotz allem bewältigte ich in den nächsten Stunden weit mehr, als ich mir anfangs zugetraut hatte. Bevor ich ging, sortierte ich die Bücher so, dass sie einer Ordnung folgten und ich morgen weniger zu suchen hatte. Dann schraubte ich das Tintenfass zu, klopfte mir den Staub aus dem dunklen Stoff meines Rockes und verließ die Kammer aufgeräumter, als ich sie anfangs vorgefunden hatte.
Mr Reed fand ich im großen, runden Lesesaal vor. Er redete leise mit einem Mann, der noch Mantel und Hut trug und der sich nach wenigen Augenblicken auch schon wieder verabschiedete. Ich nahm die Gelegenheit wahr, mich bei dem Bibliothekar noch einmal zu zeigen, damit er wusste, dass ich pünktlich gehen würde und nicht schon vorher abgehauen war.
»Miss Crumb«, sagte er, als er mich auf sich zukommen sah. Er wirkte nicht gerade erfreut. Seine Augenbrauen waren düster zusammengezogen, die Stirn voller bösartiger Falten. Und auch wenn ich sah, dass er sich um einen neutralen Gesichtsausdruck bemühte, gelang ihm das kaum.
»Mr Reed«, erwiderte ich und fragte mich unwillkürlich, was ich wohl angestellt