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ehe er sich hinter sein Steuerrad schwingt, um in Hamburg an Bord seines Schiffes zu gehen. Hoffen wir, daß der Kahn recht bald in Ordnung gebracht ist. Mit diesen Überlegungen schritt Olsen weiter. Er holte den Haustürschlüssel aus seiner Hosentasche und steckte ihn ins Schloß.

      Lina war nicht im Haus, sie war plötzlich erkrankt und mußte im Krankenhaus von Hannover behandelt werden.

      Das war bedauerlich, aber nicht zu ändern. Henry Olsen dachte dabei mehr an Jutta als an sich selber.

      Er kam allein zurecht, hatte es ja auch nicht allzu schwer. Lebte er in Hamburg in seiner modernen Penthousewohnung, standen ihm eine Aufwartefrau und ein Sekretär zur Verfügung. Und auf sein Boot, mit dem er regelmäßig in die Einsamkeit des Reinhardswalds eintauchte, hatte er außer Jutta noch niemanden eingeladen.

      Mit ihr war das zwar auch schon lange vorbei, aber ein Ersatz fand sich bis heute nicht. Nicht für jene trauten, stillen Stunden, die sich so ganz unterschieden von Old Henrys Leben in Hamburg. Das war seit Juttas Verheiratung eigentlich recht wild bewegt und oftmals sogar ausschweifend. Frauen und Alkohol spielten da eine große Rolle und hatten seinem Ruf einigen Abbruch getan.

      War er jenes Treiben leid, verzog er sich in den Reinhardswald, wie auch nun wieder.

      Er verbrachte die Tage mit Angeln und Schwimmen, fernab jeder menschlichen Berührung.

      Aber nun war er heimgekehrt in dieses alte, geliebte und verhaßte Haus, an die Stätte immerwährender Enttäuschung, denn das Haus wurde gekauft für eine Familie, die es niemals geben würde. Für seine Familie. Darin sollten Jutta seine Frau sein und die Kinder seine Kinder.

      Die Kinder! Olsen warf in der Diele seine Jacke über den Kleiderständer. Das war auch so ein Dorn in seinem Fleische.

      Wann würde es ihm endlich gelingen, Kai und Heike ohne versteckten Groll zu betrachten? Wohl kaum!

      Ein Wunder, daß die beiden überhaupt so unbefangen hier Ferien machen konnten.

      Aber das kam sicher daher, weil er sich bald wieder verzog. Nur begrüßen würde er Jutta, vielleicht zwei, drei Tage ihre Nähe genießen. Dann nichts wie ab nach Hamburg.

      Olsen durchquerte die Diele, um sich im anschließenden Wohnraum einen Whisky zu genehmigen.

      Gerade führte er das Glas zum Mund, als die Hausglocke ertönte.

      Nanu! Wer konnte das um diese Zeit sein? Jutta und die Kinder etwa schon?

      Aber nein, Jutta hielt sich immer genau an den angekündigten Termin. Aber Lina konnte es auch nicht sein, denn die alte Frau würde erst in acht Tagen von ihm im Hospital abgeholt und zur Nacherholung in ein Sanatorium gebracht werden.

      Olsen stellte sein Glas ab und ging zur Haustür. Er öffnete und hob verwundert seine dichten Brauen.

      »Sie wünschen bitte?« fragte er mürrisch.

      »Können Sie sich das nicht denken, Herr Olsen?« erwiderte die Frau kühl und schob sich an ihm vorbei in die Diele.

      Das sah Olsen gar nicht gern. Er hatte was gegen Frauen, die aufdringlich und maskulin waren. Und diese hier sah ganz so aus, als sei sie eine jener Emanzipierten, die sich vor nichts fürchteten und jedem gleich gehörig auf die Füße traten.

      »Nein«, gab er darum unwirsch zurück und musterte den späten Eindringling von Kopf bis Fuß, »kann mir eigentlich nicht denken, was Sie zu dieser Stunde in mein Haus führt.«

      Über die scharfen Brillengläser hinweg betrachtete die Frau angestrengt die Diele.

      »Nun sagen Sie’s schon! Wo? Wo sind die Kinder? Da haben Sie sich etwas sehr Unangenehmes eingebrockt, Herr Olsen!«

      Seine Augen verengten sich zu einem schmalen Spalt.

      »Würden Sie bitte deutlicher werden!« herrschte er die Frau verhalten an.

      Wenn Fräulein Krümel Old Henry näher gekannt hätte, wäre sie vielleicht behutsamer vorgegangen. So jedoch beherrschte sie nur die Sorge um die Kinder, die sie nun seit zwei Tagen vergebens suchte und von denen sie vorhin die erste Spur gefunden zu haben glaubte.

      So zog sie nun eine leuchtendrote Haarschleife aus ihrer Manteltasche und hielt sie dem verdutzten Mann geradewegs unter die Nase.

      »Und was ist das? Verstehen Sie nun, daß Ihr Spiel aus ist, Herr Olsen? Ich bezichtige Sie der Kindesentführung! Wobei mir noch nicht klar ist, warum Sie das getan haben. Aber vielleicht wissen Sie recht gut, daß Sie niemals eine Chance hätten, Kai und Heike zugesprochen zu bekommen. Sie nicht! Dazu haben Sie einen viel zu üblen Ruf!«

      In der nächsten Minute brach ein fürchterliches Donnerwetter über das Haupt der armen Fürsorgerin los.

      Beide ahnten nicht, daß zwei kleine Gestalten oben auf der Galerie hockten und jedes Wort begierig mithörten.

      *

      Als Kai und Heike an diesem Morgen erwachten, galt ihre erste Sorge dem Boot.

      »Ich sehe mal nach, ob Old Henry heimgekommen ist«, flüsterte Kai noch schlaftrunken Heike zu und schlüpfte aus dem Bett.

      Ein verstohlener Blick aus dem Fenster sagte dem Jungen, daß Olsen noch nicht da war, denn der Steg lag einsam im tanzenden Licht der ersten Sonnenstrahlen. Keine Spur von einem schmucken Boot.

      »Wir sind allein! Hurra! Heike, komm aus den Federn, in einer halben Stunde gibt’s Frühstück. Bimbo! Du Langschläfer! Komm mit!«

      Kai schlüpfte in seine Hose, ärgerlich betrachtete er den Riß, denn er hatte nur diese eine Hose dabei und mochte nicht so herumlaufen.

      »Die werde ich gleich unten bei Lina in der Küche nähen«, entschied Kai recht großspurig.

      Es schien ihm ratsam, so forsch aufzutreten, denn unten aus der Küche kam nicht ein einziger Laut. Es war still, bedrückend still.

      Das konnte nur heißen, daß die alte Lina auch noch nicht wieder ins Olsenhaus zurückgekehrt war.

      Ein rascher Blick auf Heike zeigte dem Jungen, daß die Kleine den Tränen wieder sehr nahe war.

      So mußte Kai doppelt sicher auftreten, mußte ganz so tun, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß sie beide hier mutterseelenallein in dem verwahrlosten Haus lebten.

      Aber Heike war nur schwer zu beruhigen. Sie hockte wie ein Häuflein Elend da und zog einen Flunsch, während ihre hellblauen Augen sich verdunkelten wie ein Sommerhimmel bei aufkommendem Gewitter.

      »Du… du kannst gar nicht nähen, nicht deine… deine kaputte Hose flicken, weil du das noch niemals gemacht hast. Das hat immer Mutti gemacht. Oh, Kai! Ich will zu meiner Mami.«

      Das klang wie ein Aufschrei in tiefster Not und trieb Kai sogleich an Heikes Seite.

      »Still, Heike! Nicht schon wieder so schrecklich weinen! Oho! Du weißt noch gar nicht, was ich alles kann! Wart’s nur ab! Jetzt mache ich uns erst mal ein Frühstück. Das schaffe ich schon. Aber natürlich wäre es mir lieber, wenn du mir dabei helfen würdest, weil du doch nun mal ein Mädchen bist und bei Mutti schon ab und zu den Tisch gedeckt hast.«

      Das war nun eine sehr kluge Rede von ihm, fand Kai, denn Heikes Gesichtchen hellte sich ein wenig auf, und sie sprang aus dem Bett und suchte mit Eifer ihre Sachen zusammen.

      »Ja, das kann ich gut«, meinte sie dabei mit aufgeregter Stimme, »den Tisch decken. Ich helf dir gern, Kai. Paß auf, ich lasse nichts fallen. Bin schon fertig!«

      Verstohlen atmete Kai auf. Es war wirklich schwierig mit der Kleinen, aber für ihn war es ja auch schlimm. Er vermißte seine Mutti auch.

      Gemeinsam schlichen sie die Treppe hinunter, ließen Bimbo in den Garten hinaus und begaben sich dann in die Küche.

      »Sie ist wirklich nicht hier, Kai. Wo mag Lina denn nur sein?« wisperte Heike mit ängstlichen Augen.

      »Weiß ich nicht«, gab Kai betont gelassen zurück. »Ist ja auch egal, wir schaffen

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