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gnädige Frau.« Dorle verschwand. Frau Kibeling griff zur Zeitung. Sie las einen Artikel über einen Filmstar, der die dritte Scheidung hinter sich hatte, und mußte wieder den Kopf schütteln. Gab es denn keine Liebe mehr unter den Menschen? Waren die Männer alle verrückt geworden? Oder waren es die jungen Frauen, die sich rücksichtslos an Familienväter heranmachten? Zu ihrer Zeit wenigstens hatte es so etwas nicht gegeben. Da waren Ehemänner einfach tabu gewesen.

      Wenige Augenblicke später erschien ihre Tochter Natalie. Natalie war eine schmale aparte Schönheit mit dunklen Augen und fast pechschwarzem Haar. Wortlos nahm sie eine Zigarettenpackung vom Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Dann setzte sie sich ihrer Mutter gegenüber, wandte den Kopf mit gelangweiltem Gesicht der Aussicht zu und seufzte.

      »Komm, Natalie, trink einen Schluck Wein.«

      »Nein, danke, Mutter. Er bekommt mir nicht.«

      Frau Kibeling betrachtete ihre hübsche Tochter mit unverhohlener Unzufriedenheit und griff wieder zum Weinglas.

      »Dir bekommt gar nichts, Natalie. Und ich weiß auch, warum. Du bist tod­unglücklich.«

      Natalie seufzte.

      »Wenn du hier weiterhin bei mir herumsitzt und nicht endlich dein Schicksal in die Hand nimmst, wirst du immer unglücklicher. Vier Wochen sind eine lange Zeit für eine bedrohte Ehe, mein Kind. Gerhard wird dich inzwischen vermissen. Ich weiß zwar nicht, was er verbrochen hat…«

      »Stell bitte keine Fragen, Mutter.«

      Frau Kibeling trug ihren buntgeblümten Hosenanzug, der ihre frische Gesichtsfarbe und ihre rundlichen Formen noch betonte. Sie war immer lebenslustig gewesen und hatte eine sehr harmonische Ehe geführt. Seitdem ihre Kinder erwachsen waren und ihr Mann gestorben war, fand sie das Leben manchmal etwas eintönig. Darum war sie zunächst ganz begeistert gewesen, als Natalie eines Tages mit zwei Koffern vor der Tür stand. Schon damals hatte ihre Tochter sie gebeten, keine Fragen zu stellen, aber inzwischen war ein Monat vergangen. Weder ihr Schwiegersohn noch die Kinder hatten einmal angerufen. Da sie eine erfahrene Frau war, überlegte sie manchmal, ob es Natalie war, die sich etwas hatte zuschulden kommen lassen. Heutzutage war alles möglich.

      »Eine Frage stelle ich doch, mein Kind«, begann sie nach längerem Schweigen.

      »Wie lange willst du hier noch Trübsal blasen?«

      Natalie zuckte zusammen. Sie strich über den feingestreiften Seidenrock und betrachtete das Stoffmuster.

      »Bis ich einen Entschluß gefaßt habe, Mutter. Wenn dich meine Gegenwart stört, kann ich ja in ein Hotel ziehen.«

      »Davon war nicht die Rede, Natalie. Aber du hast zwei süße Kinder. Du wirst ihnen fehlen.«

      »Wir haben eine Haushälterin engagiert.«

      »Ist sie nett? Ich meine, ersetzt sie deinen Kindern die Mutter?«

      »Ich habe sie nur einmal gesehen. Sie machte einen guten Eindruck. Außerdem ist Gerhard ja in dem neuen Haus. Er soll ruhig die Renovierungsarbeiten überwachen.«

      Das Telefon klingelte. Frau Nibeling wollte sich erheben, aber sie hörte, daß das Dienstmädchen schon an den Apparat gegangen war.

      Gleich darauf stand Dorle in der Tür.

      »Ein Anruf für Sie, Frau Stellmann.«

      »Für mich?« Natalie war überrascht, aber ihre Mutter lehnte sich zufrieden im Stuhl zurück, nippte am Wein und lächelte. »Na endlich! Gerhard hat Sehnsucht nach dir.«

      Sie sah Natalie nach, wie sie mit geschmeidigen Bewegungen ins Wohnzimmer ging. Dann schaute sie auf die Umrisse der Berge. Es war ein herrlicher Sommerabend. Nächstes Jahr konnte sie bestimmt einige Zeit in Lüttdorf im Haus ihres Schwiegersohnes verbringen und dort abends am See ihren Wein trinken.

      Wie vorauszusehen, telefonierte Natalie recht lange. Es mußte ein liebevolles, inniges Gespräch sein, denn sie hatte nach einigen Minuten die Tür zum Balkon geschlossen. Ihre Mutter sollte also nicht hören, was sie sprach. Das störte Frau Kibeling nicht. Sie wußte sehr gut, daß es Sätze zwischen Liebenden gab, die nicht für fremde Ohren bestimmt waren.

      Als Natalie wieder auf den Balkon trat, sah sie sie gespannt an. Ihre Tochter war blaß geworden. Aber sie konnte sich auch irren. Das kleine Balkonlämpchen verbreitete einen fahlen Schein.

      Natalie griff nach der Weinflasche und schenkte das zweite Glas voll. Sie nahm es, setzte sich und starrte auf die Bergkette.

      »Schmeckt dir der Frankenwein nun doch?« erkundigte sich die Witwe nach einer gewissen Zeit des geduldigen Wartens. Natalie nickte.

      »Und wie geht es den Kindern?« Frau Kibeling wollte nicht neugierig sein. Natalie hatte die letzten vier Wochen größte Wortkargheit gezeigt. Aber eine liebende Großmutter konnte sich nach den Enkelkindern erkundigen.

      »Das weiß ich nicht«, erwiderte Natalie, ohne auch nur die geringste Bewegung zu machen.

      »Du weißt es nicht?« wunderte sich ihre Mutter. »Mit wem hast du denn gesprochen?«

      »Mit Angie.«

      »Mit Angie, deiner netten Schwägerin?« Als Natalie abermals nickte, fuhr sie heiter fort: »Das ist ja reizend! Wie geht es ihr denn? Sie hat einen fast erwachsenen Sohn, nicht wahr? Mein liebes Kind, nimm dir nur an Angie ein Beispiel. Es gehört viel dazu, ein Kind ohne Vater großzuziehen.«

      Jetzt ruckte Natalies Kopf herum. »Was willst du damit sagen, Mutter?« Es klang sehr feindselig, und Frau Kibeling rückte ihre Lesebrille auf ihre Nasenspitze, um in das Gesicht ihrer Tochter schauen zu können. Natalie hatte sich wirklich sehr verändert. Früher war sie die Sanftmut in Person gewesen. Vielleicht war sie jetzt zu wohlhabend, nachdem sich Gerhard ein Vermögen an der Börse verdient hatte, und brachte nicht mehr genug Geduld für die Belange anderer Menschen auf. Aber da Rosa Kibeling nicht wußte, wie lange sie Natalie noch beherbergen mußte, war sie bemüht, den Frieden zu erhalten.

      »Ich meine, es wäre nett, wenn Gerhard seine Schwester auch mal nach Lüttdorf einladen würde. Viel Geld hat Angie doch nicht. Malt sie noch?«

      Sie bekam wieder keine Antwort, und allmählich empfand sie das Verhalten ihrer Tochter als unhöflich.

      Nach einer Weile begann sie wieder zu sprechen. »Wenn ich nächstes Jahr in Lüttdorf bin, müßt ihr Angie auch zu Besuch bitten. Sie hat mir immer so gefallen. Einen richtigen Urlaub kann sie sich bestimmt nicht leisten. Dein Mann soll sich von seiner großzügigen Seite zeigen, Natalie.«

      Jetzt mußte sie etwas Falsches gesagt haben. Denn ihre Tochter sprang auf und setzte das halbvolle Weinglas so hart auf den Tisch, daß das köstliche Naß über den Rand schwappte und die bestickte Tischdecke fleckig wurde.

      »Angie befindet sich bereits in Lüttdorf, Mutter!«

      »So? Das ist nett von ihr, Natalie. Dann kannst du ja ganz beruhigt sein. Gerhard hat recht getan, seine Schwester zu den Kindern zu holen.«

      »Gerhard hat eine andere!« Natalie preßte es hervor, gleichzeitig schlug sie die Hände vors Gesicht und ließ sich aufschluchzend in den Stuhl fallen.

      Sekundenlang blieb Frau Kibeling wie erstarrt sitzen. Geahnt hatte sie etwas, aber da sie dieser Ahnung aus einem Gefühl des Vertrauens Gerhard gegenüber nicht nachgeben wollte, hatte sie den Gedanken an eine Ehekrise ihrer Tochter immer weit von sich geschoben. Und da auch ihr geduldiges Warten auf ein offenes Wort von Natalie nicht belohnt worden war, wollte sie nicht weiter in ihre Tochter dringen. Indiskretion war nie ihre Stärke gewesen. Jetzt aber war alles anders.

      »Woher weißt du es?«

      »Von Angie«, schluchzte Natalie. »Diese Nora Anderson hat ja keine Ruhe gegeben. Sogar ins Haus geschlichen hat sie sich und sich bei meinen Kindern eingeschmeichelt.«

      »Moment mal«, unterbrach Rosa Kibeling sie. »Warum hat Angie das denn geduldet? Und wer hat sie überhaupt nach Lüttdorf geholt?«

      Endlich

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