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Polizeibeamten erhoben sich von ihren Sitzen und fingen gutgelaunt mit ihren stichprobenartigen Fahndungskontrollen an. Blieben aber gleich bei der ersten Person stecken. Der junge Mann schien keinen Personalausweis bei sich zu haben. Er suchte verzweifelt all seine Taschen ab, fand aber nichts.

      „Haben sie kein anderes Dokument wie zum Beispiel eine Fahrerlaubnis, Studentenkarte oder irgendeinen Versicherungsausweis mit Lichtbild bei sich? Schauen Sie bitte noch mal nach.“

      Der junge Mann fing wieder an zu suchen.

      Zur selben Zeit erklärte Anika ihrem Praktikanten: „Siehst du, wie der Zug die Verspätung aufholt? Spätestens, wenn wir in Sondershausen abfahren, sind wir wieder pünktlich! Wenigstens fast.“

      Knut nickte skeptisch.

      Jetzt mischte sich der Triebfahrzeugführer ein: „Anika, übertreibe nicht. Es reicht, wenn wir bis Erfurt wieder pünktlich sind. Und nun anderes Thema. Habe ich dir schon erzählt, dass mein Großer gestern eine Fünf in Mathe mit nach Hause gebracht hat? Ich war ganz schön sauer auf diesen Bengel. Und das ist ja nicht die erste Fünf. Erst neulich, das ist gerade mal drei Wochen her, hatte der sogar eine Sechs! Jetzt hab ich ihm eine Woche Ausgangssperre aufgebrummt. Es scheint zu helfen. Glaube ich wenigstens. Du musst mal sehen, wie der jetzt büffelt. Gerade in der heutigen Zeit ist es doch wichtig, dass man gute Noten … Anika! Ich glaube, da kommt eine Lok auf uns zu! Verdammt! Da kommt tatsächlich eine Lok! Scheiße! Anika! Schnapp dir deinen Praktikanten und rennt so schnell wie möglich in den Zug und sucht euch einen sicheren Platz!“

      Im selben Moment riss der Triebfahrzeugführer die Bremse herum und schlug mit der Faust auf das Signalhorn. Bei dem Druck, der bei dieser Gefahrenbremsung entstand, hatten sie aus eigener Kraft kaum eine Chance, den Führerstand zu verlassen. Knut, der in der Tür stand, rannte los und erreichte das erste Abteil. Der Triebfahrzeugführer sprang nach Auslösung der Bremse auf, stemmte sich gegen die Bremswirkung, schnappte sich die Kundenbetreuerin und schob sie aus dem Führerstand, schmiss die Tür hinter sich zu und im selben Moment erfolgte der Aufprall. Durch den Aufprall wurde der Führerstand komplett zusammengepresst. Der Druck verformte auch den dahinter liegenden Bereich bis hin zur Eingangstür. Der Triebwagen entgleiste, kippte zur Seite und kam in einer gefährlichen Schräglage zum Stehen. Nun drohte der Triebwagen zu jeder Zeit umzustürzen und die entgegengekommene Diesellok hatte sich im Triebwagen verkeilt.

      Im hinteren Teil des Triebwagens hörte man zuerst einen lauten Knall, dann das Bersten von Metall und Kunststoff und dann spürte man die Wucht des Aufpralls. Die Reisenden wurden durch den Zug geschleudert und blieben irgendwo im Abteil liegen. Auch die zwei Bundespolizisten blieben davon nicht verschont. Obwohl sie versucht hatten sich festzuhalten, riss die Wucht beide Beamten mit und sie schlugen auf dem Boden auf und rutschten meterweit durch den Zug. Dabei hatten sie mächtig Glück gehabt, da sie nicht ernsthaft verletzt wurden.

      Nun hörte Erich schmerzhafte Schreie und verzweifelte Hilferufe. Er rappelte sich auf und schaute sich um. Was er da sah und hörte, machte ihn fassungslos. Bei dem Anblick musste er sich zusammenreißen und durfte nicht zeigen, dass er selbst auch Schmerzen hatte. Und im ersten Moment wusste er nicht, was er zuerst und zuletzt machen sollte: „Ich brauche Hilfe. Nein! Ich nicht! Die Leute brauchen Hilfe. Ich muss helfen! Verdammt noch mal!“ Er nahm sein Funkgerät und rief die Leitstelle: „Efeu 47 für die Efeu 47-20 kommen!“

      „Efeu 47 hört.“

      „Hier die Efeu 47-20! Ich muss einen Unfall melden! Unser Zug ist vermutlich mit einem Hindernis zusammengestoßen! Wir haben hier etliche Verletzte und brauchen dringendst Unterstützung vom Rettungsdienst, Notarzt und Feuerwehr. Unser Standort liegt zwischen Großfurra und Sondershausen. Den genauen Bahnkilometer kann ich von hier aus nicht sehen. Unser Zug steht ungefähr auf halber Strecke zum ehemaligen Bahnhof ‚Glück Auf‘. Ich gehe jetzt durch den Zug und helfe den Verletzten. Und wenn ich Näheres weiß, melde ich mich wieder. Efeu 47-20 Ende!“

       Eine Hochzeitsgesellschaft in Großfurra

      Der Brautvater Manfred Kaune verließ als letzter das Haus und schaute nach, ob alles ordnungsgemäß verschlossen war. Dann ging auch er zur Kutsche und begrüßte seinen zukünftigen Schwiegersohn und dessen Eltern. Dieser bestaunte seine zukünftige Braut und war über das Hochzeitskleid sprachlos: „Schatz du siehst umwerfend aus. Komm, lass dich küssen.“

      „Nein, jetzt noch nicht!“, mischte sich der Brautvater ein. „Erst nachdem du ‚Ja‘ gesagt hast!“

      Der Bräutigam gab nach und half seiner Braut beim Einsteigen in die Kutsche. Da klingelte ein Handy. Es war das Handy des Brautvaters. Er zog es aus seiner Tasche und legte es an sein Ohr. Dann wurde er blass und fing an, ein wenig zu zittern. Alle, die das mitbekommen hatten, sahen, dass hier irgendwas nicht stimmte. Manfred ging ein wenig zur Seite und schaute seine Tochter an. Es war ein trauriger Blick. Er war verunsichert und wusste nicht, was er dem Anrufer antworten sollte. Er ging beiseite und setzte sich auf einen Stein. Stand sofort wieder auf und steckte sein Handy wieder weg. Mit unsicheren Schritten ging er zur Tochter und sagte: „Ich kann nicht mitkommen. Verzeih mir, liebe Andrea. Ich glaube, du musst ohne mich heiraten.“

      Die Braut schaute ihn entsetzt an und sagte: „Nein! Das darfst du nicht! Du musst mitkommen! Egal, was man dir da gerade gesagt hat. Das ist unwichtig! Mach mir meinen schönsten Tag nicht kaputt!“

      „Ich kann nicht anders. Da gab es einen Unfall auf der Eisenbahn mit vielen Verletzten. Es können auch Tote dabei sein. Ich muss dort hin und muss helfen. Es tut mir wirklich leid. Fahrt los und wartet nicht auf mich. Ich komme so schnell wie möglich nach.“

      „Nein! Du steigst sofort in die Kutsche! Die können auch ohne dich dorthin fahren.“

      „Nein, das geht nicht. Ich kann nicht anders. Ich bin der Wehrführer.“ Dem Brautvater standen bei dem Anblick seiner Tochter die Tränen in den Augen. Dann drehte er sich um und rannte schweren Herzens zur Einsatzstelle der Feuerwehr.

      Kurz darauf hörte man die Sirene.

       Im Zug

      Erich hatte noch nicht wirklich begriffen, was passiert war, und er musste sich ein Bild von der Situation machen. Zuerst suchte er seinen Kollegen und fand ihn zwei Sitzreihen weiter. Der versuchte auch gerade aufzustehen und stützte sich dabei auf eine Sitzfläche, diese brach auf Grund einer Beschädigung weg und er stürzte wieder zu Boden. Erich rannte hin, half ihm hoch und fragte: Hast du irgendwo Schmerzen? Was kann ich für dich tun?“

      „Ich? Ich hab doch keine Schmerzen. Mir geht es gut!“

      „Und was ist das für Blut an deiner Schläfe?“

      Der Mehlmann fasste sich dorthin und antwortete: „Das ist nicht mein Blut!“

      Erich sah, dass er schwindelte, und begutachtete die Wunde genauer. Es war Gott sei Dank nur eine Schürfwunde. Ein größeres Pflaster konnte da schon helfen.

      „Mehlmann, wir müssen uns unbedingt einen Überblick verschaffen und den Verletzten helfen. Wir müssen durch den Zug. Die Leitstelle weiß schon Bescheid.“

      Beide gingen los. Nebenbei sah Erich den jungen Mann, welcher seinen Personalausweis nicht vorzeigen konnte, wie er sich um eine verletzte ältere Frau kümmerte. Erich fand das gut, war froh und nickte freundlich. Der junge Mann sprach: „Ich wurde beim Militär zum Rettungssanitäter ausgebildet. Ich werde helfen, wo ich kann!“

      Und ja, Hilfe war dringend notwendig. Die zwei Polizeibeamten, die den ersten Schock hinter sich gelassen hatten, kümmerten sich ebenfalls um die Verletzten. Nebenbei wurden die Betroffenen gezählt und überprüft, wie schwer die Verletzungen sind. Es sollte dementsprechend Hilfe angefordert werden. Im hinteren Abteil, wo sich die zwei beim Aufprall aufgehalten hatten, zählten sie acht Leichtverletzte und eine schwerverletzte Frau. Die Zahlen wurden sofort durchgegeben. Im Bereich der Eingangstüren wurde versucht, wenigstens eine Tür zu öffnen. Denn sobald die Rettungskräfte eintreffen, sollten sie einen schnellen und barrierefreien Zugang in den Triebwagen haben. Das klappte leider nicht. Die Türen waren verriegelt und hatten sich durch den Aufprall verklemmt. Somit wurden mit dem Nothammer, welcher

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