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befragte Eisenbahner, Anwohner und Reisende, die zu dem Zeitpunkt im Zug waren und andere Zeugen, die den Zusammenprall als Unbeteiligte beobachtet hatten. Es wurden umfangreiche Erkenntnisse gesammelt und die Akte wurde immer dicker und aussagekräftiger.

      Erich versah in der Zeit, wie er es gewohnt war, seinen regulären Streifendienst und war dabei immer wieder froh, mit seinen alten Kollegen zusammenarbeiten zu können. Sei es in der Woche, an den Wochenenden oder an den Feiertagen. Das spielte keine Rolle und das gehört nun mal zum Beruf.

      Irgendwann sagte Jutta zu Elu: „Hast du das auch mitgekriegt, wie sich Erich und der Mehlmann verändert haben?“

      „Ja, das hab ich. Aber beruhige dich. Mit der Zeit legt sich das wieder.“

      „Ja, ich weiß. Trotzdem verstehe ich das nicht. Ich sag’s mal ganz ehrlich. Ich wollte zu dem Zeitpunkt nicht im Zug gewesen sein. Zum Helfen ja, sonst nein. Überlege mal: die Schreie, die Verletzten, das Chaos und die Ungewissheit, ob sie überleben oder nicht? Das alles stand ja auf der Kippe. Im Nachhinein hatten sie großes Glück. Es gab keine Toten. Alle haben überlebt. Und was haben wir in der Zeit gemacht? Ich hab ein schlechtes Gewissen und denke manchmal, ob sie denken, dass wir sie in Stich gelassen haben?“

      „Nein, das kann ich dir sagen. Das denken sie nicht! Sie wissen, dass wir auch unsere Aufgaben und Befehle hatten. Wir haben alles dokumentiert, Spuren gesichert und die augenscheinlichen Schäden aufgenommen. Wir haben Gaffer vertrieben und daran gehindert, dass sie zwischen den Gleisen rum laufen. Wir haben die Zufahrtsstraße für die An- und Abfahrt der Einsatzfahrzeuge frei gehalten und den Verkehr geregelt.“

      „Und da geholfen, wo unsere Hilfe nötig war. Und ja, am liebsten wäre ich, wie ich schon gesagt habe, in den Zug geklettert, um dort mit anzufassen.“

      „Das glaube ich. Ich übrigens auch. Aber da wären wir den Rettungskräften nur im Wege gewesen. Unsere Arbeit war in dem Fall auch sehr wichtig!“

      „Ja, hast ja recht! Wir haben unsere Arbeit gemacht.“

      Jetzt sollten noch etliche Wochen ins Land gehen, bis wieder Bewegung in die Sache kam. Es war mehr oder weniger der Zufall, der zu Hilfe kam. Erich sah, als er von einer Zugstreife zurückkam, den beschuldigten Fahrdienstleiter Robert Schmidt. Er saß im Bahnhof Nordhausen auf einer Bank und starrte vor sich hin.

      Erich sprach ihn an: „Guten Tag, Herr Schmidt. Wie geht es Ihnen?“

      „Guten Tag! Was wollen Sie von mir hören? Das es mir gut geht? Mir geht es nicht gut! Mir geht es beschissen! Ich mache mir die ganze Zeit Vorwürfe. Das mit dem Zusammenstoß hätte mir nicht passieren dürfen. Ich bin eindeutig Schuld. Ich habe nicht aufgepasst und bin eingeschlafen. Das habe ich doch alles schon der Frau Ritter so erklärt. Jetzt warte ich nur noch auf die Gerichtsverhandlung. Ich werde dort meine Schuld zugeben und hoffe auf ein mildes Urteil. Ich will hoffen, dass ich nicht in den Knast wandere. Und wenn das alles vorbei ist, wird mich hier nie wieder einer sehen. Ich gehe ganz weit weg von hier! Und ja, meine Frau will sich nun auch noch von mir scheiden lassen! Und da fragen Sie, wie es mir geht? Was wollen Sie noch von mir hören?“

      „Ich glaube, ich habe genug gehört. Es tut mir wirklich Leid für Sie. Das können Sie mir glauben. Ich habe trotzdem noch eine Frage.“

      „Na fragen sie schon. Ist doch eh alles egal.“

      „Eine Frau, welche unweit vom Bahnhof wohnt, wurde kürzlich als Zeugin befragt. Sie hat ausgesagt, dass Sie an dem Tag dreimal Besuch auf dem Stellwerk hatten? Wer war das alles und was wollten diejenigen?“

      „Ja, ich hatte Besuch. Es war Ingolf Glöckner, der wollte noch mal zu mir kommen.“

      „Und wer noch? Die Frau hat von dreimal geredet.“

      „Da irrt sie sich. Es war nur Ingolf. Der war zweimal da und das auch nur, weil er zwischendurch noch mal zu seinem Auto gegangen war, um Kaffee zu holen.“

      „Und wer war beim dritten Mal da?“

      „Keiner! Es war nur Ingolf, und der war nur zweimal da.“

      „Und warum haben Sie das so nicht ausgesagt?“

      „Ich wollte die Sache nicht noch schlimmer machen. Denn, laut Fahrdienstvorschrift ist es verboten, dass Betriebsfremde auf das Stellwerk kommen dürfen. Und da Ingolf zu diesem Zeitpunkt schon kein Eisenbahner mehr war, galt er als betriebsfremd. Und jetzt bin ich betriebsfremd und Ingolf arbeitet für mich, er sitzt nun auf meiner Planstelle. … auf meiner ehemaligen Planstelle. Entschuldigung, bringe alles durcheinander.“

      „Und was hat der auf dem Stellwerk von Ihnen gewollt? Überlegen Sie bitte in Ruhe.“

      „Der wollte noch mal an seinen Spind. Der hatte da was vergessen.“

      „Und war er an seinem Spind?“

      „Lassen Sie mich mal kurz überlegen. Ich glaube … ja, nein. Nein, der war nicht an seinem Spind.“

      „Jetzt habe ich noch eine Frage: Könnte es sein, dass Ihr Kollege, bevor er den Kaffee geholt hat, irgendetwas da rein gemischt hat? Immerhin wurden sie ja nach dem Kaffee müde.“

      „Das glaube ich nicht. Ingolf hat denselben Kaffee getrunken. Da hätte er auch einschlafen müssen.“

      „Trotzdem habe ich das Gefühl, dass hier irgendwas nicht stimmt. Ich möchte Ihnen noch eine Frage stellen: Warum haben Sie den Triebwagen losgeschickt, obwohl die Lok vorgemeldet war?“

      „Es tut mir leid. Ich kann mich nicht daran erinnern. Und außerdem habe ich das alles schon der Frau Ritter erzählt. Ich kann diese Fragen nicht mehr hören! Warum werde ich immer und immer wieder danach gefragt?“

      Dabei sackte Herr Schmidt sichtlich in sich zusammen. Erich schaute in sein Gesicht und sah, dass ihn sein Gewissen quälte, und antwortete auf seine Frage: „Weil ich das nicht glaube. Erklären Sie mir doch bitte, wie so ein Zug vorgemeldet wird!“

      Herr Schmidt hob seinen Kopf ein wenig an und erklärte in einem leisen Tonfall: „Das geht ganz einfach. Nehmen wir mal an, ich will einen Zug nach Sondershausen fahren lassen. Der Zug steht bei mir am Bahnsteig 1. Da rufe ich mit dem Streckenfernsprecher den entsprechenden Fahrdienstleiter an. Der geht am anderen Ende ans Telefon und meldet sich: ‚Fahrdienstleiter Sondershausen, Henzelmann! Nur um einen Namen zu nennen.‘

      Danach rede ich: ‚Kleinfurra, Schmidt! Zug 86593 voraussichtlich ab 24!‘

      Dann antwortet Sondershausen: ‚Ich wiederhole, Zug 86593 voraussichtlich ab 24.‘

      Dabei wird von beiden Fahrdienstleitern der Zug in ihr Zugmeldebuch eingetragen. Die 24 steht übrigens für die Minuten. Die Stunde ist bekannt und wird nicht mit durchgegeben. Im Zugmeldebuch gibt es dafür die entsprechenden Spalten. Nachdem der Zug eingetragen wurde, werden die entsprechenden Weichen gestellt, die Zustimmung vom Weichenwärter eingeholt, mechanisch und elektrisch gesichert, und danach wird das Signal auf Fahrt gestellt. Sollte zu dem Zeitpunkt eine Weiche falsch liegen, lässt sich die Fahrstraße nicht festlegen und das Signal kann nicht bedient werden. Das dient alles der Sicherheit. Der Weichenwärter sitzt übrigens am anderen Ende des Bahnhofes und bedient dort seine Weichen und Signale. Wir sind ein eingespieltes Team und ohne diese Zusammenarbeit würde kein einziger Zug rollen.“

      „Herr Schmidt, nachdem was Sie mir gerade erklärt haben, kann ich es mir nicht vorstellen, dass Sie den Zug im Schlaf losgeschickt haben und dass Sie sich nicht daran erinnern können. Irgendwas verschweigen Sie.“

      „Ich verschweige nichts. Wirklich nichts. Ich habe alles, was ich weiß, ausgesagt. Mehr kann ich nicht tun. Sie müssen mir glauben.“

      Nach dieser ausführlichen Erklärung hatte Erich einen Verdacht und darüber wollte er sich mit Frau Ritter unterhalten. Zu Herrn Schmidt gewandt sagte er: „So, und jetzt gehen wir auf die Dienststelle und dort erzählen Sie dem Ermittlungsdienst genau das, was Sie mir gerade über den Besuch auf dem Stellwerk erzählt haben. Ich werde auch was dazu schreiben.“

      Widerwillig ging der Fahrdienstleiter mit. Eigentlich wollte er die ganzen Befragungen

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