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den Tieren vor, weswegen die Evolution ihnen und nicht den Pflanzen Gehirne zugestand. Die andere, der Gestaltwandel, vollzieht sich zum Beispiel bei der Raupe, die sich zum Schmetterling buchstäblich entfaltet, oder beim Generationswechsel von Nesseltieren, die als Polypen fest auf Grund sitzen, bevor sie, sich quer abschnürend, als Quallen davonsegeln. So wird die Idee der Veränderung erfahrbar im Werden und Vergehen und Wieder-Werden, was den einander ablösenden – oder besser: sich fortzeugenden – Zeit-Räumen den Anschein eines Kreislaufs verleiht; eines ewigen Kreislaufs. Freilich, so grenzenlos, wie uns die Zeit landläufig scheint, ist sie nicht. Das ahnten die Autoren des Alten und des Neuen Testaments der Bibel, wenn sie den Anfang von Allem in den sechs Schöpfungstagen des – am siebten Tag redlich erschöpften – Gottes schilderten und das Ende an dessen Jüngstem Gericht über Welt und Menschen erwarteten. Nicht ganz unähnlich unterrichtet uns die Astrophysik darüber, wie der Urknall oder big bang die Zeit, vereint mit dem Raum und zusammen mit aller Materie, vor etwa 13,8 Milliarden Jahren hervorbrachte; und sie wird, mit allem im All und mit diesem selbst, irgendwann in undenkbar weiter Ferne wieder zugrunde gehen, egal ob in einem big crunch oder big rip, einem big chill oder wie die Weissagungen der Experten alle heißen. Ein endgültiges Ende? Oder folgt auf die letzte Trillionstel Sekunde dieses Universums eine nächste, die ein nächstes gebiert? Wir wissen es nicht. Wir müssen es nicht wissen.

      Denn wir haben, so weit – so kurz – unsere Übersicht reicht, genug mit unserer Geschichte zu tun, obendrein mit den paar künftigen Jahren, in die unsere Prophezeiungen einigermaßen plausibel reichen mögen. Dazu erfanden wir die Chronologie: als wissenschaftliche Methode, Zeit und Zeitläufte festzustellen und festzuhalten. Mit ihr als Werkzeug ermitteln wir das Wesen der Zeit; und wir dokumentieren damit einen Prozess, aus dem als Ausschläge geschichtsträchtige Vorfälle heraustreten. Akteur jener Vorkommnisse, mithin der Geschichte ist der Mensch in seiner Um- und Lebenswelt, durch seinen Willen, durch seine Möglichkeiten und seine Bereitschaft zur Tat, durch den Grad seiner Vernunft. Denn weil wir unsere Gegenwart als haarschmal erkennen, entwerfen wir unser Dasein über den Augenblick und also über die schiere Existenz hinaus. Wir wissen, dass unser Heute zeitlich und inhaltlich aus dem Gestern folgt; und dass es auf ein Morgen hinausläuft, für das wir Vorsorge treffen müssen. Unser Leben sehen wir umschlossen von einer wie auch immer weitreichenden Spanne Zeit, die endlich ist, in der wir uns aber bis ans Ende Mal um Mal ummodeln; und wir wissen uns installiert in einem Lebensraum, der aus deutlich mehr als einem Ort besteht, nämlich aus vielen Orten, die es bei steter Bewegung anzusteuern oder zu meiden gilt, was wiederum jeweils eine gewisse Zeit dauert.

      In der „Dauer“ identifizierte Henri Bergson eine mentale Erfahrung von Zeit, die sich nicht in das Regelmaß des Uhrpendels oder des Sekundenzeigers schicken mag: Mit dem „Fortschreiten in der Zeit schwillt mein Seelenzustand kontinuierlich um die dabei aufgelesene Dauer an; gleich einem Schneeball rollt er sich selbst, lawinenartig größer werdend, auf.“ So, körperhaft, beschreibt der französische Philosoph Dauer als Volumen der von uns wahrgenommenen Zeit: Ihrem zunächst linear, zwischen Zeitpunkten, gespürten Verlauf fügt er eine räumliche Dimension hinzu, verwandelt den Kreis des Kreislaufs geradezu in eine Kugel, vermittelt unseren Erfahrungen in und mit der Zeit sphärischen Charakter.

      Solchen epistemologischen Kalkulationen mögen sich die Erkenntnistheoretiker und Metaphysiker unter den Philosophen hingeben. Beim Gang in die Zeiträume, die sich dem Historiker beim Studium seiner Quellen eröffnen, bewegt er sich weit weniger spekulativ dank der Chronologie, die ihn in mehrfacher Weise unterstützt: als Wissenschaft von der Zeitmessung und Zeitrechnung; als Methode der Datumsfindung und Jahreszählung; folglich als Grundlage für Historiografie, für die Aufschreibung und Überlieferung erzählbarer Geschichte. Historiografie ist das Gedächtnis der Welt.

      Zeit und Zerebrum

      Wie kommt die Zeit ins Hirn? Jedenfalls nicht wie Licht und Schall, nicht wie Geruchs- und Berührungsreize; für dies alles versorgte die Evolution uns mit empfindlichen Sinnesorganen. Die Zeit aber übt keine physikalische Wirkung auf uns auf, kein sinnliches Erlebnis kann aus ihr keimen. Zwar darf sie, wie die Philosophen sagen, als Entität gelten – als ein Etwas, das ‚da‘ ist –, jedoch nicht als Gegenstand. Aber unser Gehirn ist einer: Im Universum kam uns Menschen, wie Neurobiologen sowohl wie Informatiker staunend eingestehen, noch keine kompliziertere Konstruktion unter als dieses knapp drei Pfund schwere graue Zellgewebe. Ein Konstrukteur ist das Zerebrum seinerseits: die Instanz, die Zeit für uns erst eigentlich herstellt. Was die Sinnesorgane an Daten, Angaben und Fundstücken in unsere Köpfen einspeisen, das fügt die famose Informationsverarbeitungsanlage darin nach Kräften zu Sukzessionen zusammen: inhaltlich zu einer Serie, dynamisch zum Ablauf – zu Strukturen, mit denen das Bewusstsein umgehen kann. Der britische Physiker Julian Barbour bekräftigte, wir hätten uns die Vorstellung von Zeit verschafft, um uns ihrer als einer „künstlichen Hilfsmessgröße“ zu bedienen, ohne die unser Verstand Realität nicht abbilden könnte. Denn der strebt stets danach, die Dinge seiner Umwelt zu ordnen, weil er sich nur so in ihr zu organisieren und zu orientieren vermag. Vor das Problem der Zeit, auch der Vergänglichkeit gestellt, betrachten wir unsere eigene Lebensspanne und die unserer Nächsten vorwiegend nach Jahren. Blicken wir dennoch weiter, ist uns als Kindern und Eltern das Vorher und Nachher der Generationen vertraut. Im Gegensatz dazu langt der Historiker weit großzügiger zu. Sein chronologisches Rüstzeug setzt ihn in die Lage, mit Jahrhunderten und Jahrtausenden, wenn nicht mit Erdzeitaltern zu jonglieren.

      Unser zentrales Nervensystem, in seinen vielen, mannigfaltig beschäftigten Regionen von vielerlei biochemischen Prozessen regiert, stellt sich zuallererst auf die Feinmotorik der Zeit ein: Um Reize auseinanderzuhalten – und zu sequenzieren –, reichen ihm, wie Experimente zeigten, Zäsuren von zwei bis vier Hundertstel Sekunden zwischen ihnen aus; auf „dreißig Millisekunden“ befristet der prominente Psychologe Ernst Pöppel denn auch „das Jetzt“. In einem schon deutlich weiteren Zeitrahmen von zwei bis drei Sekunden erfassen wir, was wir als Gegenwart auf uns beziehen: So schnell entscheidet unser Gehirn, ob es einen Eindruck bewahren will oder ihn aus dem Kurzzeitgedächtnis löscht. Ein Raster gibt uns dies Intervall vor, nach dem wir in vielerlei Hinsicht denken und handeln. Beispielsweise prägt es sich in unserer Sympathie für tänzerisch-dreihebige Metren von Musikstücken aus, expliziter noch in den zeitlichen Intervallen der gesprochenen Sprache: Offenbar, so vermutet der Hirnforscher Marc Wittmann, bündeln wir deren „Inhalte zu Einheiten von zwei bis drei Sekunden, um optimale Kommunikation zu ermöglichen“.

      Nur weil es uns gelingt, Informationen gemäß ihrer Ankunft bei uns zeitlich zu sortieren, können wir Ursachen und Wirkungen aufspüren; eine Fähigkeit, die zwar darauf beruht, dass wir Erfahrungen aus der Vergangenheit verarbeiten, die uns aber auch gestattet, aufgrund gegenwärtiger Gegebenheiten Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen, Erwartungen und Aussichten, Hoffnung oder Sorge zu artikulieren. An unsere Subjektivität und ihre Augenblicksempfindung bleibt sie im einen wie im andern Fall untrennbar gekettet. Wenn, während wir warten müssen, Langeweile oder Ungeduld an unseren Nerven zerrt, quält uns, bis das Erwünsche oder Befürchtete eintritt, jede Minute durch ihr vermeintliches Dahinschleichen. Denn der Mangel an Ereignissen, ebenso Er- und Aufregung, gespannte Aufmerksamkeit und Angst scheinen die Zeit zu dehnen; so sehr, dass ungeübte Bungee-Jumper nach einem Sprung die Dauer ihres freien Falls auf doppelt so lang schätzen, wie er in Wirklichkeit währte. Eine einzige Schrecksekunde durchleben wir wie unter der Zeitlupe, als ob wir alle Einzelheiten unter einem Mikroskop umständlich durchgingen. Umgekehrt bilden wir uns ein, dass eine dichte Reihe von Erlebnissen, freudigen zumal, die Zeit raffe, stauche, rasen lasse. Beides ergibt ein Wechselspiel der Eindrücke, das Psychologen als „Zeitparadoxon“ ernst nehmen; und das sich beim Rückblick als Gegenteil spiegelt: Ein leerer Zeitraum, weil wenig darin geschah, schrumpft in unserer Erinnerung, in der eine Spanne der Geschehnisfülle umso mehr Platz beansprucht.

      Die Naturwissenschaft kategorisiert die Zeit oder Dauer als vierte Dimension neben den drei räumlichen der Länge, Breite und Höhe. Zugleich berücksichtigt die Psychologie sie als eine Dimension, die uns befähigt, Erlebtes zu gewahren, und dies subjektiv, ohne dass wir das Ticken eines Metronoms, das Hin-und-her eines Pendels, den zuckenden Gang eines Zeigers beachten müssten. Wenn wir in konzentriertem Wachzustand unseren Alltag der Gewohnheiten, familiären Prozeduren und beruflichen Termine durchqueren, läuft uns auf unserer ‚inneren Uhr‘

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