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Aber es ist alles wieder in Ordnung. Ich habe sie mit hergebracht, weil ich denke, dass sie auch übernachten kann.“

      „Natürlich“, meinte die Wirtin. „Es ist bloß laut. Zwei Stunden geht es noch. Dann ist Schluss. Wenn Ihnen das nichts ausmacht ...“

      Dr. Berring sah die etwa sechzigjährige Wirtin an, deren graues Haar straff zurückgekämmt und dort zum Knoten geschlungen war. Sie hatte ein von der Schankarbeit gerötetes Gesicht. Doch trotz aller Erschöpfung verrieten ihre Augen eine freundliche Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit.

      „Kommen Sie, Herr Doktor! Ich zeige Ihnen die Zimmer. Wenn ich es jetzt nicht tu, komme ich eh nicht dazu.“

      Kurz darauf gingen sie zu dritt die Treppe hinauf.

      Oben gab es vier Zimmer, und die Wirtin sagte: „Sie können sie sich aussuchen. Aber ich glaube, am besten ist, Sie nehmen die beiden hier drüben, denn nachher fahren alle mit dem Auto los, und da wird es laut. Die liegen hinüber zu den Feldern. Da ist es still. Die anderen beiden ... da hören Sie die Musik und den Lärm auf dem Hof zu sehr.“

      Sie gingen noch einmal beide hinunter, weil die Wirtin vorschlug, sie sollten ihre Wagen an einen anderen Fleck stellen. Außerdem mussten sie noch das Notwendigste für die Nacht holen. Die Wirtin kam noch einmal an die Tür, als Dr. Berring und die junge Frau das Haus wieder betraten, und sagte: „Es tut mir furchtbar leid, aber ein Essen kann ich Ihnen nicht anbieten. Wenn Sie mit ein paar Broten vorlieb nehmen wollen, da kann ich Ihnen etwas zurechtmachen. Aber Sie sehen ja, es ist hier unten alles voll. Wenn es Ihnen nichts ausmacht und Sie es oben auf dem Zimmer essen würden ...“

      „Einverstanden“, erklärte Dr. Berring. „Was meinen Sie?“ Und er sah die junge Frau an. Sie nickte ebenfalls.

      „Ich schicke Ihnen etwas hinauf“, sagte die Wirtin.

      Dr. Berring hatte seinen kleinen Reisekoffer ins Zimmer getragen, und die schöne Fremde befand sich nebenan. Einen Augenblick lang stand Dr. Berring vor dem Spiegel, der außen am Schrank angebracht war. Da sah er sich selbst. Ein großer sportlicher Typ war er. Er hatte brünettes Haar, ein schmales, fast wie geschnitzt wirkendes Gesicht. Es war ein sehr männliches Gesicht, nicht eigentlich schön, aber ausdrucksvoll. Das Gesicht des Oberarztes Dr. Hans Berring von der Unfallchirurgie an einer der größten Kliniken in Köln. Daran dachte er allerdings jetzt nicht. Er ging im Zimmer hin und her, und wieder hatte ihn diese Spannung erfasst. Er spürte die Nähe dieser faszinierenden Frau fast körperlich. Er blickte auf die Wand, als wäre die aus Glas und als könnte er die schöne Fremde sehen. Er hörte, wie drüben das Wasser lief. Das erinnerte ihn daran, dass er sich auch noch waschen und umziehen wollte.

      Die Feuerwehrkapelle hatte wieder mit ihrem Spiel begonnen, und der Lärm der Blechmusik ließ das Haus fast in den Grundfesten erzittern.

      Dr. Berring zog sich um, und er war nahezu fertig, als jemand an die Tür klopfte.

      Er hatte Mühe, das zu hören, ging hin und öffnete. Ein junges Mädchen stand draußen mit einem riesigen Tablett und einem Krug in der Hand. „Ich bringe das Essen“, sagte sie.

      „Das ist ja für zehn Mann“, erwiderte Dr. Berring.

      „Das ist für Sie beide“, meinte das Mädchen.

      „Für uns beide?“, fragte Dr. Berring überrascht. „Nun gut, setzen Sie es dahin!“

      Als das Mädchen gegangen war, ging Dr. Berring zur Nebentür und klopfte, und wenig später wurde ihm aufgemacht. Die junge schöne Frau hatte ihr Haar in einen Frotteeturban gehüllt, trug ein sportliches weißes Hemd und lange schwarze Hosen. In dieser Kleidung kamen ihre sanft geschwungenen Konturen noch mehr zur Geltung als vorhin in Mantel und Kleid.

      Bewundernd sah sie ihn an. „Sie sehen ja aus wie aus dem Ei gepellt. Aber mein Haar ist noch nass. Wenn Sie mir diesen Aufzug erlauben?“ Sie sah ihn fragend an.

      „Das Mädchen hat das Essen gebracht. Alles schön zusammen, und es wird schwierig sein, es zu teilen. Wenn ich Sie also bitten dürfte, das Abendessen bei mir einzunehmen. Es tut mir sehr leid, aber ...“

      „Warum tut es Ihnen leid? Würden Sie lieber allein essen?“, fragte die junge Frau lächelnd.

      „O nein“, beteuerte er, „ganz im Gegenteil. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich wäre sehr glücklich, wenn Sie ...“

      Warum sage ich das nur?, dachte er. Ich benehme mich wie ein Pennäler, der zum ersten Mal verliebt ist. Verliebt? Ein verrückter Gedanke.

      Sie löste den Knoten des Frotteetuches, das sie um ihr Haar geschlungen hatte.

      „Vielleicht ist es besser, wenn ich doch noch mein Haar trockne. Oder ist etwas dabei, das kalt werden könnte?“

      „O nein, das nicht. Geben Sie her! Ich kann das auch tun.“ Er nahm ihr das Frotteetuch aus der Hand und begann ihr das Haar zu reiben. Sie legte den Kopf in den Nacken, damit es für ihn leichter wurde. Ihre Nähe ließ ihn nicht gleichgültig. Als sie das Haar mit einer schnellen Bewegung nach vorn warf, so dass ihr Nacken völlig frei lag, da war er versucht, sie an den Schultern zu fassen, an sich zu ziehen und ihren Nacken zu küssen.

      Ich bin verrückt, dachte er. Ich bin nicht frei. Ich habe das noch nie getan. Neulich noch habe ich mich über einen Kollegen amüsiert, der vierzig Jahre alt ist wie ich selbst und sich eine Geliebte hält. Mit vierzig, habe ich gesagt, werden viele Männer verrückt. Und jetzt bin ich selbst dabei, über die Stränge zu treten.

      Als ob sie seine Gedanken ahnte, wandte sie sich um, sah ihn an und fragte: „Was überlegen Sie?“

      Er lächelte etwas verkrampft und sagte in gewollter Forsche: „Drehen Sie sich wieder um, wenn ich Ihr Haar abtrocknen soll!“ Er rieb weiter das Haar, und das Verlangen, sie in die Arme zu nehmen, sie zu küssen, wurde immer stärker in ihm.

      Ich bin wirklich wahnsinnig. Ich darf das nicht tun! Ich habe kein Recht dazu!

      Aber dann überkam es ihn doch. Er warf das Frotteetuch hinüber auf einen der Sessel, zog sie an den Schultern herum. Sie stand dicht vor ihm. Er sah sie an und meinte, in der Iris ihrer Augen bunte Lichter zu sehen. Als er sie küsste, geschah das wie unter einem Zwang. Sie wehrte sich nicht, im Gegenteil. Ihr Mund war leicht geöffnet, und sie schlang ihre Hände um seinen Nacken, als wollte sie sich an ihm festhalten oder fürchtete, er könnte von ihr weglaufen.

      Dann aber machte sie sich von ihm los, sah ihn ernst an und sagte mit ein wenig heiserer Stimme: „Wir haben beide dazu kein Recht, nicht wahr? Sie nicht und ich nicht.“

      „Sprich nicht!“, sagte er und zog sie erneut in die Arme. Es war, als wäre er gar nicht mehr Herr seiner selbst, als geschähe all das, was er tat, wie durch eine höhere Kraft. Und auch sie war nicht imstande, der Versuchung Widerstand zu leisten. Und doch war sie es wieder, die sich von ihm lösen konnte, sich frei machte und einen Schritt zurücktrat, ihn ernst ansah und sagte: „Wir tun es nicht wieder, nicht wahr?“

      „Das Leben ist kurz. Ich habe noch nie einen Menschen so geküsst wie dich.“

      Brüsk drehte sie sich um, wandte ihm den Rücken zu und senkte den Kopf. „Es war aber unrecht. Du bist ebenfalls verheiratet, nicht wahr? Und ich bin es auch.“

      Es traf ihn wie ein Schlag, als er das hörte. Sie ist verheiratet, dachte er entsetzt. Aber zugleich schalt er sich einen Narren, davon überrascht zu sein. Ich bin es ja selbst. Warum wundert es mich bei ihr? Natürlich kann sie verheiratet sein. Sie ist kein Kind mehr.

      Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und sagte mit fast tonlos klingender Stimme: „Wollen wir essen gehen?"

      Sie fuhr herum, blickte ihn an, erst überrascht, fast ein wenig verärgert, aber dann amüsiert und sie lachte. „Natürlich. Vielleicht hast du recht. Essen wir etwas. Glaubst du, dass uns dabei der rettende Einfall kommt?“

      „Welch rettender Einfall?“, fragte er.

      „Wie es mit uns weitergehen wird.

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