ТОП просматриваемых книг сайта:
Camp 21. Rainer Wekwerth
Читать онлайн.Название Camp 21
Год выпуска 0
isbn 9783401805597
Автор произведения Rainer Wekwerth
Жанр Учебная литература
Издательство Readbox publishing GmbH
Dann schrie sie seinen Namen.
Ein kaum hörbares Stöhnen war die Antwort.
Sie packte Tom fest und wälzte ihn auf den Rücken. Sein Kopf kippte nach hinten, aber er zeigte noch immer keine Reaktion. Seine Augen standen offen, leer starrten sie zur Zimmerdecke. In seinen Mundwinkeln hatte der Speichel Schaumblasen gebildet.
Kayla war kurz vor einer Panik. Alles in ihr vibrierte. Sie blickte auf ihren Freund nieder. Was war mit ihm geschehen? Er lebte, aber er war bewusstlos. Ihr Blick fieberte umher.
Plötzlich stutzte sie. Neben der Matratze lagen eine benutzte Spritze, ein verrußter Löffel und verbrannte Alufolie. Nicht weit davon ein leeres Plastiktütchen. Drogenbesteck!
Oh Tom, was hast du nur gemacht?
Schlagartig wurde ihr bewusst, wie ernst die Lage war. So wie es aussah, hatte sich Tom einen Schuss gesetzt. Was auch immer in dem Tütchen gewesen war, anscheinend hatte es bei ihm für eine Überdosis gesorgt.
Kayla fasste an seinen Hals, suchte den Puls.
Schwach und flatternd.
Tom brauchte sofort einen Arzt. Hier ging es um Leben und Tod.
Kurz dachte sie daran, dass sie durch diese Sache in große Schwierigkeiten geraten würde, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie musste dafür sorgen, dass ihm geholfen wurde. Alles andere war im Moment zweitrangig.
Kayla fingerte ihr Handy aus der Hose. Mit zitternden Fingern tippte sie die Nummer der Notrufzentrale ein.
Zwei Sekunden später meldete sich eine weibliche Stimme.
»Ich brauche Hilfe«, sagte Kayla.
Sie saßen in einem fensterlosen Raum, rechts und links von einem Tisch, der im Boden festgeschraubt war. Die Stühle waren aus Metall, ebenfalls fest verankert.
Seit Stunden saßen sie hier. Menschen kamen und gingen. Stellten ihnen Fragen. Fragen zu den Vorkommnissen auf der Landstraße, Fragen zu ihrer Lebenssituation. Irgendwie schien jeder alles von ihnen wissen zu wollen.
Ricky und er waren auf die Toilette geführt worden und hatten eine Urinprobe abgeben müssen. Das Ergebnis der Auswertung hatte man ihnen nicht mitgeteilt.
Mike hatte gefragt, ob er seinen Vater anrufen dürfe. Das hatte man verneint, aber eine Polizistin hatte sich die Handynummer geben lassen und gesagt, er werde verständigt. Etwas später hatte sie ihnen mitgeteilt, er wäre auf dem Weg hierher.
Das war vor drei Stunden gewesen. Warum sein Vater nicht sofort kam, konnte sich Mike nicht erklären.
Ricky hatte beide Arme auf den Tisch gelegt und sein Gesicht darin vergraben. Sie sprachen nur wenig miteinander und das wenige ließ Mike bewusst werden, dass sein Bruder mit der Situation nicht umgehen konnte.
Das High des Joints war verflogen und hatte einer kindlichen Traurigkeit Platz gemacht. Ricky weinte nicht, aber er war wie betäubt. Mike war zweimal zu ihm hinübergegangen und hatte ihm tröstend den Arm um die Schultern gelegt, doch sein Bruder hatte nicht darauf reagiert, genauso wenig wie auf die Worte, die ihn beruhigen sollten. So hockte er nun auf seinem harten Stuhl und schloss die Welt aus.
In Mike sah es ganz anders aus. Er war unruhig. Eine finstere Ahnung hatte sich in ihm breitgemacht. Die Vorgänge auf dem Polizeirevier machten deutlich, dass niemand diese Sache auf die leichte Schulter nahm.
Noch immer war er der Meinung, dass nichts Schlimmes geschehen war. Sie hatten niemanden verletzt oder gefährdet und bis auf die Geschwindigkeitsüberschreitung keine Straftat begangen, aber hier wurde ein ganz anderes Bild vermittelt. Die Männer, die mit ihm sprachen, blickten durchweg ernst und ließen keinen Zweifel daran, dass Rickys Gegenwehr bei der Festnahme keine Lappalie war. Niemand ging auf Mikes Fragen ein. Er saß mit seinem verzweifelten Bruder in diesem Raum und grübelte, was mit ihnen geschehen würde.
Wird man uns anklagen?
Vor einen Jugendrichter stellen?
Und dann? Was dann?
Eine Strafe auf Bewährung? Ein Bußgeld? Sozialer Dienst? Oder Jugendgefängnis?
Alles schien möglich. Und das beunruhigte ihn von Minute zu Minute mehr.
Mike trommelte mit seinen Fingern auf der Tischplatte.
»Lass das«, knurrte Ricky und hob den Kopf an, um ihn anzusehen.
»Ich bin nervös.«
»Ich auch. Trotzdem.«
»Wo bleibt Dad nur?« Es war keine Frage, denn Ricky kannte auch keine Antwort darauf.
»Ich bin nicht wild drauf, ihn zu sehen.«
»Sie haben das Auto beschlagnahmt.«
»Ich hab’s gehört.«
Mike schaute in Rickys gerötete Augen. Er wusste nicht, ob er geweint hatte, aber es sah so aus. »Wie geht es dir?«
»Ich bin okay.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich will nur nach Hause. Denkst du, sie lassen uns bald gehen?«
Mike zögerte. Was sollte er antworten? Er machte sich Sorgen, dass man sie über Nacht hierbehalten würde. In einer Zelle. Aber das konnte er Ricky nicht sagen.
»Sie werden warten, bis Dad hier ist.«
»Ob er einen Anwalt mitbringt?«
»Nein, denke ich nicht«, meinte Mike. »So wild ist die Sache nun auch wieder nicht.«
Eine Lüge. Das Ganze war sehr ernst.
»Ich habe Hunger«, sagte Ricky.
Mike sah ihn an. Hunger? Wie konnte Ricky in dieser Situation ans Essen denken? Sie hatten beide ein Dr Pepper bekommen, um ihren Durst zu löschen, aber mehr hatte es nicht gegeben.
»Ich frag mal nach einem Sandwich, wenn sie zurückkommen.«
»Das dauert alles ganz schön lang.«
»Ja, Ricky. So ist das nun mal.«
Danach verfiel sein Bruder wieder in Schweigen.
Ungefähr dreißig Minuten später öffnete sich die Tür zum Vernehmungsraum und ihr Vater trat ein. Man hatte ihnen die Handys abgenommen, daher wusste Mike nicht, wie weit der Tag vorangeschritten war, aber er vermutete, dass es früher Abend war.
Der Anzug seines Vaters war verknittert und sah aus, als habe er darin geschlafen. Die Krawatte hing schief, sein Gesicht war so grau wie die schütteren Haare an den Schläfen. Um die Mundwinkel lag ein harter Zug. Frustration sprach aus jeder seiner Bewegungen, als er mit einem Polizisten hereinkam, der den Raum aber gleich wieder verließ. Dann waren sie allein.
Mike und Ricky standen auf.
»Dad …«, setzte Mike an, aber sein Vater gebot ihm zu schweigen.
»Geht es dir gut?«, fragte er. Seine Stimme klang beherrscht und ernst.
»Ja, Dad.«
»Was ist mit dir, Ricky?«
»Alles okay.«
»Ich muss euch nicht sagen, dass ihr in Schwierigkeiten steckt.«
Beide schüttelten stumm den Kopf.
»Setzt euch.«
Er selbst blieb stehen.
»Können wir gehen, Dad?«, wollte Ricky wissen.
»Nein.«
Ein Wort. Nur wenige Buchstaben, aber es hallte wie Donner durch Mikes Bewusstsein.
»Wie lange müssen wir noch hierbleiben?«, fragte er und fürchtete die Antwort.
»Ihr kommt nicht nach Hause.«