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erneut angetrieben – und seinen treuen Diener hier zurückgelassen.“

      Oberbeck warf einen Blick auf den Toten, besah sich seine Schuhe und wandte sich angeekelt ab. „Nicht nur das Loch in der Brust, auch sein Kopf bietet einen unangenehmen Anblick. Vermutlich stürzte er direkt von der Kutsche herunter. Ich vermute mal, dass dieser Handlanger auch für die beiden Morde verantwortlich ist. Wenn wir unsere Zeichnungen mit seinen Schuhen vergleichen, werden wir die Bestätigung dafür haben. – Lasst die Männer in das Quartier abrücken, Sergeant.“

      19.

      Am nächsten Morgen fegten erneut Stürme unter einem bleigrauen Himmel über Braunschweig hinweg. Leutnant Oberbeck hatte Mühe, seinen Dreispitz festzuhalten und bewegte deshalb sein Pferd nur langsam zurück vom Hagenmarkt. Er hatte noch einmal nach dem Palais gesehen. Die zerborstenen Scheiben und die geschwärzte Fassade machten einen trostlosen Eindruck, und für einen flüchtigen Moment dachte der Leutnant daran, wie oft dort wohl rauschende Feste und Empfänge gefeiert wurden, als noch die erste Mätresse des Herzogs, Maria Antonia Pessina von Branconi das Palais bewohnte.

      Die Bibliothek des Grafen, in der er das Feuer gelegt hatte, war vollkommen ausgebrannt, die Bücher, Dokumente und Aufzeichnungen rettungslos verloren – auch das Buch aus der Liberei war verbrannt. Weder der Diener noch die alte Köchin konnten irgendetwas aussagen, das den Jägern Hinweise auf einen möglichen Aufenthaltsort des Grafen nach seiner Flucht gab. Trotzdem hatte der Leutnant an diesem Morgen seine übermüdeten Jäger nicht geschont, sondern sie in alle Richtungen ausgeschickt, um bei den Gasthöfen auf den Landstraßen Erkundigungen einzuziehen, ob man etwas über den Verbleib des Grafen und seiner Kutsche wusste.

      Bei seiner Rückkehr zum Schloss führte er seinen Braunen in den Stall, sattelte ihn selbst ab, rieb sein Fell trocken und machte sich anschließend auf den Weg zum Kammerherrn, um ihm Bericht zu erstatten. Damit hatte er es nicht sonderlich eilig, und als er schließlich bei dem hohen Beamten eintrat, sah er an dessen Miene, dass er bereits von den nächtlichen Ereignissen erfahren haben musste.

      Nach seiner Schilderung blieb der Leutnant abwartend sitzen, während der Kammerherr schon nach den ersten Sätzen aufgesprungen war und seitdem wie ein gefangener Löwe in seinem Salon auf und ab ging.

      „Von dem griechischen Feuer hatte er dem Herzog natürlich vorgeschwärmt. Im Zusammenhang mit der neuen Straßenbeleuchtung wollte er dem Hof und insbesondere dem versammelten Militär demonstrieren, wie fürchterlich eine solche Waffe war, wenn man die brennbare Flüssigkeit versprühte. Nach seinen Worten konnte man damit innerhalb kurzer Zeit eine ganze Stadt in Brand stecken. Durchlaucht war jedoch nicht sonderlich interessiert, er wollte zunächst einmal die Ergebnisse bei der Porzellanherstellung abwarten. Das versprach in jedem Fall ein Geschäft zu werden, und seine Leidenschaft gilt nun einmal, wie bei so vielen Fürsten unserer Zeit, dem edlen, durchschimmernden Material. Wir können vielleicht noch von Glück sagen, dass der Graf von St. Germain erst in einigen Tagen das Geld zur Verfügung gehabt hätte. Nicht auszudenken, wenn das durch seine Flucht auch noch verloren wäre!“

      Der Kammerherr schlug die rechte Faust auf seine flache linke Hand. „Ich muss den Herzog so schonend wie möglich mit der Lage vertraut machen. Sein Traum von Fürstenberg zerplatzt damit wie eine Blase.“

      „Wenn ich mir noch eine Anmerkung dazu erlauben darf, Graf?“

      „Nur zu, Leutnant, jetzt kann mich nichts mehr erschüttern.“

      „Es ist zwar nur ein vager Verdacht, aber ich glaube, dass dieser angebliche Graf von St. Germain gar nicht in der Lage gewesen wäre, das Kaolin zu verbessern.“

      „Nanu – weshalb denn nicht? Er hat doch allen das Ergebnis vorgeführt – das Porzellan war von allerhöchster Güte, das er uns lieferte. Was bringt Euch darauf, dass er uns alle täuschen wollte?“

      „Nun, wie gesagt – ein vager Verdacht, aber nach den Erlebnissen, verbunden mit zwei Morden, traue ich dem Grafen alles zu. Der Nachtwächter musste sterben, weil er sonst den Bücherdiebstahl gemeldet hätte. Und mein Jäger starb, weil er etwas im Haus des Grafen entdeckt hatte. Er ist in der Nacht zurückgekehrt, muss dabei entdeckt und ermordet worden sein.“

      „Das mag ja alles sein, aber vielleicht war es auch nur eine unglückliche Verkettung der Umstände, als man ihn entdeckte und es einen Kampf mit dem mutmaßlichen Einbrecher gab, Leutnant.“

      Der Jägeroffizier schüttelte heftig den Kopf.

      „Ihm wurde in der gleichen Weise der Hals durchgeschnitten, wie dem Nachtwächter; mit großer Kraft und von hinten. Das war kein Kampf, das war Mord. Und Medicus Meibaum fand in seiner Hose ein Stück Kaolin.“

      Der Kammerherr war auf seiner Wanderung stehen geblieben und sah den Leutnant erstaunt an.

      „Der Jäger hatte Kaolin bei sich? Warum? Was beabsichtigte er damit?“

      „Ich vermute, Bernhard hat sich beim Abladen der Laborgeräte im Haus umgesehen und das Kaolin entdeckt. Er muss es für so wichtig gehalten haben, dass er es als Beweismittel eingesteckt hat. Für mich lässt das nur einen Schluss zu: Der Graf hatte in seinem Haus genügend Kaolin für seine Probebrände, und das war bestimmt nicht aus Fürstenberg.“

      „Aber warum sollte er ... Ihr meint, er wollte den Herzog um das Geld betrügen und gab nur vor, das Kaolin verbessern zu können?“ Der Kammerherr ließ sich schwer in seinen Sessel fallen.

      „Ich weiß es natürlich nicht, ich bin nur ein einfacher Soldat und verstehe von den gelehrten Dingen nichts. Aber so könnte es gewesen sein. Als wir gestern das Haus durchsuchten, war nichts vorhanden, weder Kaolin noch Feldspat oder ein anderes Material, was man für das Porzellan benötigte. In einem Raum entdeckten wir nur ein weißes Pulver, und diesen Raum muss auch der unglückliche Bernhard entdeckt haben – denn auf einem Türzapfen entdeckten wir schwache, aber noch erkennbare Blutspuren. Dieser Fund und das gestohlene Buch in seiner Bücherei ist für mich der Anlass gewesen, den Grafen in seinem eigenen Nest zu erwarten. Leider konnte er uns durch seinen Feuerzauber entkommen, was ich sehr bedaure.“

      Der Kammerherr sah ihn nachdenklich an, schließlich nickte er leise.

      „So könnte es gewesen sein. Das ist auch eine Variante, die ich zu Protokoll nehmen werde, um sie dem Herzog zu vermitteln. Ob Eure Vermutungen zutreffen, ist dabei nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Herzog Carl Wilhelm Ferdinand sieht, dass er offenbar auf einen Schwindler hereingefallen ist, wir ihm aber seine fünfzigtausen Taler retten konnten.“

      „Dank der Ermittlungen durch die Jäger, Herr Graf“, antwortete der Leutnant, ohne die Miene zu verziehen.

      „Ganz gewiss, und dafür gebührt Euch auch der Dank, Leutnant. Aber Ihr werdet auch verstehen, dass wir diesen Fall unter Verschluss halten müssen, bis wir einen möglichen Aufenthaltsort des Grafen ausfindig gemacht haben. Vielleicht gelingt es Euren Jägern, ihn in seinem Versteck aufzuspüren und zurückzubringen. Sollte er allerdings das Herzogtum verlassen haben, sehe ich keine Chance, seiner noch habhaft zu werden.“

      Kammerherr Graf von Osten-Waldeck erhob sich mit einer raschen Bewegung.

      „Ich werde nicht länger zögern, und den Herzog informieren. Wenn es Neuigkeiten gibt, erwarte ich Eure sofortige Information.“

      „Selbstverständlich, Herr Graf.“

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