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männliche Bezugsperson zu haben... das hätte ich nie gedacht!“

      „Man lebt und lernt“, erwiderte Andreas philosophisch. „Ich wusste ja auch nicht, dass mein Hausmeister Kurt, der mehr ein Freund als ein Angestellter ist, sich seit Jahren einen Hund gewünscht hat. Dass Ben ein Berner Sennenhund ist, macht sein Glück noch größer, denn das war immer Kurts Traumhund.“

      „Und Ben ist ein Berner?“

      „Sagt Kurt. Und der wird’s wissen.“ Er wies nach unten auf den Rasen, wo Sascha, Kurt und Ben herumtollten. Andreas und Kornelia saßen ein wenig gebückt im Baumhaus, das Sascha schon bewundert hatte. Auch seine Mami musste natürlich hoch, und Andreas war zu ihr geklettert, um ungestört mit ihr reden zu können.

      „Der Blick von hier ist schön, nicht wahr“, meinte er jetzt und wies nach links. „Da kann man sogar schon den Rhein sehen.“

      „Es ist überhaupt schön bei Ihnen“, sagte Kornelia und lehnte für einen Moment den Kopf an die verhalte Rückwand, faltete die Hände um die Knie und schloss sekundenlang die Augen. Zu viel gab es zu verarbeiten!

      Zuerst heute Vormittag die Eröffnung ihres Sohnes, dass er sich vor seinen Klassenkameraden unbedingt in ein besseres Licht habe bringen müssen. Dann, stockend und wirr, war die Erklärung gefolgt, wie er durchs Telefonieren zu einem Opa gekommen war. Daran schloss sich die Geschichte mit Ben an. Schließlich und endlich, in letzter Minute, genau gesagt, nämlich, als bereits die dunkle Limousine vor dem Haus hielt, die Ankündigung, dass sie heute den Hund in seinem neuen Zuhause besuchen würden.

      Kornelia, die sich gerade die langen blonden Haare gewaschen hatte und außer alten Jeans und einer leicht verwaschenen Bluse einen Turban aus Frottier auf dem Kopf trug, war beim Anblick des sommerlich schick gekleideten Andreas Vorbeck vor Schreck erstarrt. Am liebsten wäre sie geflüchtet, denn abgesehen davon, dass sie sich der Situation nicht gewachsen fühlte, hatte sie sich den „Opa“ ihres Sohnes ganz anders vorgestellt.

      Zu ihrer großen Erleichterung zeigte er sich nicht im geringsten erstaunt, ganz im Gegenteil. Er hatte, wie er gleich bemerkte, gar nicht erwartet, dass Sascha mit seinen Enthüllungen bereits zum Ende gekommen wäre. Nein, damit, das sie vollkommen vorbereitet war auf ihn und all die Neuigkeiten, hatte er nicht gerechnet.

      Nach einigem Hin und Her, wobei der Turban verschwand und alles andere so unvollkommen blieb, wie es bei der Begrüßung schon gewesen war, hatten sie sich in den Wagen gesetzt und waren zu dem Blockhaus gefahren, das Andreas bewohnte, wie er erklärte.

      Die Erwähnung des Blockhauses war für Kornelia beruhigend gewesen. Der „Opa“ wohnte also nicht allzu feudal!

      Dann jedoch hatte sie der nächste Tiefschlag getroffen, nämlich der Anblick des monumentalen Wohnsitzes aus Holz und Glas auf einem Terrain unvorstellbarer Größe. Selbst der Hund Ben erschien verschwindend klein in der grünen Wildnis des Naturgrundstücks, das sich gleich an den kleineren, sehr gepflegten Gartenbereich anschloss.

      Die beiden Männer - Andreas Vorbeck und sein Hausverwalter Kurt - wirkten in dieser Umgebung wie zwei große Jungs, die Indianer und Trapper spielten. Es sah beinahe so aus, als hätten sie nichts anderes zu tun, als mit dem Hund um die Wette zu laufen, ihm Stöckchen zu werfen, Feuer auf dem Grill anzuzünden, Kaffee in großen Thermoskannen ins Freie zu schleppen und den breiten, rustikalen Tisch auf der Terrasse zu decken.

      Und immer wieder begeisterten sie sich an Saschas Wiedersehensfreude mit Ben - die der große Hund hundertprozentig teilte! Er bellte, sprang an Sascha hoch und animierte ihn immer wieder dazu, mit ihm über die große Wiese zu toben.

      Irgendwann hatte Sascha in der riesigen Wohnhalle ein altes Karussellpferd entdeckt, das er lachend bestieg, während Ben hechelnd neben ihm auf dem Teppich lag und Kurt in die Küche ging, um Erfrischungen zu holen. Sascha wunderte sich allerdings, warum Kurt die Küche „Kombüse“ nannte, bekam aber keine Antwort darauf, die Erwachsenen schienen ihn nicht zu bemerken, sie sahen sich lange an, schienen alles um sich herum für einen Moment vergessen zu haben.

      Andreas hatte die Gelegenheit, in der Sascha von dem Pferd abgelenkt war, ergriffen, um Kornelia unter die alte Buche zu führen, in deren dickem Geäst sich das Baumhaus befand. Mehr noch als alle Worte hatten seine Blick sie dazu bewogen, hinaufzuklettern - Blicke aus Augen, die so blau und unergründlich waren wie die Tiefe des Ozeans.

      Andreas Vorbeck war sich der Undurchdringlichkeit durchaus bewusst, die sich in seinem Blick widerspiegelte, aber er konnte sich den wenigsten Menschen öffnen. Dazu hätte es einer längeren, ungestörten Zeitspanne bedurft, eines intensiven Dialogs, den das Leben, wie er es zu führen gewohnt war, nicht vorsah.

      Hätte er geahnt, was ihm da in der Person von Kornelia Hansen begegnen würde - diese Mischung aus Ungezwungenheit und Verhaltenheit, aus Scheu und Natürlichkeit - hätte er auch nur andeutungsweise vorausgesehen, dass ihn hier und heute das Schicksal ereilen würde, wahrscheinlich hätte er dem Zusammentreffen nie zugestimmt.

      Aber keine Ahnung hatte ihn gestreift! Keine innere Stimme hatte ihn gemahnt! Keine Glocke hatte angeschlagen, um ihn zu warnen. Und so nahm das Leben seinen gewohnten Lauf, indem um sechs Uhr lärmendes Autohupen erklang, ein paar offene Sportwagen mit knirschenden Reifen in der Einfahrt hielten - genau in dem Augenblick, als er gewagt hatte, nach Kornelias Namen zu fragen. Wie unabsichtlich hatte er ihr dabei den Arm um die Schultern gelegt, behutsam, fast brüderlich.

      „Kornelia“, sagte sie.

      „Kornelia“, wiederholte er beinahe andächtig. Dann, da er die Unruhe vor seinem Haus nicht länger ignorieren konnte, seufzte er tief auf. „Um diese Zeit überfällt mich oft eine Horde von Freunden. Wenn sie wissen, dass ich für ein paar Wochen wieder im Lande bin, kommen sie auch gern uneingeladen her. Leider!“, fügte er hinzu und sah Kornelia tief in die Augen. „Ich wünschte, wir wären unter uns geblieben. ich wünschte, sie würden abzischen, verschwinden, sich in Luft auflösen!“ Während er sprach, verzog er leicht das Gesicht, und Kornelia musste unwillkürlich lächeln.

      Natürlich geschah nichts Dergleichen, Andreas’ Wunsch ging nicht in Erfüllung.

      Als sie das Baumhaus verließen und auf der Erde standen, kam Irina auf sie zu. In einem raffinierten Ensemble aus einer hautengen roten Hose und einer rot-blau-weiß gemusterten Seidenbluse.

      Sie musterte erst Kornelia, dann Andreas mit flackernden Blicken. Wie Blitze glitzerte es in den dunklen Augen. Dann trat sie einen Schritt auf Andreas zu und fragte: „Das ist deine berühmte Franziska, nicht wahr?“

      Kornelia runzelte die Stirn.

      „Ja“, hörte sie Andreas antworten, und ein kleines, fast unhörbares Aufatmen folgte dem Wörtchen. „Das ist Franziska.“

      Kornelia erstarrte nicht. Sie wandte sich auch nicht abrupt ab. Sie klaubte sich nur ein paar Buchenblätter aus den blonden Haaren, sah auf ihre Armbanduhr und sagte nahezu beiläufig: „Zeit für uns, nach Hause zu fahren.“ Damit ging sie auch schon aufs Haus zu und rief ihren Sohn.

      Sascha kam sofort auf sie zu. Er begriff anscheinend sofort, dass mit dem Eintreffen der partywütigen Erwachsenen die Pfadfinder-Idylle vorbei war.

      Er umarmte Ben zum Abschied zärtlich und hatte nichts dagegen, als Kurt sich bereit erklärte, ihn und seine Mutter nach Hause zu fahren, da der Chef das Haus ja jetzt voller Gäste habe - wie immer am Sonntagabend, fügte er hinzu.

      Andreas fühlte eine seltsame Lähmung in sich. Er war außerstande, einzugreifen und Kurt zuvorzukommen. Dabei wollte er nichts anderes, als das Zusammensein mit Kornelia noch auszudehnen und stattdessen die lauten Freunde allein zu lassen.

      Aber alles, was er hervorbrachte, war: „Auf Wiedersehen. Ich rufe bald an. Schönen Abend noch.“

      Weltmännisch war das nicht. Ganz im Gegenteil. Er spürte es selbst, aber er konnte einfach nichts anderes sagen.

      Kornelia nickte. „Danke gleichfalls“, erwiderte sie und ging zum Wagen. Dort schob sie Sascha nach hinten, legte sich selbst den Sicherheitsgurt um und

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