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Dealer an. Augenblicklich wurde Max ruhig und fokussierte seine gehetzte Seele einzig auf die Erlösung, die zu ihm kommen sollte.

      Der Schneemann kam, scherzte und ging, dann war Max wieder allein. Er saß vor dem Tisch, auf dem das weiße Pulver lag und ihm wurde klar, dass, wenn er jetzt anfangen würde, es kein Ende geben konnte. Der Suchtdruck war plötzlich weg. Er stand auf, ging ins Bad und ohne noch einmal darüber nachzudenken, spülte er die Drogen ins Klo, duschte und buchte den nächsten Flug nach Düsseldorf. Vier Stunden bis zum Abflug, der Koffer war schnell gepackt. Ein Gefühl von Freiheit durchströmte ihn zum ersten Mal seit Jahren.

      Er schickte Carole eine Mail, dass sie alle Jobs in den nächsten sieben Tagen absagen sollte, wohlwissend, damit eine mittelschwere Katastrophe für sie und einen Tsunami für sich auszulösen. Es war ihm egal.

      Er handelte klar und ruhig, das Einzige, woran er dachte, war Nikolas. Die geklammerte Narbe auf der Stirn schmerzte plötzlich.

      7

      Doppeltes Glück

      Die Bekanntgabe der Verlobung von Herrmann und Anna im Kirchenblatt der Gemeinde stieß nicht auf jedermanns Begeisterung.

      Sie stammten aus unterschiedlichen Universen. Die Wildes, ein konservativer Clan mit einem Diktator als Familienoberhaupt und dem Wohnsitz an der Hauptstraße des Dorfes, standen in völligem Kontrast zu den Remarks, die liberal und völlig gegen das Naziregime im Haus am volkseigenen Park logierten.

      Die Wildes hatten sich im Laufe der Jahre gut gestreut. Während der Clanvorstand Paul mit seiner Gattin Magdalena, der enterbten, pommerischen Landadeligen, mitten im Dorf in der Hauptstraße lebte, hatten sich die älteste Tochter Ilse und ihr lustiger Friseurgatte Heinrich Janos mit ihren drei Kindern auf dem Hügel am Ende des Dorfes zwischen Fußballplatz und Friedhof niedergelassen. Das alte Haus beherbergte nicht nur den Salon und die Wohnung, sondern auch deren Besitzer: einen zuckerkranken Asthmatiker und seine Gattin, die neben einer blondierten Turmfrisur auch die Nase aus nicht vorhandenen Gründen zu hoch trug.

      Der älteste Sohn Paul junior war zu Magdalenas Trauer und zum Stolz des Familienoberhaupts gefallen, als er das untergehende Deutschland retten wollte. Sein Heldentod fand allerdings nicht auf dem Schlachtfeld statt, wie später gerne beim Sonntagnachmittagskaffee bis zum Erbrechen von Paul wiederholt, sondern aufgrund einer verschleppten Syphilis, die sich Paul junior bei einer Berliner Hure geholt hatte.

      Der zweite Sohn Erich heiratete nach dem Krieg die Tochter des ehemaligen Fleischers des Dorfes: Magda. Ihre Mutter war in einer der letzten Nächte des Krieges durch einen Bombenangriff zu Tode gekommen, der Stiefvater schon Jahre vorher verstorben und die knapp zwanzigjährige Magda war plötzlich die gut situierte Erbin eines kleinen Vermögens geworden. Sie war nun die Besitzerin eines der größeren Häuser des Dorfes, das nicht durch den Krieg beschädigt worden war, vermietete die Fleischerei im Erdgeschoß und die Wohnung im Hinterhaus. Nie eine schöne Frau gewesen, spannte sie das Netz der Intrigen um die Verwandtschaft. Geld hatte sie genug.

      Auch Annas Geschwister heirateten. Knut gewann die stille Greta und blieb im Dorf. Marianne heiratete einen Berliner Apotheker namens Theo und zog mit ihm in die einstige Hauptstadt des zerstörten deutschen Reiches.

      Eines hatten Anna und Herrmann trotz ihrer unterschiedlichen Elternhäuser gemeinsam: Sie wollten beide raus aus einer Umgebung, die ihnen wenig Platz zum Atmen ließ.

      Während sich der zwei Zentner schwere Herrmann im Alter von zwanzig Jahren noch Ohrfeigen von seinem Vater einfing, kontrollierte auch Helene später gerne die Wohnungseinrichtung ihrer Tochter, nachdem diese schon drei Jahre verheiratet war.

      Die Liebe der beiden basierte auf der Regel: Raus aus der Enge der Elternhäuser und hinein ins eheliche Vergnügen, ohne vorher einen Kurs in Beziehungen abgeschlossen zu haben. Die siebziger Jahre waren noch Lichtjahre entfernt, als beide jungfräulich und blauäugig vor den Standesbeamten traten, um danach mit wehenden Fahnen in die eigene Wohnung in den Nachbarort zu ziehen.

      Knappe vier Kilometer trennten die beiden Dörfer. Vier Kilometer Entfernung bedeutete, dass man die Familie nur am Wochenende sah. Ein Telefon hatten sie nicht und Errungenschaften wie Handys oder Computer gab es nur in Jules Vernes’ Romanen.

      Die beiden lebten 13 Monate keusch miteinander, denn sie waren noch nicht kirchlich getraut worden, und das Damoklesschwert der Sünde schwebte über ihren standesamtlich getrauten und moralgetränkten Häuptern. Erst nach der kirchlichen Trauung schritten sie zur Tat und Marie wurde neun Monate später geboren.

      Herrmann hatte einen Posten als Bürokaufmann bei der Ruhrkohle AG in Duisburg angenommen, Anna war an den Herd gebunden und nahm für eine Weile ihr Los als Hausfrau auf sich. Sie fütterte Marie, die regelmäßig alles wieder auskotzte. Statt in der Villa Hügel den Chefs Kaffee zu servieren und zum Diktat gerufen zu werden, musste sie Windeln waschen, einkaufen und den Kinderwagen durch ein ausgetauschtes dörfliches Universum schieben.

      Zwei Jahre nach Maries Geburt hatte der monatliche Ehevollzug im Bett der jungen Wildes erneut Spuren hinterlassen. Diesmal gab es doppelten Grund zu Annas geteilter Freude, sie erwartete Zwillinge.

      Nikolas und Max waren auf dem Weg und sollten ebenso wie ihr Vater am heißesten Tag des Jahres zur Welt kommen. Sonnenkinder, voller Glut. Nachdem bei Anna nach neuneinhalb Monaten endlich die Wehen einsetzten, riet ihr der Oberarzt noch vor der Niederkunft, die Treppe zu putzen, um den Geburtsvorgang schneller in Gang zu bringen. Die Krankenhaustreppe war somit auch spiegelblank, als die Zwillinge am 30. Juli zur Welt kamen.

      8

      Von einer Insel zur anderen

      Max hatte nicht vor, allzu lange in Deutschland zu bleiben.

      Er versuchte, nicht an die Konsequenzen zu denken, spürte nur instinktiv, dass Nikolas ihn brauchte. Wegen ihm machte er diese Reise. Er packte nur das Nötigste ein, da er nach einer Woche wieder in den vertrauten Sphären seiner Heimatinsel auftauchen wollte. Eine Woche in Schwarzhausen. Er versuchte, sich erst gar nicht vorzustellen, was ihn erwarten würde.

      Um 19 Uhr bestieg er ein Taxi, das, nachdem es sich durch den Stadtverkehr und den Midtowntunnel gequält hatte, prompt im Verkehr auf dem Highway stecken blieb.

      Die Vergangenheit hatte Max wie eine große Welle eingeholt. Sein Bruder saß in Untersuchungshaft und war wegen Mordes angeklagt. War es alles nur ein Versehen? Oder wollte Marie ihn mit einem Trick nach Deutschland zurücklocken? Und wen hatte Nikolas ermordet?

      Max griff zu seinem Handy und suchte die Nummer seiner Schwester, die noch nicht ahnte, dass er die Reise über den großen Teich bereits angetreten hatte.

      Nach einigem Klingeln meldete sich der Anrufbeantworter: »Dies ist die Nummer von Marie, Ingo, Leo, Lena und Paul Kretscher. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton.«

      Max schaute auf die Uhr. Es war bereits 1 Uhr morgens in Paderborn. Er hinterließ keine Nachricht.

      Nachdem er aufgelegt hatte, wurde ihm bewusst, dass er von einer Minute zur anderen zum Onkel mutiert war, denn offensichtlich lebte seine Schwester nicht in einer WG, sondern hatte mit ihrem Mann Kinder in die Welt gesetzt. Na super, das Familienglück der Goldmarie war offensichtlich perfekt. Hatte er etwas anderes erwartet? Herrmann hielt bestimmt wie eh und je seine schützende Hand über das finanzielle Wohl seiner geliebten Tochter. Wie schön für ihn, wie schön für Marie! Max war diese Liebe fremd und da er um diese Zeit auch niemand anderen von der ihm geistig, moralisch und räumlich entfernten Familie erreichen konnte, schaltete er sein Handy aus und kam nach einer weiteren Stunde mit übler Verspätung am Flughafen an.

      Er quälte sich durch die Massen von Touristen, schreienden Kindern und gestressten Businessleuten, um am Schalter der Fluggesellschaft zu erfahren, dass der Flug zwei Stunden Verspätung haben würde. Müde verzog er sich in die Lounge, um auf den Abflug zu warten.

      Die Senator Lounge der Lufthansa am JFK Flughafen hatte eine Ruhezone, in der man die Füße hochlegen konnte und nicht von quäkenden Babys oder schnatternden New-York-Touristinnen, die zu viel Sex and the City gesehen hatten, belästigt wurde.

      Gerädert von den Ereignissen

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