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Katharsis. Drama einer Familie. Michael Reh
Читать онлайн.Название Katharsis. Drama einer Familie
Год выпуска 0
isbn 9783862827473
Автор произведения Michael Reh
Жанр Современная зарубежная литература
Издательство Readbox publishing GmbH
Er hatte genug für zehn Leben gefickt, aber nach ein bis zehn Drinks oder einer Nase vom Schneemann, bitte sehr, je mehr desto lieber. Jetzt hatte er weiß Gott andere Sorgen und schlug der Kellnerin die Tür vor der Nase zu.
Schweigend stand er am Fenster. Es regnete in Strömen, aber die Luft war noch immer drückend und keine Kühlung in Aussicht.
Langsam kroch die Wut in ihm hoch und diesmal wollte er nicht dagegen angehen. Er war gerade zwölf Stunden in Deutschland und schon hatte ihn der Morast der Vergangenheit vollständig eingeholt. Er konnte nirgends hingehen, ohne dass ihn jemand erkannte und hatte dann auch noch den Menschen getroffen, den er am liebsten nur auf dem Friedhof wiedergesehen hätte.
Er sollte einen klaren Kopf behalten. Ins Bett gehen, den Jetlag auskurieren, klar denken! Es musste doch möglich sein, Nikolas zu helfen. Er würde ihn im Untersuchungsgefängnis besuchen.
Max legte sich aufs Bett und starrte die geschmacklose Einrichtung des 49 Euro teuren Hotelzimmers an.
Die Welle brach ohne Vorankündigung über ihn herein, sein Magen drehte sich um 180 Grad, sein Kiefer verspannte sich. Leider konnte er hier den Schneemann nicht erreichen. Er war Tausende von Kilometern entfernt und vertickte wohl gerade die ersten Tütchen auf der Upper West Side.
Max schaute auf die Uhr, es war inzwischen fast 21 Uhr. Der Regen ließ etwas nach, an Schlaf war nicht zu denken. Er hatte noch nicht viel getrunken und konnte noch Auto fahren. »Scheiß drauf«, dachte er, nahm die Wagenschlüssel und ging hinunter zur Rezeption.
Er gab dem überraschten Portier seine Zimmerschlüssel.
»Wann werden Sie wieder zurückkommen?«
»Kann ich nicht genau sagen.«
»Dann nehmen Sie doch bitte die Schlüssel mit, ab Mitternacht ist die Rezeption nicht mehr besetzt und Sie können mit dem Zimmerschlüssel auch die vordere Eingangstür öffnen.«
Na super, hatte Max doch glatt vergessen, dass man in diesem Ort die Jalousien herunterließ, die Bürgersteige hochklappte und die Haustüren verschloss, sobald es dunkel wurde.
Er stieg in seinen Wagen und fuhr los. Nur raus aus diesem furchtbaren Kaff.
Er fuhr über die Dörfer Richtung Innenstadt. Auf dem Weg in die Stadt, den er früher oft mit dem Bus machte, hatte sich nicht viel verändert. Im nächsten Ort hatte man aus dem einzigen Kino, in dem er mal Der Exorzist gesehen hatte, eine billige Pizzeria gemacht. Ansonsten überall die gleiche tödliche Stimmung eines verregneten Montagabends im Ruhrpott.
Er fuhr durch das Hafengebiet Richtung Hauptbahnhof. Man hatte einige protzige Gebäude um den Bahnhof aufgebaut, die anscheinend die Modernität und das wirtschaftliche Wachstum der Stadt demonstrieren sollten. Seitdem es keine Kohle, kein Bier und keinen Stahl mehr gab, passierte hier nichts mehr, die Gebäude standen halb leer. Er parkte das Auto, wo früher das Savoy-Kino gewesen war. Auch dort stand inzwischen ein Imbiss. Im ehemaligen Foyer schnitt jemand verbranntes Hammelfleisch vom fetttropfenden Dönergrill.
Max stieg aus und ging in die Richtung des ehemaligen Rotlichtbezirks der Stadt. Hier hatten früher schon die Dealer gestanden und Haschisch vertickt. Max hoffte, dass sich nichts daran geändert hatte. Nach einigen Metern sah er den ersten Schneemann. Als ob er es gerochen hätte, sah ihn der Dealer an. Zwei Minuten schlichen sie umeinander herum. In einer dunklen Ecke ging der Deal schnell vonstatten.
Max drückte ihm hundert Euro in die Hand und der Mann nahm zwei in Plastik verschweißte Kügelchen Koks aus seinem Mund. Der Stoff war teurer als in New York, unglaublich!
Max nahm die Kügelchen und ging weiter. Es war kaum jemand zu sehen. An der nächsten Kreuzung sah er auf der anderen Straßenseite das Ziel seines nächtlichen Ausflugs.
Er setzte seine Baseballkappe auf, um nicht gleich erkannt zu werden, ging auf die eiserne Tür mit dem kleinen Fenster zu und klingelte. Nach einem kurzen Check wurde er eingelassen.
Die Bar sah genauso aus wie damals. Als Abiturient hatte Max hier mal einige sehr lustige Abende mit seinem Schulfreund Thomas verbracht. Erste Gehversuche hatte er es genannt.
Ein schwerer Eichentresen, dahinter ein schlecht blondierter Wirt mit Plauze. Auf den Barhockern eine Handvoll Männer, die das beste Alter bereits überschritten hatten. In den kleinen Nischen trieben sich einige Damen des horizontalen Gewerbes herum, aus der Musikbox quälte sich irgendeine Schlagertussi zum tausendsten Mal durch den einzigen Hit, den sie vor Jahrzehnten mal hatte.
Max durchquerte den Raum und ging zur Toilette. Der kleine Raum war gelb gefliest und es stank nach Urin. Mit seinem Taschenmesser öffnete er eines der Plastikkügelchen. Aber außer zerkleinerten Tempos war nichts in der verschweißten Kugel. Er öffnete die zweite Packung, aber auch hier kein erlösendes weißes Pulver. Er war auf einen Scheißdealer hereingefallen und wie ein Junkie von der Straße betrogen worden. Wütend schmiss er alles ins Klo, dann machte sich eine unendliche Leere in ihm breit.
Er ging zurück in die Bar, setzte sich an den Tresen und bestellte Whiskey, Christian Anders besang den Zug nach Nirgendwo. Max kippte den Drink in einem Zug und bestellte den nächsten.
Am Ende des Tresens saß ein Mann, der ihn anstarrte. Max drehte sich in die andere Richtung und starrte auf die Tanzfläche, die nicht größer als ein Fünf-Euro-Schein war, und wo eine kleine Nutte, die eher wie eine polnische Landarbeiterin aussah, die Hüften kreisen ließ. Sie zwinkerte ihm lustlos zu.
Max wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Vielleicht sollte er sich hemmungslos besaufen, es der Nutte auf dem Klo besorgen, mit einem Taxi ins Hotel fahren und morgen den Flieger nach New York zurücknehmen. Vielleicht konnte er den Job in der Karibik noch retten und sich mit der Erklärung eines plötzlichen Todesfalls in der Familie herausreden.
Plötzlich saß der ältere Mann, der ihn vorhin angestarrt hatte, neben ihm.
»Max?«
Gottverdammt, kannte ihn denn jeder in dieser Stadt? Kein Wunder, prangte doch Nikolas’ Foto auf der Titelseite sämtlicher Zeitungen im ganzen Ruhrgebiet. Max schaute den Mann ungläubig an.
Es war Klaus, Onkel Jochens Freund aus Kindertagen. Aus dem schlanken jungen Mann mit den damals schon schütter werdenden Haaren war ein fülliger Mann Mitte sechzig geworden. Über dreißig Jahre hatte er ihn nicht gesehen, doch das Gefühl der Sympathie und des Vertrauens war sofort wieder da.
»Ich wusste, dass du kommen würdest, aber, dass ich dich schon heute und ausgerechnet hier treffen würde, hätte ich nicht gedacht.«
»Dass ich heute Abend in dieser gottverdammten Bar sitzen würde, hätte ich mir vor einigen Tagen auch nicht gedacht.«
Klaus sah ihn fragend an.
»Nein, ich habe Nikolas noch nicht gesehen, bin erst heute Morgen gelandet. Ich war in Schwarzhausen und habe mich umgesehen. Ich habe meinen Vater getroffen, aber außer den üblichen dummen Sprüchen habe ich nichts weiter erfahren. Außer dass die Geschichte der neue Medienknüller zu sein scheint, bin ich noch nicht weitergekommen und ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, ob ich nicht morgen zurückfliegen werde. Vielleicht war es nicht richtig zu kommen.«
Max konnte es immer noch nicht glauben, dass er neben Klaus saß. Er war der netteste Mann, den er in seiner ganzen Kindheit getroffen hatte. Nachdem er fast zwei Jahre immer wieder mit Onkel Jochen zu Besuch kam, verschwand er eines Tages spurlos und es wurde nicht darüber gesprochen. Herrmann klammerte alle Fragen nach Klaus rigoros mit seinem Lieblingsspruch »Keine Diskussion« aus.
»Du fragst dich bestimmt, warum wir uns so lange nicht mehr gesehen haben?«
Max nickte und nahm eine Zigarette aus der verknitterten Packung, die in seiner Jeans steckte. Klaus gab ihm Feuer.
»Es tut mir leid, besonders jetzt, nachdem das Ganze so eskaliert ist. Damit hatte ich nicht gerechnet, keiner hatte das erwartet. Ich bin damals, nachdem ich mich von Jochen getrennt hatte, auch ins Ausland gegangen, hatte aber weiter Kontakt mit deiner Mutter. Dein Vater durfte nichts davon wissen.