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macht. Unser Land wurde ohne Liebe erobert. Wir müssen diesem Land die Liebe zurückgeben, die ihm genommen wurde.«

      »Wie?«, fragte Lucy.

      »Indem wir gut zueinander sind«, sagte Lela. »Das Leben ist kein Videogame. Es ist überhaupt nicht ›fun‹, irgendeinem Lebewesen Schmerzen zuzufügen. Es ist überaus beschämend. Statt vor einer Kultur der Gewalt zu katzbuckeln, sollten wir unsere Mutter, die Erde, lieben und Menschen und Tiere mit Respekt begegnen. Niemandem Schmerzen zufügen, niemandem schaden, das klingt einfach, nicht? Fast kindlich. Aber wendet diese Grundregel an, ihr werdet bald sehen, wie schwierig sie ist!«

      Später, auf dem Weg nach Hause, kam mir ein seltsamer und unbequemer Gedanke. Warum hatte ich meinen Vater damals geschont? Warum hatte ich ihn vor Alec nicht bloßgestellt? Nur weil ich mich schämte? Oder war etwas anderes im Spiel? Etwas, das ich kaum zu benennen wagte und irgendwie mit dem zusammenhing, was Lela gesagt hatte. Konnte es sich, auf irgendeine verdrehte Art, um Liebe handeln? Der Gedanke kam mir so albern und widersinnig vor, dass ich ihn einfach nicht weiterdachte; aber er tauchte immer wieder auf und ließ sich nicht verdrängen.

      Im Musikunterricht änderte sich vorerst nicht viel. Noten lesen konnten wir, einige spielten Flöte, andere Schlagzeug. Calvin spielte Klarinette und war für sein Alter ein guter Bassist. Einige standen mehr auf Hip-Hop, wir hatten zwei besessene Rapper und Karaoke mochten eigentlich alle. Simon spielte Klavier, mit Vorliebe und viel Gefühl immer das gleiche Stück: »Für Elise«, was bei uns ein ständiges Gelächter auslöste.

      »Elise, wo ist Elise?«, schrien wir dann in alle Richtungen. »Elise, komm schnell, Simon spielt für dich!« Oft legten wir auch Powwow-Kassetten auf und tanzten dazu. Die Lehrer machten mit und so war der Musikunterricht immer lustig, aber viel zu kurz. Wir waren für Neuigkeiten stets zu haben und wunderten uns nicht, als Lela eines Morgens eine Geige mitbrachte. »Wegen Elise«, sagte sie im beiläufigen Ton. Wir starrten sie an und sie grinste.

      »Wenn Simon immer nur Beethoven spielt, kann ich ja mal Paganini spielen.«

      »Wer ist dieser Papanono?«, fragte Scott.

      »Das wirst du gleich hören«, sagte Lela.

      Wir standen neugierig um sie herum. Sie legte den Geigenkasten auf das Pult und öffnete mit einem feinen, metallischen Schnappen das Schloss. Sie hob den Deckel hoch, der etwas abgewetzt war, und das Sonnenlicht fiel auf das glänzende Innere des Kastens. Er war mit dunkelgrünem Plüsch ausgeschlagen. Die Geige war dunkel, so dunkel wie Mahagoni, mit einem rötlichen Schein. Sie hatte eine kleine Verzierung, die irgendeinen Kopf darstellte, was mir seltsam vorkam.

      Simon fragte voller Ehrfurcht: »Mrs Woodland, haben Sie Konzerte gegeben?«

      Sie zeigte ihr tiefgründiges Lächeln.

      »Ja, selbstverständlich. Ich war drei Jahre lang auf der Musikhochschule in Vancouver.«

      Die Schüler pfiffen anerkennend.

      »Waren Sie gut?«, platzte Cecile heraus.

      »Ich war die Beste.«

      Lela sagte es schlicht, ohne die geringste Überheblichkeit. Sie stellte einfach eine Tatsache fest.

      »Kurz vor meinem ersten Auftritt als Solistin ging ich Schlittschuhlaufen. Ich fiel auf das Eis und brach mir das linke Handgelenk.«

      Betretenes Schweigen. Wir blickten alle auf ihr Handgelenk und Kenny rief: »Man sieht ja überhaupt nichts mehr!«

      »Natürlich nicht.« Lelas Stimme klang völlig gelassen. »Der Bruch ist längst verheilt. Es blieb nur eine geringfügige Steifheit zurück. Aber eine Karriere als Berufsmusikerin konnte ich mir aus dem Kopf schlagen.«

      »Warum?«, fragte ich.

      Sie seufzte ein wenig.

      »Wer sich mit Musik befasst, merkt es.«

      Wir schwiegen betreten. Sie sagte: »Deswegen bin ich Lehrerin geworden.«

      »Und die Musik?«, fragte Simon. »Die war doch wichtig für Sie …«

      Lelas Blick wurde dunkel und fern.

      »Sie war mein Leben.«

      »Und heute?«, fragte ich. »Spielen Sie überhaupt nicht mehr?«

      Sie lächelte mich an. Ihr Gesicht war wieder ganz heiter.

      »Doch, natürlich. Ich spiele Solostücke bei lokalen Veranstaltungen. Ich gebe auch Geigenunterricht.

      Und natürlich spiele ich zu meinem Vergnügen.«

      Scott legte den Kopf schief.

      »Macht das Spaß?«

      Lela schmunzelte.

      »Es kommt darauf an, was du unter Spaß verstehst!«

      »Und dann?«, fragte Angelina.

      »Dann kommt Papanono«, sagte Scott mit Grabesstimme und alle brachen in Lachen aus.

      Ich starrte auf die Geige. Ein Schauer rieselte meine Haut entlang, ein geradezu aufwühlendes Prickeln. Etwas hatte begonnen, genau in diesem Augenblick. Ich beobachtete Lela, wie sie die Geige aus dem Kasten nahm. Eindringlicher, als es Worte vermögen, drückten ihre Hände und Arme das Wort Liebe aus. Alle saßen jetzt still. Lelas Gebärden, zart und anmutig, faszinierten uns. Plötzlich zuckte ein kurzes, scharfes Lächeln um ihren Mund. Sie benutzte jetzt die Geige, indem sie mit den Fingern auf den Resonanzboden klopfte, als Trommel.

      »Ich werde jetzt ein wenig bluffen. Das liegt euch doch, oder?«

      Keiner rührte sich. Sie machte es spannend. Wir saßen da wie Hühner auf einer Stange. Zu Beginn streckte Lela den Bogen hoch in die Luft, als wäre er ein Handbesen, mit dem sie Spinnweben von der Decke fegen wollte. Wir folgten ihren Bewegungen mit offenem Mund. Dann zupfte sie ein paar Mal an den Saiten, erzeugte ein tiefes, klangvolles Brummen. Sie runzelte die Brauen, zog hier etwas, drehte da etwas. Wir warteten. Endlich klemmte Lela die Geige unter ihr Kinn. Und schlagartig geschah eine Verwandlung mit ihr, eine Veränderung, die sich von innen her auf ihr Äußeres übertrug. Mit einer Bewegung, kraftvoll und selbstsicher, strich der Bogen über die Saiten. Was war das? Was geschah? Ohne die geringste Unsicherheit, ohne sichtbare Mühe schwirrten die Töne unter ihren Fingern hervor wie Vögel im Morgenlicht. Lela spielte ohne Noten, mit steigender Geschwindigkeit. Die Vögel stiegen empor, in einer völlig natürlichen Bahn, als müsse es einfach so sein, hinauf, hindurch, flügelschlagend, kreischend. Mein Geist schoss mit ihnen aufwärts, in Kaskaden des Jubels, in Flammen und Licht, zu einem Punkt am Ende des Himmels. Und dann, als die Musik völlig aus den Fugen zu geraten schien, schwang Lela den Bogen hoch über sich, während sie laut den Atem auspresste und ihn in einer blitzschnellen genauen Bewegung auf die Saiten hinunterbrachte und das Spiel fortsetzte.

      Und dann war alles vorbei. Lela senkte den Bogen, die letzten Noten verklangen, hinterließen eine Vibration in meinem Kopf wie verglühende Funken. Lelas Gesicht war abwesend. Ihre Augen blickten uns an und doch durch uns hindurch. Langsam, ganz langsam, kam ich wieder zu mir; mein Geist schien nach unten zu schweben, um sich mit meinem Körper wieder zu vereinen. Auch die Schüler lösten sich aus ihrer Erstarrung, sie bewegten sich, hüstelten verlegen. Scott brach als Erster das Schweigen.

      »Wer war dieser … äh … wie hieß er noch gleich? Der Typ mit dem komischen Namen?«

      »Paganini«, erwiderte Lela. »Er war Italiener und lebte im 19. Jahrhundert. Man sagt, er war der beste Geigenspieler aller Zeiten. Er hat viel komponiert. Und immer nur die schwierigsten Stücke. Leichte Partituren machten ihm keinen Spaß. Dieses Stück heißt ›gli Streghe‹ – die Geister. Man sagte, dass der Teufel selbst seinen Bogen führte.«

      Kenny grinste.

      »Das sagen die Weißen auch, wenn wir die Trommel schlagen.«

      Lela machte ein bejahendes Zeichen.

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