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Karte

      In der Schule haben sie uns eingetrichtert, dass die Schweiz einer Laune der Natur entsprungen sei und aus eigener Kraft zur Selbstständigkeit gefunden hätte. Staatspropaganda. Heute weiß ich, dass es das Kapital der aufstrebenden Industrieellen-Eliten aus ganz Europa war, die im 19. Jahrhundert den Grundstein zu diesem Staat legten. Solcherlei Reichtum bildete den Nährboden für alles, was dieses Land je hervorbrachte.

       Geschätzter Neffe Alexander,

      Ihr Vater war so freundlich, mir die Weiterreise nach Paris zu finanzieren. Schweren Herzens nehme ich Abschied von Ihrer bereichernden Gesellschaft, die zu genießen mir in dieser kurzen Zeit vergönnt war. Mir bleibt die Zuversicht, Sie bald in meiner neuen Heimat willkommen heißen zur dürfen, ich setze mich an der Akademie der Künste für Ihr Stipendiat ein. Das wird das Erste sein, das ich in Angriff zu nehmen gedenke und mir den Auszug aus diesem geschenkten Paradies, das mich bewahrt und gerettet hat, versüßen. Aus diesem demokratischen und liberalen Hort der Freiheiten, wo, in den Worten unseres geliebten Friedrich Schillers, endlich die Tyrannen bluten!

      Seien Sie herzlichst gegrüßt, und richten Sie Ihrem ehrenwerten Vater bitte dasselbe aus.

       Wilhelm Schwarz

      Der grau melierte Herr mit gepflegtem Backenbart benetzte die Briefmarke und klebte sie sorgfältig auf den zur Ansichtskarte zweckentfremdeten Stich, den er am Vortag von der Wand genommen und dem Hotelier abgerungen hatte. Anschließend ergriff er den Gehstock und verließ den Speisesaal des Berghotels Rigi Kulm. Nicht ohne zuvor der Haushälterin Anweisung und Trinkgeld in die Hand zu drücken. Mit einem für ihn ungewöhnlichen Lächeln kehrte Wilhelm Schwarz dem erwachenden Bergpanorama den Rücken.

      Bis zum Erscheinen der ersten Gäste blieb die fein säuberlich geschriebene Karte alleinige Herrin über den Frühstückstisch. Neben ihr scharten sich die Reste von Brot, Ei, Konfitüre, Butter, Kaffee, Käse und Wurstwaren um einfaches Porzellan und Silber. Durch das leicht verzerrende Aussichtsfenster würde gleich das tägliche Schauspiel seinen Lauf nehmen. Die ersten Sonnenstrahlen tauchten den überreichen Alpenfirm in zartes Rosa.

      Wie das ewige Eis sich den Weg ins Tal bahnt. Langsam, unbeirrbar, wie das reinste Tuch sich sanft über die schroffen Felsen legend. Oder doch eher einem gespenstigen Leichentuch ähnlich, alles darunter zersetzend und zermalmend, überkam es Wilhelm Schwarz beim frühmorgendlichen Abstieg. So offenbarten – oder verfälschten – seine Künstleraugen ständig die Welt.

      Nach und nach erleuchtete das Tagesgestirn die grünen Almen vor ihm, dann die dunklen Tannenwälder, gefolgt von den grausigen Schluchten und Abgründen unter ihm, bis zum Schluss der imposante See im Talgrund zu flimmern begann.

      ›Schweiz – Das Land unserer Träume‹ hatte der Absender auf die Vorderseite der Ansichtskarte geschrieben. Sie zeigte, einem Vergrößerungsglas gleich, das Bild, an dem sich die verschlafene Gesellschaft, die nach und nach im Lokal oder auf dem Gipfel auftauchte, aus sicherer Entfernung so sehr ergötzte. Ein berauschender Anblick, der in kalkulierbarer Zuverlässigkeit die rußbefleckten Sorgen der reichsten Städter ganz Europas reinwusch. Mehr noch, in solchen Momenten durften sie sogar die ungebremsten Freuden ihrer so ersprießlichen Geldanlagen vergessen. Wilhelm Schwarz war an diesem Tag der einzige Emigrant, der den Gipfel vor dem Schauspiel verlassen hatte.

       1900 – 1914

      Zwischengesang

      Ein aufgeschlossener Zeitgenosse schrieb im August 1914: »Es war ein beschützender, kleiner historischer Moment des Friedens und des Fortschritts, in dem wir aufgewachsen sind. Wir waren Kinder, die in einem Kindergarten aufgezogen wurden, und nun holte uns die Realität ein, die Geschichte nahm ihren blutigen Lauf wieder auf.«

      Was lernen wir daraus? Die Zeit zwischen 1900 und 1914 markierte eine offene Zukunft. Welchen Weg sie einschlug, ist bekannt.

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