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Schweizer Erinnerungen an die Zukunft. Cyrill Delvin
Читать онлайн.Название Schweizer Erinnerungen an die Zukunft
Год выпуска 0
isbn 9783347117204
Автор произведения Cyrill Delvin
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Dass sich diese Fäden dann eines Tages dennoch verhaspelt haten, war das Schicksal der Schweiz. Die Sezession begann dann, als die in der Verfassung so klug eingeschriebenen Regeln zur Änderung derselben mehr und mehr ausgehebelt wurden und dieses Gewebe, zum gordischen Knoten verbunden, für die Zeitgenossen nur noch mit dem Schwert durchtrennbar zu sein schien.
»Wir sind ein der Herkunft verpflichtetes und mit dem Boden verbundenes Volk. Ein sehr einfacher und lapidarer Satz, allein von gewaltigen Auswirkungen. Es ist notwendig, in diesem Lande die Erkenntnis dahin zu lenken, dass von allen Aufgaben, die uns gestellt sind, die erhabenste und damit für den Menschen heiligste die Erhaltung der von Gott gegebenen blutgebundenen Art und des ihm zustehenden Lebensraums ist. Uns steht mehr zu, als die liberalistischen und jüdischen Schmarotzer uns hier und in der anderen Welt weismachen wollen. Blut, Boden und Wasser waren, sind und werden unser Schicksal bleiben!«
An den Stammtischen im Bergland verfing die Rhetorik des jungen Viktor Schwarz wunderbar. Er glaubte an das, was er sagte. Es ging ihm nicht um Ruhm oder Bereicherung. Darin blieb er berechenbar. Zwar gaben die Sommer noch Wasser ab. Mehr als genug für die Flecken entlang der Berge. Doch war es bereits knapp für das Mittelland mit seinen großen Zentren und zu wenig für die Hügelzüge jenseits. Wie es weiter stromabwärts aussah, war nicht das Problem der Anhänger der Harten.
»Und vor allem mögen besonders Sie, meine Ratskollegen, eines nicht vergessen: dass die Schweiz ein souveräner Staat bleibt, dafür werden in aller Zukunft die Waffen sorgen, die wir schmieden, und nicht die Knebelverträge und Diktate der europäischen Technokraten. Deshalb rufe ich Ihnen zu: Schließen Sie sich uns an. Die inneren Stände sind bereit, sich gegen die Geldzähler und Grauhemden zu wehren. Wir sind bereit …«, seine Stimme versagte.
Man wähnte Schaum in des Redners Mundwinkeln, als der Ratsvorsitzende mit dem Hammer Ruhe gebot. Die Linden hatten längst aufgehört, gegen die radikalen Konservativen zu murren. Unflätiges und lautes Wettern, gar gelegentliche Handgreiflichkeiten standen inzwischen an der Tagesordnung.
»Ich muss Sie bitten, Abgeordneter Schwarz, kommen Sie zur Sache.« Jean-Pierre Nansé verzog keine Miene. Doch wer ihn kannte, wusste, dass er innerlich bebte. Die verbalen Ausfälle des Ewiggestrigen Viktor Schwarz waren ihm zuwider. Er wird uns noch in einen Bürgerkrieg reden, bloß um seine Idee von Unabhängigkeit und Selbstbehauptung durchzusetzen.
»Bitte entschuldigen Sie, Herr Ratsvorsitzender. Ich appelliere an Sie, Abgeordnete, Brüder: Unterstützen Sie die Sezessions-Initiative der Bergkantone, und mobilisieren Sie mit uns zusammen die Armee! Zur Rettung unserer Freiheit. Zur Rettung unseres Landes!«
Über sein Scheitern im Rat machte sich Viktor Schwarz keinerlei Illusionen. Für die Mehrheit der Stände, vor allem für die Grenzkantone, war Isolationismus keine Option. Im Gegenteil, dieser hätte ihrer Ansicht nach in kurzer Zeit zum Untergang geführt. Die Probleme von morgen standen vor ihrer Tür und nicht vor den Scheunentoren der rückwärtig gelegenen Landstriche. Die Ressource Wasser war viel zu wertvoll, um sie dem Gutdünken einer wilden Horde Berglern zu überlassen.
Dabei dümpelte die Schweiz zu diesem Zeitpunkt erst an der Niederschlagsmarke herum, die Wasserknappheit anzeigte.
Die anderen sehen das Land schon wieder als Parasiten und Opportunisten der neuen Weltkrise. Wer weiß, wie lange sie noch bereit sind, uns wenigstens dem Anschein nach souverän zu belassen. Und gegen diese Kräfte will Schwarz doch tatsächlich antreten, mit Morgensternen und Hellebarden. Lächerlich!
Ratsvorsitzender Jean-Pierre Nansé lag wohl richtig, wenn er dieses Ansinnen im besten Fall als schwachsinnig, eher aber als selbstzerstörerisch einstufte. Noch hoffte er, die Harten mit Zuckerbrot und Peitsche auf Kurs zu bringen. Diese Hoffnung stellte sich schneller als befürchtet als falsch heraus.
Kurz nach der geschilderten Ratssitzung trat Viktor Schwarz als Anführer des neuen Sonderbundes in Erscheinung. Seine Botschaft: Wir kehren dem Ausland den Rücken zu und schließen die Grenzen. Der Ansage folgte die Aufstellung von Kampfverbänden. Es lag an den Linden, diese militanten Sezessionsbestrebungen einzudämmen und den Nachbarn zu versichern, dass die Schweiz eine vertrauenswürdige Bündnispartnerin bleiben würde.
»Von Mann zu Mann, ich flehe Sie an, kommen Sie zur Vernunft. Ihre Demagogie ist Gift für dieses Land. In Zeiten wie diesen brauchen wir mehr denn je Zusammenhalt und nicht Entzweiung. Die Zeiten sind vorbei, da wir uns mit Äxten und Tremmel gegen die Welt durchsetzen konnten.«
»Wenn etwas vorbei ist, dann sind es die Zeiten, wo wir uns freikaufen konnten. Begreifen Sie denn nicht? Es gibt kein Zusammen mit der anderen Welt. Wenn wir uns nicht behaupten, verschwinden wir. An ihrem Platz sitzen dann die neuen Vögte aus dem Norden. Wir dürfen den letzten Trumpf nicht verspielen. Nicht jetzt. Sie haben recht, Entzweiung liegt nicht drin! Was muss geschehen, damit Sie sich uns anschließen?«
»Der Trumpf gehört nicht uns.«
»Dann müssen wir Gottfried Stutz erst recht auf die Hinterbeine.«
»Uns unsere Gemeinschaft zerstören?«
»Wenn hier jemand etwas zerstört, dann Sie mit Ihrer romantischen Kontinental-Utopie.«
»Sie haben keine Vorstellung, was Brüssel wirklich umtreibt.«
»Haben Sie? Ich bezweifle es. Denen geht es nur darum zu kriegen, was sie brauchen. Und wenn wir nicht nach ihrer Pfeife tanzen und es gratis geben, dann holen sie es sich. Ist das denn so schwierig zu verstehen?«
Jean-Pierre Nansé beugte sich über den Schreibtisch zu Viktor Schwarz: »Genau das sehe ich. Aber ich bin nicht bereit, dabei alles zu verlieren, was wir über Jahrhunderte aufgebaut haben. Ich will die Grundwerte der Demokratie retten.«
»Und ich werde sie verteidigen, mit Ihnen oder gegen Sie, das ist mir egal.«
Die zwei starrten sich noch einen Augenblick an, bevor sich Viktor Schwarz erhob und das Büro des Ratsvorsitzenden ohne Gruß verließ. Es war die letzte Unterredung der beiden. Die nächste Begegnung verlief wortlos, dafür umso geräuschvoller. Die Harten machten ihre Drohung wahr – und mobil. Sie waren bereit, mit Waffengewalt zu behaupten, was sie als das Ihre betrachteten. Auch gegenüber den eigenen Brüdern.
Die Linden übten sich noch lange im Lamento. Der Druck der Anrainerstaaten auf die Schweiz nahm zu. Und so kam die Zeit, dass sich der unterdessen zum Bundespräsidenten ernannte Jean-Pierre Nansé genötigt sah, seine Generäle auf dem Waffenplatz um sich zu scharen: »Nach meiner Ansicht kann das Land nur noch durch einen Kaiserschnitt gerettet werden, und Bern muss der Operator sein. Wir wollen so wenig Blut wie möglich vergießen. Dieser Krieg ist nicht unsere Wahl. Es ist die Wahl der Sezessionisten und Sonderbündler, die uns zwingt, Recht und Ordnung durchzusetzen. Wir tun das schnell, präzise und schmerzlos.«
Wie anders verlief die Bestätigung Viktor Schwarz’ zum aktiven General: »Wir ziehen an der Seite unserer Vorväter in den Kampf gegen die fremden Richter. Die Linden wollen uns glauben machen, das sei alles nur leeres Geschwätz. Wie falsch sie liegen. Wir erheben uns und erkämpfen uns die Freiheit von allen Vasallen; wie einst Wilhelm Tell.«
Doch die Sage vom Freiheitskämpfer war schon lange aus dem gemeinschaftlichen Fundus getilgt. Ergo bewegte dieser Passus keine Menschenseele. Erst das Bespielen der Blut-Boden-und-Wasser-Ideologie brachte die Gemüter zum Kochen. Es ist unsere heilige Pflicht … die Erhaltung unserer Art … unser Lebensraum … aufrecht stehend, mit der Waffe in der Hand … Schmarotzer, Parasiten, Juden … austreiben … wir sind das Opfer … unser Schicksal … Heldentod … und so weiter und so fort. Mit derlei Hetze erzeugte Viktor Schwarz die Bereitschaft beim Einzelnen, kollektiv für das große Bessere sein Leben hinzugeben.
Der erste Schuss fiel wenige Tage später beim Aufmarsch