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Zucker zwei Tabletten pro Tag, und damit hat es sich. Wie viele Male spritzen Sie Insulin, wenn ich das fragen darf?»

      «Vier Mal. Aber es ist nur halb so schlimm. Man gewöhnt sich daran.»

      «Ich bewundere Sie. Mit welcher Leichtigkeit Sie Ihr Los tragen. Mein Arzt hat mir gesagt, dass jeder Altersdiabetiker im Schnitt vierzehn Jahre nach der Diagnosestellung spritzen muss. Anfangs graute mir vor dieser Vorstellung. Aber ich bin inzwischen so alt, dass ich nunmehr glaube, dass ich das Zeitige segnen werde, noch bevor es so weit kommt.»

      «Womit wir beim Thema Tod angelangt sind», mischt sich Pavlides ein, im Bemühen das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Er weiss nur zu gut, dass Livanou es leid ist, dauernd über ihre Krankheit sprechen zu müssen. Besonders zu Tisch. Sie lebt mit ihrem Diabetes und fertig. Zudem gilt es jetzt einige wichtige Absprachen zu treffen. «Werden Sie bei der Autopsie von Kranidakis dabei sein?»

      «Nein. Ich hoffe Sie verstehen, dass ich mir das nicht antun kann. Aber natürlich haben Sie recht. Jemand von meinem Team wird dabei sein müssen, und zwar ist das Spiropoulos, mein Adjutant. Ein tüchtiger, junger Untersuchungsrichter. Er soll Ihrem Herrn Patsis zur Seite stehen. Das Programm ist gedrängt. Wir beide müssen Asimoglou zu Verfügung stehen.» Schluck Kaffee. «Wenn er um zehn Uhr am Flughafen ankommt, wird er um halb elf im Krankenhaus sein. Dann will er natürlich die Hand des Piloten schütteln und seine mitgebrachten Pressevertreter diese Tat fotografieren lassen. Erfahrungsgemäss braucht es etwas Zeit, bis er mit einem Bild soweit zufrieden ist, dass es veröffentlicht werden darf.» Traianos nimmt einen Löffel Müsli. «Sie schütteln jetzt vielleicht den Kopf, Herr Pavlides. Aber glauben Sie mir: Ich kenne den Herrn Verteidigungsminister. Sie werden schon sehen.»

      Das Krankenhaus ist auf dem neuesten Stand. Die modernste Universitätsklinik im ganzen Land. Chirurgischorthopädische Klinik. Intermediate-Care-Abteilung. Ein Zwischending. Nicht ganz Intensivstation, nicht ganz Bettenstation. Maximal eine Stunde, meint der zuständige Oberarzt, als sich Pavlides und Traianos mit Gefolge erkundigen, ob eine erste Befragung des Piloten möglich sei. Er steht unter Schock und hat starke Beruhigungsmittel bekommen. Den Leibwächter werden sie heute nicht befragen können. Er wird gerade operiert. Unterschenkelfraktur und irgendwelche Gesichtsschädelfrakturen. Man hat sich für ein gleichzeitiges Vorgehen entschieden, der Kieferchirurg und der Orthopäde.

      «Guten Morgen, Herr Marangos, können Sie sich an mich erinnern?» fragt Traianos und beugt sich, in einen weissen Einwegkittel gehüllt, über das Bett des Piloten.

      Dieser sieht alles andere als gut aus. Kleine Pupillen, hohler Blick, wächserne Hautfarbe, ungekämmte Haare, verkrusteter Speichel am Mundwinkel. Aber immerhin keine Spur von Anspannung oder Verkrampfung. Ruhig liegt er da. Doch wohl kaum friedlich, denn in seinem Gehirn scheint es zu rattern. Ganz der pflichtbewusste Kapitän. Keine Schwäche zeigen. Er will die Frage des Staatsanwaltes beantworten, aber er kann es einfach nicht. Nein, zu diesem Gesicht hat er keine Assoziationen. Wie denn auch? Schon dutzende Köpfe haben sich im Verlaufe der letzten zehn Stunden über ihn gebeugt. Ihm Fragen gestellt. Tut’s hier weh? Oder da? Schauen Sie mal auf die Decke, ich prüfe jetzt Ihren Pupillenreflex. Ja, so ist’s gut. Versuchen Sie, etwas zu schlafen. Hier, nehmen Sie diese Tablette.

      «Nein? Keine Erinnerung? Ich bin Staatsanwalt Miltiades Traianos und der Herr neben mir heisst Nikos Pavlides. Er ist Direktor der Kriminalpolizei von Thessaloniki. Wir wollen Ihnen einige Fragen stellen. Fühlen Sie sich im Stande, diese zu beantworten?»

      Das macht er ganz geschickt, der Staatsanwalt. Natürlich ist jeder Militärpilot davon überzeugt, jederzeit imstande zu sein, eine Aufgabe, die von ihm verlangt wird, zu lösen. Einen Befehl auszuführen. Wie erwartet nickt Marangos.

      «Können Sie uns erzählen, was genau gestern passiert ist? Und wieso Sie nun hier liegen?»

      Eine erste offene Frage, die darauf abzielt, die Orientierung des Patienten zu überprüfen. Oder des Zeugen. Je nach Standpunkt. Falls Marangos nun irgendetwas Unzusammenhängendes von sich geben sollte ohne jeglichen Bezug zur fraglichen Situation, kann man die Übung gleich abbrechen. Und warten, bis die Wirkung der Medikamente nachgelassen hat. In der Hoffnung, es seien nur die Pillen, die sein Gedächtnis getrübt haben.

      «Wir waren auf dem Flug nach Moskau», fängt der Pilot an zu erzählen. Leise, bedächtig, aber dennoch geistig präsent, wie es scheint. Die Ereignisse tauchen allmählich vor seinem geistigen Auge auf.

      «Der Autopilot war eingeschaltet. Flughöhe dreiunddreissig tausend Fuss. Das sind etwa elftausend Meter. Es war bereits dunkel. Vor der bulgarischen Schwarzmeerküste. Zirka 20 Meilen östlich von Varna.»

      «Gut, gut, erzählen Sie weiter!» Traianos blickt, seine freudige Anspannung kaum verhüllend, zu Pavlides auf, der neben ihm steht. Kurze Sätze zwar, aber im Zusammenhang mit der Sache stehend.

      Marangos öffnet und schliesst ein paar Male schmatzend den Mund. Livanou bemerkt dies und tritt näher an ihn heran. Sie nimmt die Schnabeltasse zur Hand, die auf dem Nachttisch steht, und führt sie an seinen Mund. Er richtet sich langsam auf.

      «Ihr Mund ist trocken. Hier, bitte, trinken Sie.»

      Der Pilot nimmt ein paar kleine Schlucke, legt sich vorsichtig wieder hin und nickt dankend. Dann spricht er weiter.

      «Plötzlich Totalausfall der Instrumente. Komplette Dunkelheit. Die Maschine bockt. Wie ein Bulle beim Rodeo. Pitch Oscillations. Ein denkbar ungünstiger Moment für solche Kapriolen. Mein Copilot war soeben aufgestanden, um auszutreten.» Konsterniert schüttelt er den Kopf und seufzt. «Dann plötzlich: Die Elektronik setzt wieder ein. Ich weiss auch nicht warum und wie. Plötzlich ist alles wieder da. Ich erkundige mich über die Bordfunkanlage, ob in der Kabine alles in Ordnung sei, erhalte aber keine Antwort. Ich will aufstehen, um nach dem Rechten zu schauen, als erneut alles dunkel wird. Wie bei einem Blitzschlag! Erneut Totalausfall …»

      «Blitzschlag?», hakt Pavlides nach, «wurde Ihre Maschine denn von einem Blitz getroffen?»

      «Nein», antwortet Marangos, «woher denn? Das Wetter war perfekt. Einige Quellwolken, aber keine Gewitterfront weit und breit.»

      «Und dann?» will Traianos wissen.

      «Spirale. Zwischendurch ein elektrisches Aufzucken einiger Instrumente. Und wieder tot. Schreie in der Kabine. Poltern. Die Maschine geht in einen Parabelflug über. G-Kräfte, Ziehen. Meine Arme und Beine waren bleischwer. Ich hatte Mühe meinen Kopf gerade zu halten. Drückte wie ein Besessener meinen Hals zusammen. Nahm dazu meinen Kopf zwischen die Schultern. Versuchte die Maschine zu stabilisieren. Vielleicht war ich zwischendurch auch mal bewusstlos. Ich erinnere mich nicht mehr. Jedenfalls kam mir die Zeit, in der ich darum kämpfte, das Flugzeug zu stabilisieren, wie eine Ewigkeit vor.»

      Pause. Nachdenken.

      «Dann kam der Moment, wo ich dachte, es sei aus. Alle Instrumente blieben stumm. Was auch immer ich an Notfallprozeduren vollführte, sie blieben alle wirkungslos. Es war schrecklich. Nicht aufhören, Sakis, sagte ich mir. Nicht aufhören! Denk an deine Familie! Tu etwas! Und plötzlich, als ob mich der Herr erhört hätte, flackerte es auf der Konsole und die Elektronik war wieder da. Die Turbinen auch. Schub! Sie spüren das, wie beim Anfahren mit dem Auto. Auch die Hydraulik. Alles wieder da! Ein Wunder! Mein Blick fiel auf das Altimeter, die vertikale Geschwindigkeit und den künstlichen Horizont. Und da wusste ich sofort, was ich zu tun hatte …»

      «Sie haben wahrlich eine bravouröse Handlung vollführt, Herr Marangos», sagt Traianos und tätschelt, emotional bewegt von diesen Schilderungen, den Vorderarm des Piloten. Dieser schweigt jetzt. Atmet langsam.

      «Wissen Sie, wieso das Flugzeug so verrückt gespielt hat?» will Pavlides wissen.

      «Keinen blassen Schimmer. So etwas ist mir in meiner ganzen fliegerischen Karriere noch nie passiert. Nicht mit der Phantom, nicht mit der Mirage und auch nicht mit der Falcon.»

      Ein erfahrener Pilot offenbar, der mit fast allen Modellen der Luftwaffe geflogen zu sein scheint.

      «Und dann? Was geschah danach?»

      «Etwa zweitausend Fuss über dem Wasser konnte ich die

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