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Stimulans zu regerer Anpflanzung. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts beginnen Produktion und Absatz dann plötzlich in Fieberkurven anzusteigen, und Brasilien wird der Kaffeelieferant der ganzen Welt. Immer hastiger muß es seine Produktion erweitern, um dem Bedarf nachzukommen, Hunderttausende und schließlich Millionen Arbeiter strömen in die Provinz São Paulo ein, die großen Häfen und Magazine von Santos werden ausgebaut, wo manchmal an einem einzigen Tage dreißig Frachtdampfer gefüllt mit Kaffeesäcken vor Anker liegen. Mit dem Export von Kaffee reguliert Brasilien für Jahrzehnte seine Wirtschaft, und welchen Wert dieser Export darstellt, zeigen die gigantischen Zahlen. Zwischen 1821 und 1900, in achtzig Jahren, liefert das Land für 270 Millionen und 835 000 englische Pfund, im ganzen bis heute für über zwei Milliarden englischer Pfunde; damit allein ist ein Großteil seiner Investitionen und seiner Einfuhr schon gedeckt. Aber anderseits wird durch diese Monopolproduktion Brasilien immer mehr von den Börsenpreisen abhängig und seine Währung an die Notierung des Kaffees verhängnisvoll gebunden; jeder Sturz der Kaffeepreise muß den Milreis mit sich reißen.

      Und dieser Sturz der Kaffeepreise erweist sich schließlich als unaufhaltsam. Die Pflanzer, von den leichten Absatzmöglichkeiten angelockt, erweitern ständig ihre Fazendas, und da keine organisierte Planwirtschaft rechtzeitig dieser wilden Überproduktion entgegentritt, folgt eine Krise der andern. Die Regierung muß mehrmals intervenieren, um eine Katastrophe zu verhindern, einmal indem sie einen Teil der Ernte aufkauft, ein andermal, indem sie Neuanpflanzungen mit so hohen Steuern belegt, daß sie einem Anpflanzungsverbot gleichkommen, ein drittes Mal, indem sie den aufgekauften Kaffee ins Meer werfen läßt, um den Sturz der Preise aufzuhalten. Aber die Krise bleibt latent. Immer wieder stürzt nach kurzen Erholungen der Preis und reißt mit jedem seiner Stürze den Milreis mit sich. Derselbe Sack Kaffee, der um 1925 noch fünf englische Pfund kostet, fällt 1936 bis auf eineinhalb englische Pfund, während gleichzeitig der Milreis noch heftiger absinkt. Aber im Sinne der Stabilität der Finanzen und des innern Gleichgewichts ist es eher ein Vorteil, daß die Königsherrschaft des Kaffees sich ihrem Ende nähert und nicht Wohlstand oder Krise eines ganzen Landes durch den zufälligen Kurs der braunen Körner an den internationalen Warenbörsen bestimmt wird. Wie immer wird auch hier eine wirtschaftliche Krise Brasilien zum nationalen Gewinn, weil sie zu gleichmäßiger Ausbreitung seiner Produktion drängt und rechtzeitig die Gefahr der Einstellung seines Volksvermögens auf eine einzige Karte erkennen läßt.

      Eine Zeitlang hat es den Anschein, als wollte gegen den wirtschaftlichen König Brasiliens, den Kaffee, ein gewaltiger Kronprätendent sich erheben, um die Herrschaft an sich zu reißen: das Gummi. Es hätte eigentlich für seinen Anspruch ein gewisses moralisches Recht, denn es ist nicht wie der Kaffee ein ziemlich spät gekommener Immigrant, sondern ein heimischer Bürger. Der Gummibaum, die Hevea brasiliensis, war ursprünglich in den Wäldern des Amazonas zu finden. Dreihundert Millionen solcher Bäume wachsen dort seit Hunderten und Hunderten von Jahren, ohne daß je ihre besondere Form und ihr kostbarer Saft den Europäern bekannt geworden wäre. Die Eingeborenen benutzen ab und zu das ausfließende Harz, wie Le Condamine auf seiner Amazonasreise als erster 1736 feststellt, um ihre Segel und Gefäße gegen das Wasser zu verkitten. Aber das klebrige Harz, industriell nicht verwertbar, weil es weder hohen noch niederen Temperaturen Widerstand zu leisten vermag, wird nur ab und zu in kleinen Quantitäten und in primitiv angefertigen Artikeln zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts nach Amerika geschickt. Die entscheidende Wendung kommt erst, als 1839 Charles Goodyear entdeckt, daß man durch eine Schwefellegierung die weiche Masse in eine neue, gegen Hitze und Kälte weniger empfindliche umwandeln könne. Mit einem Schlage wird der Kautschuk einer der »big five«, eine der großen Notwendigkeiten der modernen Welt, kaum minder wichtig als Kohle, Petroleum, Holz und Erz. Man benötigt ihn zu Schläuchen, zu Galoschen und zu tausend anderen Dingen, und mit der Einführung des Fahrrads und dann des Automobils nimmt sein Verbrauch gigantische Proportionen an.

      Für den Grundstoff dieses neuen Produkts besitzt nun Brasilien bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts das ausschließliche Monopol. Im ganzen Weltall ist nur in seinen amazonischen Wäldern – ein ökonomischer Glücksfall ohnegleichen – die Hevea brasiliensis zu finden; es ist also an Brasilien, die Preise zu diktieren. Entschlossen, das kostbare Monopol für sich allein zu behalten, verbietet die Regierung die Ausfuhr auch nur eines einzigen Baumes, wohl sich erinnernd, wie sehr es selbst durch die Einführung von ein paar Dutzend Kaffeesträuchern aus dem nachbarlichen französischen Guayana seinerzeit den gefährlichsten Rivalen schachmatt gesetzt hat. Und nun beginnt in merkwürdiger Parallelität zu der Entdeckung des Goldes in Minas Gerais ein plötzlicher boom in den bisher nur von Moskitos und anderem Getier bewohnten Urwäldern des Amazonas. Abermals setzt mit diesem Zyklus des »flüssigen Goldes« eine gewaltige Binnenimmigration in eine bisher unbesiedelte Provinz ein. Siebzigtausend Menschen aus der Gegend von Ceará, die infolge einer plötzlichen Dürre ihre bisherigen Wohnstätten verlassen mußten, werden von den Compagnien angeworben und von Belém in Booten und Schiffen hinauf in diese Wildnis geschickt, oder wenn man es ehrlicher sagt: verkauft. Denn ein furchtbares System der Ausbeutung beginnt in diesen Gegenden, die so weit von Gesetz und Überwachung sind wie seinerzeit die Goldtäler von Minas Gerais; obwohl nicht Sklaven, werden diese seringueiros durch Arbeitskontrakte und dadurch, daß die Unternehmer, noch nicht zufrieden mit dem Gewinn an dem Gummi, diesen unseligen Arbeitern im »grünen Gefängnis« des Urwalds überdies noch die Waren und Lebensmittel, die sie benötigen, zum vier- und fünffachen Preise verkaufen, praktisch in Knechtschaft gehalten. Wer alle Einzelheiten des Horrors dieser Tage verstehen will, möge den wunderbaren Roman von Ferreira de Castro nachlesen, der mit großartigem Realismus diese schmachvolle Zeit schildert. Die Arbeit des seringueiro ist furchtbar; in elenden Hütten im Urwald kampierend, abseits von jeder gesitteten Menschheit, muß er mit Messer und Hacke durch das Gestrüpp erst den Weg zu diesen Bäumen sich bahnen, muß sie anzeichnen und abzapfen, mehrmals am Tag hin und zurück in der glühenden Hitze, muß zwischendurch die Gummimilch rechtzeitig verkochen und bleibt dabei, vom Fieber geschüttelt, in seinen Kräften zerstört, nach monatelanger Arbeit durch eine verbrecherische Kalkulation noch immer Schuldner des Unternehmers, der die Fracht der Beförderung von ihm zurückfordert, und der ihn bei der Lebensmittellieferung bewuchert. Versucht er aus seinem »Arbeitskontrakt«, wie man diesen Sklavendienst mit einem schöneren Worte nennt, zu entfliehen, so wird er genau wie früher ein Sklave von bewaffneten Wächtern gejagt und muß in Ketten weiterarbeiten.

      Aber dank dieser schamlosen Ausbeutung der Arbeiter, dank des Handelsmonopols und des von Jahr zu Jahr steigenden Weltbedarfs schnellen die Gewinne ins Phantastische hinauf. Die Tage von Vila Rica und Vila Real im achtzehnten Jahrhundert, da die Goldstädte mit hastigem Prunk und sinnloser Pracht mitten in einer Einöde aufwuchsen, scheinen wiedergekehrt im neunzehnten Jahrhundert. Belém blüht auf, und eine völlig neue Stadt entsteht tausend Meilen weit von der Küste, Manaus, gewillt, Rio de Janeiro, São Paulo und Bahia durch Luxus und Pracht zu übertreffen. Asphaltierte Avenuen, Banken und Paläste mit elektrischem Licht, prächtige Häuser und Geschäfte, das größte und luxuriöseste Theater Brasiliens, das nicht weniger als zehn Millionen Dollar kostet, erstehen mitten im Urwald. Alles schwimmt in Geld. Ein Konto, damals zweihundert Dollar, wird ausgegeben wie ein Schilling, die raffiniertesten Luxuswaren kommen aus Paris und aus London in den großen Dampfern, die immer öfter und öfter den Amazonas befahren. Alles spekuliert, alles handelt mit Gummi, und während die Bäume bluten und im grünen Gefängnis des Urwalds die seringueiros zu Hunderten und Tausenden hinsterben, wird eine ganze Generation im Amazonasgebiet so reich an dem flüssigen Gold wie einstens ihre Urväter in den Minenfeldern von Minas Gerais. Auch der Staat profitiert freilich von diesem einträglichen Export, und in der Handelsbilanz kommt das Gummi in raschen und wilden Sprüngen dem Kaffee bedenklich nahe; die Einführung des Automobils eröffnet unbegrenzte Perspektiven. Ein Jahrzehnt noch, und Manaus wird nicht nur die reichste Stadt Brasiliens sondern eine der reichsten der Welt sein.

      Aber ebenso rasch wie sie aufgestiegen war, platzt diese schillernde Blase. Ein einziger Mann hat sie heimtückisch aufgestochen. Ein junger Engländer holt, das staatliche Verbot der Ausfuhr der Hevea brasiliensis oder deren Samen durch Bestechung geschickt zunichte machend, nicht weniger als siebzigtausend dieser Samen nach England hinüber, wo in Kew Gardens die ersten Bäume gepflanzt und dann nach Ceylon, Singapore, Sumatra und Java übertragen werden. Damit ist das brasilianische Monopol gebrochen, und seine Produktion kommt rasch in die Hinterhand.

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