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so energisch begonnen, ist gehemmt. Wo Geld schaffen, seit das Gold nicht mehr aus Brasilien strömt, und wie Ersatz dafür? Die Austreibung der Jesuiten, die angeordnete Konfiskation ihrer Güter hat nichts geholfen; nach dem ersten Traumreich der »Lusiaden« ist nun auch das des ewigen Eldorados entschwunden. Tückisch wie immer hat das Gold nur Glückseligkeit versprochen und nicht gehalten. Und Portugal muß sich bescheiden, wieder zu werden, was es zuerst gewesen, ein kleines, stilles und eben um dieser stillen Schönheit willen liebenswertes Land.

      Die andere, gleichzeitige Szene in Minas Gerais in vollkommenem Gegensatz: die Goldwäscher sind mit ihren Maultieren, Eseln, Sklaven und ihrer ganzen beweglichen Habe von der unwirtlichen Gebirgsgegend heruntergezogen und haben das fruchtbare Wiesenland entdeckt. Sie siedeln sich an, kleine Niederlassungen und Städte entstehen, den São Francisco entlang fahren die Schiffe, der Verkehr belebt sich, aus einem leeren unbewohnten, unbebauten Lande wird eine neue, tätige Provinz. Was für Portugal Verlust, wird für Brasilien Vorteil; für das entschwundene Gold hat es eine ungleich kostbarere Substanz gewonnen, ein neues Stück seiner Erde für tätige und fruchtbringende Arbeit.

      Dieser Goldsturm nach Minas Gerais stellt in demographischer Hinsicht eigentlich die erste jener großen Innenimmigrationen dar, die für die nationale und wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens so entscheidend geworden sind. Ohne diese immer wiederholten Wanderungen im inneren Raum wäre das Phänomen unverständlich, daß ein Land von so ungeheurer Ausdehnung in einem solchen Maße national einheitlich geblieben ist, daß selbst die Sprache sich kaum in einzelne Dialekte umfärbte und vom Paraná hinauf bis zum Amazonas, vom Ozean bis in die fast unerreichbare Ferne von Goiaz dieselben Sitten obwalten und trotz aller klimatischen und beruflichen Verschiedenheiten der Volkstypus ein einheitlicher geblieben ist. Wie in allen großräumigen Ländern hat hier der Ansiedler ein anderes Verhältnis zur Scholle wie der Bauer der engen europäischen Gemarkung, der völlig seinem Haus wie seinem Grund verhaftet ist. In Brasilien, wo die Erde im ganzen Hinterlande frei war und jeder sie nehmen konnte, wo er wollte und wie er wollte, ist der Mensch wanderlustig und unternehmungsbereit. Es ergab sich hier ganz natürlich, daß der Ansiedler, weniger traditionell gebunden als der europäische Bauer, leicht seinen Wohnsitz tauschte und jeder neuen Gelegenheit willig folgte, die sich ihm bot. So prägen die großen Umschaltungen in der brasilianischen Wirtschaft von einem Monopolprodukt zum andern, die sogenannten Zyklen der Produktion, sich auch als Wanderungen und Verschiebungen des siedlerischen Gleichgewichts aus, und man könnte in gewissem Sinne diese Zyklen ebenso wie nach den Produktionsobjekten nach den Städten und Landschaften benennen, die sie geschaffen haben. Die Ära des Holzes, des Zuckers und Cotons hat den Norden besiedelt. Sie hat Bahia geschaffen, Recife, Olinda, Pernambuco und Ceará. Minas Gerais ist besiedelt worden durch das Gold. Rio de Janeiro wird seine Größe der Umsiedlung des Königs mit seinem Hofe danken, São Paulo seinen phantastischen Aufstieg dem Imperium des Kaffees, Manaus und Belém ihre plötzliche Blüte dem rasch ablaufenden Zyklus des Gummis, und noch wissen wir die Lage der Städte kaum, die der nächste Umschwung, die Erzgewinnung, die Industrie zu plötzlichem Wachstum bringen wird.

      Dieser Prozeß der Gleichgewichtsverteilung, der noch heute in vollem Gang ist, – denn der Brasilianer ist dank seiner dunklen Erbschaft besonders beweglich von Natur –, und der dauernd gefördert wurde durch eine ständige Zumischung von erst der afrikanischen, dann der europäischen Immigration, hat verhindert, daß der organische Ausbreitungsprozeß jemals völlig ins Stocken geraten ist. Er hat eine allzu stabile soziale Schichtung verhindert, und statt des partikulären Elements das nationale stärker herausgearbeitet. Man hört noch hie und da sagen, daß dieser von Bahia stammt und jener aus Porto Alegre, aber bei näherer Nachfrage erfährt man, daß Vater oder Mutter fast immer von anderer Herkunft sind; dank dieser ständigen Transfusion und Transplantation hat sich dieses Wunder der brasilianischen Einheitlichkeit bis auf den heutigen Tag gerettet, wo durch die gesteigerten Verbindungsmöglichkeiten die bindenden Kräfte des Radios und der Zeitung eine nationale Zusammenfassung viel selbstverständlicher machen. Während das spanisch-südamerikanische Reich, das weder räumlich noch an Menschenanzahl dem ehemaligen portugiesischen Kronland überlegen ist, schon im Grundplan durch die Aufteilung in einzelne Gouverneursbezirke die Sonderheiten Argentiniens, Chiles, Perus, Venezuelas in dialektischen Formen, in Sitte und Habitus schärfer herausarbeitet, bereitete die zentralistisch geführte Regierungsform Brasiliens schon von Anfang an eine völlig einheitlich ökonomische und nationale Form vor, die, weil früh und organisch in der Seele des Volkes verankert, auch im wirtschaftlichen Sinne nicht mehr zu zerstören war.

      Versucht man für die Epoche zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Bilanz von Soll und Haben aufzustellen zwischen der Kolonie und dem Mutterland, zwischen Brasilien und Portugal, so findet man ein vollkommen verändertes Bild. Von 1500 bis 1600 ist Brasilien der nehmende, Portugal der gebende Teil: es muß Beamte und Schiffe, Waren und Soldaten, Kaufleute und Kolonisten hinüberschicken, und seine weiße Bevölkerungszahl übertrifft um das Zehnfache die junge Kolonie. Um 1700, also zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts, dürfte die Waage auf gleich schwanken und sich eher zu Gunsten Brasiliens überneigen. Um 1800 hat sich die Proportion schon in phantastischer Weise verändert. Portugal mit seinen 91 000 Quadratkilometern erscheint winzig neben dem Land, das achteinhalb Millionen desselben Maßes umfaßt. Allein an schwarzen Sklaven beherbergt es mehr als Portugal mit all seinen Untertanen; an wirtschaftlicher Kraft ist das amerikanische Reich nicht mehr zu vergleichen mit dem verarmten, in ökonomischen Marasmus immer tiefer verfallenden europäischen Heimatland. Mit viel Gold oder wenig Gold, mit seinen Diamanten, seinem Zucker, seiner Baumwolle, seinem Tabak, seinem Viehstand, seinen Erzen und nicht zuletzt seinen von Jahr zu Jahr gewaltig wachsenden Arbeitskräften hat es sich längst von jeder Hilfeleistung emanzipiert. Das Kind erhält jetzt die Mutter und nicht mehr die Mutter das Kind. Beim Erdbeben von Lissabon schickt Brasilien nicht weniger als drei Millionen Cruzados zum Aufbau als Geschenk hinüber, und vermögend ist in Portugal nurmehr, wer Besitz hat in Brasilien oder Handel treibt mit seinen Häfen und Städten. Wie eine Welt steht Brasilien neben der pequena casa Lusitana.

      Aber je kräftiger, je männlicher, je aufrechter Brasilien sich entfaltet, um so sichtlicher verrät das Mutterland die Sorge, sein allzu kräftig geratenes Kind könnte eines Tages seiner Obhut entlaufen. Immer wieder versucht es, das schon selbständig handelnde, selbständig denkende, selbständig wirkende Wesen, als ob es noch unmündig wäre und am königlichen Gängelband geführt werden müßte, in die Gehschule einzuschließen. Mit Gewalt soll seine wirtschaftliche Selbständigkeit verhindert werden. Während Nordamerika längst frei sein Schicksal bestimmt, darf Brasilien noch keine Waren erzeugen außer seinen Fertigprodukten. Es darf keine Stoffe weben, sondern soll sie auf dem Umweg über das Mutterland beziehen, es darf keine eigenen Schiffe bauen, damit einzig die portugiesischen Reeder verdienen. Für geistige Menschen, für Techniker, für Industrielle soll dort kein Raum sein und kein Tätigkeitsfeld. Kein Buch darf dort gedruckt werden, keine Zeitung veröffentlicht, und mit den Jesuiten nimmt man ihnen noch die einzigen, die dort ein wenig Bildung verbreiten. Nur keinen selbständigen ökonomischen Aufstieg, nur keine freie Verbindung mit den Weltmärkten! Brasilien soll Sklavenland bleiben, Fronland, abhängige Kolonie, und je unselbständiger, je ungeistiger, je unnationaler, desto besser. Jede Regung der Unabhängigkeit wird gewaltsam niedergeschlagen. Und die portugiesischen Truppen, die innerhalb Brasiliens stehen, haben längst nicht mehr wie einst den Sinn, die Kolonie gegen äußere Feinde zu schützen, – denn dies vermöchte das Land längst aus eigener Kraft –, sondern einzig die königliche Wirtschaftskaserne gegen das eigene Land zu bewachen.

      Aber immer wiederholt sich das gleiche Phänomen in der Geschichte; was in Jahren und Jahren an Vernunft und Gleichgültigkeit versäumt wird, erzwingt dann die brutale Gewalt in einer einzigen Stunde. Es ist groteskerweise Napoleon, der Welttyrann Europas, der dieses amerikanische Land befreit. Denn indem er den König von Portugal durch den blitzartigen Vormarsch seiner Truppen zwingt, seine Residenzstadt Lissabon in überstürzter Flucht zu verlassen, zwingt er ihn auch, zum erstenmal das Land in Augenschein zu nehmen, das ihm seine Paläste gebaut und seiner Krone, seinem Lande durch Jahrzehnte und Jahrhunderte der treueste Helfer gewesen. Statt der Zolleinnehmer und der Gendarmerie erscheint nun zum erstenmal mit seinem ganzen Hof, dem Adel und der Geistlichkeit ein Angehöriger des Hauses Bragança, der König João VI., in seiner Kolonie.

      Aber das neunzehnte Jahrhundert wird keine

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