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verschwunden.

      Von allen Kindern Kfar Jalas war die Tochter von Mahmoud und Sabah Al-Riadh die merkwürdigste, das jedenfalls versicherten sich die Nachbarn. Es spielte keine Rolle, wie oft Laylas Eltern ihnen auch erklären, ihre Tochter habe keine speziellen Kräfte und könne weder Geister noch die Zukunft sehen. Von dem Augenblick an, als Layla in die Mittelstufe kam, begannen die Gerüchte, was Sabah dazu veranlasste spöttisch zu erklären, die einzige Besonderheit, die ihre Tochter hätte, sei die Fähigkeit, blitzschnell zu verschwinden, wenn es Arbeit gäbe. Irgendwann jedoch verloren auch die Neugierigsten das Interesse und hörten auf, über den Vorfall zu spekulieren, der die ganze Aufregung überhaupt erst ausgelöst hatte. Der Vorfall, den weder Layla, noch ihre Eltern jemals erwähnten, ereignete sich zwei Tage nach Laylas zwölftem Geburtstag. Layla war auf dem Heimweg von der Schule, als sie plötzlich wie vom Blitz getroffen stehen blieb und, kreidebleich im Gesicht, auf die Straße vor sich zeigte. Dann fiel sie ohnmächtig um. Es war purer Zufall, dass sich an derselben Stelle, auf die sie gezeigt hatte, am nächsten Tag ein Unfall ereignete, der zwei Tote forderte, denn was Layla eigentlich gesehen hatte, bevor sie wie ein gefällter Baum zu Boden ging, war ein kleines Mädchen mit traurigen Augen und einem abgetragenen Wintermantel. Ein Mädchen, das außer ihr niemand sehen konnte, wie sich bald herausstellte, denn in jener Nacht fingen die Träume an. Erst spärlich, fast sachte. Später, als Layla älter wurde, wurden auch die Träume intensiver, plastischer und auf eine merkwürdige Art realistischer als andere Träume. Sie kamen selten, doch wenn sie kamen, dann mit der vollen Wucht ihrer Eindrücklichkeit, sodass Layla oft schweißgebadet und mit klopfendem Herzen aufwachte. Doch bis zu diesem Abend kamen die Träume nur nachts, niemals wieder tagsüber, niemals wenn sie, so wie jetzt, hellwach war. Während Layla mühsam in die Wirklichkeit zurückkehrt, sieht sie gerade noch, wie die kleine alte Frau ihr von ferne zuwinkt, und dann beherzt die Straße zum Kibbuz entlangmarschiert, wobei sie die wilden Kaninchen aufschreckt, die hier in den Hügeln leben. Layla sieht ihr nach, bis sie hinter den Toren verschwunden ist, die den Kibbuz vor der Außenwelt beschützen. Noch immer ist ihr kalt, obwohl der Abend mild ist und die Luft nach wildem Hibiskus und Ozon riecht. Der Stoff ihrer dünnen Bluse scheuert unangenehm auf der Haut ihrer Arme, und ihre Muskeln fühlen sich steif an und schmerzen. Doch das, was ihr wirklich zu schaffen macht, ist nicht so sehr die Tatsache, dass ihre Träume offenbar beschlossen haben, nun auch bei hellem Tageslicht zu erscheinen, sondern vielmehr, dass sie sicher ist, dass die alte Frau nicht auf Hebräisch über ihre Zaunphobie lamentiert hat, sondern in einer fremden Sprache. Eine Sprache, die Layla nie zuvor gehört hat, und doch hat sie jedes Wort verstanden.

      ***

      Der Engel liegt auf dem Rücken unter einem Baum und sieht einer El-Al-Maschine nach, die in nördlicher Richtung unterwegs ist. Durch die dichten Zweige sieht er nur einen kleinen Ausschnitt des blauen Himmels, doch der genügt ihm. Auf der Erde hat der Engel wenig, wofür es sich zu existieren lohnt, und er sehnt sich nach der Luft, die sich über ihm spannt wie ein Betttuch aus feinster blauer Seide. Er ist schon sehr lange neunzehn Jahre alt, und obwohl er sich immer noch blitzschnell bewegen kann, hinterlassen seine Füße keine Spuren mehr im Sand. Hier, am Boden des Himmels, hat er sich immer fremd gefühlt. Selbst als er noch ein Mensch war, haftete ihm etwas Übernatürliches an. Als er ein Kind war, war seine Haut so zart und weiß wie Butter, und sein Haar war nachtschwarz. Mit zwei Wochen hat er jedem, der vorbeikam, die Hände entgegengestreckt und gelächelt. Alle nannten ihn nur »das süße Kind«, alle außer seiner Mutter, die ihn ihr Gottesgeschenk nannte. Während er unter dem Baum liegt, hat er das Gefühl, so leicht wie eine Dunstwolke zu sein. Er verhält sich vollkommen still, um die Vögel nicht aufzuschrecken, die in der Platane nisten. Das Gras unter dem Baum ist so weich, als hätte es noch nie jemand betreten, und der Engel fühlt die feuchten Halme an seinem Nacken kitzeln, als ihm die Polizisten die Schultern tiefer in den Boden drücken und ihn herumrollen, um ihm Handschellen anzulegen.

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