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Bruder, als dir lieb ist. Und wer weiß, vielleicht könnt ihr dann euren Ramadan zusammen feiern. Im Knast kommt sicher die richtige Stimmung auf, meinst du nicht?«

      Der Polizist lacht kehlig über seinen eigenen Witz, doch Omar verzieht keine Miene.

      »Ich hab euch doch gesagt, ich weiß es nicht. Wann lasst ihr meinen Bruder frei?«

      »B’chaim lo! Wenn dir die Sonne aus dem Arsch scheint, du kleiner Scheißer. Und jetzt hau ab!«

      Chaim Levy wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß vom Nacken und steckt sich dann eine Zigarette an. Er ist seit über dreißig Jahren im Dienst, und nie war es ein schlimmeres Elend mit diesen verfluchten Arabern. Die machen, was sie wollen. Solange sie sich einfach in ihren kleinen Terrorzellen zusammenrotteten, waren sie irgendwie noch kontrollierbar, aber gegen diese spontanen Ausbrüche von Gewalt ist selbst der Shin Bet machtlos. Kein Mensch weiß, wann einem von ihnen wieder die Sicherung durchbrennt, und dann gibt es wieder Witwen und Mütter, die heulen, weil einer ihre Ehemänner, Söhne oder Töchter erstochen hat. Und da nützt es auch nichts, wenn einer von ihnen zusammenbricht und sein wertloses Leben bereut, die Zeiten sind schlecht und die nächste Intifada nur eine Frage der Zeit.

      Als Chaim achtzehn Jahre alt war, joggte er jeden Morgen zehn Kilometer und stemmte Gewichte, bis sein Oberkörper so gestählt war, dass sich die Muskeln an seinem Bauch wölbten wie Panzerketten. Seine Fäuste waren so hart, dass er damit gegen Eisen schlagen konnte, ohne sich zu verletzen, aber trotzdem ging er eines Abends los und kaufte sich ein Bowie-Messer. Eines mit einer guten stählernen Klinge, die auch heute noch so scharf ist, dass er sie in einem metallenen Futteral aufbewahren muss. Er säubert das Messer mit Spiritus und einem weichen Baumwolltuch, und jedes Mal wenn er das tut, gibt ihm das ein grimmiges Gefühl der Zufriedenheit. Es gibt genau zwei Dinge, die ihm heilig sind. Das eine ist sein Land, das andere ist sein Hund Loretta, ein Dobermann-Mischling mit schlechtem Charakter und ebenso schlechtem Atem. Für diese beiden würde er töten, was wahrscheinlich auch der Grund ist, warum er nach seinem Wehrdienst in der Armee geblieben ist. In seiner Grundausbildung war Chaim der disziplinierteste von allen, und bis heute macht ihm im Messerwerfen niemand etwas vor. Er kann mit seinem Messer auf zwanzig Schritt Entfernung den winzigen Docht einer Kerze durchtrennen, und das Herz eines Gegners bei Dunkelheit zu treffen, würde ihm keinerlei Probleme bereiten. Er empfindet es als persönliche Beleidigung, dass dieser verdammte Araber einen seiner Männer ausgerechnet mit einem Bowie-Messer angreifen wollte. Wenn er ihn verletzt oder getötet hätte – all das wäre zu verschmerzen gewesen. Aber offensichtlich hat dieser vereitelte Angriff seinem Soldaten den Verstand geraubt, denn er behauptet seither, der Angreifer habe ihm nichts tun wollen und sei in Wahrheit ein Engel gewesen, ein Engel mit dem Zorn eines Heiligen. Alleine der Gedanke an das schwachsinnige Geschwätz des Soldaten lässt in Chaim die Wut hochkochen.

      Verärgert schließt er seinen Streifenwagen auf und lässt seinen massigen Leib auf den Fahrersitz fallen. Am liebsten würde er sie alle in Vorbeugehaft nehmen, all die gemeingefährlichen arabischen Terroristen und ihre kleinen naseweisen Brüder, doch schon jetzt sind die Gefängnisse übervoll. Aber er soll verdammt sein, wenn in seiner Amtszeit und in seinem Revier der nächste Aufstand ausbräche. Bei Gott, das würde er zu verhindern wissen.

      ***

      Omar ist so arm, dass er sich nicht mal einen Nachnamen leisten kann, jedenfalls sagt ihm das jeder. Seit sein Bruder verhaftet wurde, schläft Omar mal bei diesem, mal bei jenem Verwandten, isst, was ihm angeboten wird und stiehlt, was er sonst so braucht. Ab und zu ergattert er einen Job und hilft bei der Obsternte, pflückt Oliven und sortiert Mangos und Bananen für ein paar Groschen oder ein Abendessen. Einmal hat er einen Sommer lang Granatäpfel ausgepresst, bis seine Finger eine dunkle, fast schwarze Farbe angenommen hatten und aussahen, als wären sie von getrocknetem Blut bedeckt. In letzter Zeit aber arbeitete er als Laufbursche für einen mürrischen Sesamkringelbäcker aus Tiberias. Es ist ein Job, den er bereits satthat, seit er ihn begonnen hat, was auch der Grund dafür ist, warum er lieber am Hafen herumhängt und mit den Füßen über der Kaimauer baumelt, anstatt die Kringel zu verkaufen. Trotz seiner zehn Jahre ist Omar es gewohnt, sich um sich selbst zu kümmern. Und so wundert sich niemand, als er an jenem Abend, dem Abend des Wunders, einfach verschwindet. Eigentlich hat er nicht vorgehabt, das Weite zu suchen, denn in der nächsten Woche hätte er einen lukrativen Job in einer Gärtnerei in Aussicht gehabt, doch das Verhör mit dem Polizisten macht ihm zu schaffen. Mit der Polizei kommt Omar schlecht klar, so viel steht fest. Zwar ist er so abgebrüht, dass er sich mit einem Messer in die Hand stechen könnte, ohne auch nur zu zucken, und wenn ihm eine schwere Obstkiste auf die nackten Zehen fällt, sagt er nicht einmal aua, doch vor Kerlen in Uniform muss man sich in Acht nehmen, das ist ihm klar. Im Alter von vier Jahren hat Omar beide Eltern verloren. Sein Vater, ein Autohändler aus Kfar Kanna, starb bei einer Razzia. Es war ein Unfall, sagten die Soldaten. Seine Mutter, von Natur aus mit keiner guten Konstitution gesegnet, starb nur wenige Monate später. Sie ist an gebrochenem Herzen gestorben, dessen ist sich Omar sicher. Am Ende waren nur noch sie beide da, er und Majed, sein Bruder, der zwölf Jahre älter ist als er. Majed war einer der Leute, zu denen alle aufsehen. Ein echter Anführer, klug und charmant, und Omar betete ihn an. Als Majed das erste Mal verhaftet wurde, zwei Wochen nach seinem siebzehnten Geburtstag, hatte er eine Brechstange, fünfzig Gramm Marihuana und dreihundertfünfzig Schekel in bar bei sich, was ihn auch dann verdächtig gemacht hätte, wenn nicht gerade ein Kiosk auf der Hauptstraße von Tiberias aufgebrochen worden wäre. Mit der Verhaftung seines Bruders begann Omars mühsame Reise durch seine weitverzweigte Verwandtschaft, während Majed seine Zeit abwechselnd auf der Straße und im Gefängnis zubrachte. In den nächsten Jahren sollte er noch zwei weitere Male wegen kleinerer Diebstahldelikte verhaftet werden, doch bei seiner letzten Verhaftung ging es um mehr. Sie schleppten ihn fort in ein Gefängnis für potenzielle Terroristen und schlossen die Tür hinter ihm, womöglich für immer. Das war vor vier Monaten, und seither hat Omar beschlossen, er sei nun erwachsen und in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Dieser Selbsterhaltungstrieb hat ihn auch an diesem Nachmittag dazu gebracht, den nächstbesten Lastwagenfahrer um eine Mitfahrgelegenheit nach Jerusalem zu bitten, wohin er nun auf dem Weg ist, eingezwängt zwischen Kisten voller Äpfel und grüner Paprika.

      Als Omar in Jerusalem von der Ladefläche des Lasters springt, ist es dunkel geworden. In der Dämmerung kann er die Mauern der Altstadt ausmachen und über ihm die Zinnen des Damaskustors. Die Besucherströme sind verebbt, die Stufen vor dem Tor sind, bis auf ein paar Tauben und Katzen, die ihnen auflauern, leer. Die Stadt, die sich über ihm erhebt, leuchtet im Licht der funzeligen Laternen so majestätisch wie eh und je, nur hat sie in letzter Zeit ein wenig an Glanz verloren, durch allzu viele Touristen und allzu große historische Ernüchterung.

      Omar hat den Mann nicht kommen hören, und als er seinen Griff im Nacken spürt, reißt ihn der Schreck in die Wirklichkeit zurück, sodass er im ersten Moment nicht weiß, wo er ist.

      »Hab ich dich, du kleine Ratte. Rück sofort meine Geldbörse raus, sonst rufe ich die Polizei, du elender verdammter Dieb!«

      »Ich hab Ihre scheiß Geldbörse nicht, Sie Penner, nehmen Sie Ihre Hände von mir!«

      »Das kann jeder sagen, aber von euch Schmarotzern lasse ich mich nicht beklauen!«

      »Ich bin Tourist!«

      »Tourist, dass ich nicht lache! Ich rufe jetzt die Polizei, du kleiner Mistkerl!«

      Doch Omar hat sich bereits aus dem eisernen Griff gewunden, und eine ohnmächtige, blinde Wut erfüllt ihn. Er wirft sich nach vorne, schlägt in die Dunkelheit und plötzlich kollert der Mann die Stufen hinunter, fluchend und zeternd, und Omar rennt davon, so schnell ihn seine mageren Beine tragen. Nach wenigen Metern hat er das Tor erreicht und stürzt so schnell durch die spärlich beleuchteten Gassen, dass ihm erst nach einiger Zeit klar wird, dass er die Kippa des Mannes noch immer in der Hand hat. Er muss sie ihm versehentlich vom Kopf gerissen haben. Schnell schüttelt er das zerquetschte Ding ab und wirft es in den nächsten Rinnstein.

      Die Schwüle des Tages ist von den dicken Mauern aufgesogen worden und nun, in der Nacht, strahlen die uralten Steine eine erstickende Mischung aus Hitze und Vergangenheit ab, die das Atmen und das Herz schwer macht. Eine Weile folgt Omar zwei beseelten Pilgern,

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