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wird geredet, was ich für richtig halte. Nichts weiter davon!“ Kilian wagte es nicht, ein weiteres Wort zu sprechen. Auch Rudolf wollte nichts mehr von Leipzig wissen. Die Damen ihrerseits sahen betreten drein. Eine peinliche Stille legte sich über die festliche Tafel. Doch der kleine Florian durchbrach sie. Er rieb sich die Augen und flehte die Mutter an, dass sie ihn wieder ins Bett entließe. Sie fügte sich.

      Kilian bewunderte sie. Trotz ihrer bald fünfundvierzig Jahre war sie eine schöne Frau von jugendlichem Reiz geblieben. Bonifaz Kramer war zu glauben, wenn er erzählte, wie er in jungen Jahren durch den bloßen Anblick in Liebe zu Antonia, der Tochter des reichen Goldschmieds, entbrannt sei. Er habe bereits beschlossen, dieses zarte Mädchen zu ehelichen, bevor er mit ihr das erste Mal gesprochen habe. Kilian betrachtete seine Mutter immer wieder mit Bewunderung und empfand Mitleid für diese zierliche Person, die einen so hässlichen, gewaltigen Mann ertragen musste. Er meinte, dass sie unter Bonifaz litt, der mit seiner beherrschenden Art keinerlei Widerspruch zu dulden schien. Doch in all diesen Dingen täuschte Kilian sich. Denn zum einen fragte der Vater seine Frau in jeder wichtigen Angelegenheit um Rat, bevor er eine Entscheidung traf. Zum anderen liebte Antonia Kramer ihren Mann auf innige Weise, ohne dies vor den Kindern durch Worte oder Taten auszudrücken. Ihre Liebe war derart stark, dass sie ganz regelmäßig starke körperliche Aufwallungen empfand, die sie zwangen, sich ihm hinzugeben.

      Der Rest des Abends verlief im Plauderton. Alle wechselten ein paar Worte miteinander. Nur der Heimkehrer und sein ehemaliger Schulkamerad kamen nicht mehr miteinander ins Gespräch. Kilian beobachtete, wie der künftige Schwager mit verlangenden Blicken nach der jungen Magd schielte, die sich um die Versorgung der Festtafel kümmerte. Er meinte in einem Moment, in dem sich Barbara unbeobachtet wähnte, zu erkennen, wie sie Rudolf einen verschwörerischen Blick zuwarf. All das widerte Kilian an. Er wünschte sich wieder in seine enge Leipziger Kammer zurück, die für ihn ein Hort der Freiheit gewesen war, wohingegen ihm die edle Wohnstube des Kramerhauses mit ihren bleiverglasten Fenstern, ihrer festlichen Tafel und dem Ofen mit den blauweißen Delfter Kacheln ein einziger Graus wurde, kaum dass er nach Hause zurückgekehrt war.

      Aber er schwor sich, diese Abscheu niemandem mitzuteilen, zumal die Mutter glücklich schien, den verlorenen Sohn wiedergefunden zu haben. Nachdem man sich am Wein gütlich getan und den Gast in aller gebotenen Höflichkeit verabschiedet hatte, ging Kilian in seine Kammer, fiel auf seine Schlafstatt nieder und befand sich nach wenigen Augenblicken tiefen Atmens in einem traumlosen Schlaf.

      Obwohl der Morgen alsbald die Nacht aus der Kammer vertrieb, drehte sich Kilian noch lange in den Laken und Decken, ehe er sich der Wäsche widmete und die nicht abgelegte Kleidung ordnete. Er machte sich bald auf, um bei einem Spaziergang seine alte Heimat neu zu entdecken. Er nahm seinen Hut, trat aus dem Haus und fand sich im Treiben des Marktes mit seinen Gerüchen, Geräuschen und Gauklern wieder. Es gestaltete sich angesichts des Trubels nicht leicht, den Platz zu überqueren. Er bemerkte, wie sein elegantes Erscheinen inmitten der Bauern und Handwerker auffiel, wie sehr er sich durch Vornehmheit von allen Übrigen abhob. Mancher fragte sich, mit wem man es hier zu tun habe. Andere wiederum meinten, ihn zu erkennen, grüßten zaghaft, indem sie die Hand an den Hut führten oder den Kopf fast unmerklich neigten, ohne dabei die Miene zu verziehen. Kilian konnte sich seiner Wirkung sicher sein, konnte wissen, dass seine Anwesenheit den Gegenstand zahlreicher Gespräche bilden würde. Er genoss seinen Auftritt.

      Mit Fremden kam man in dieser Stadt, die in einem mittelalterlichen Mauerring sämtliche Häuser, Kirchen und Türme auf engem Raum begrenzte, nur schlecht zurande. Kilian meinte, nach all den Jahren in der berühmten Universitätsstadt zu spüren, dass sich diese Begrenzung nicht allein auf das Räumliche beschränke, sondern sich ins Persönliche übertrage.

      Das Markttreiben war allerdings mit jenem Leipzigs vergleichbar. Es war ein einziges großes Gewimmel von Menschen. Er streifte zwischen den Ständen umher, betrachtete die Waren, die die Bauern im Nieselregen feilboten, schaute den flatternden Hühnern in ihren beengten Käfigen und den grunzenden Schweinen in den notdürftigen Koben zu, wie sie ihre letzten Lebensstunden fristeten. Das Geschrei der Händler und Trödler im knochenlosen Idiom der Heimat bewunderte er wegen seiner Lautstärke und beobachtete das geschäftige Umherwandern der Kauflustigen mit ihren Körben und Wagen voller Viktualien.

      Er blieb bei dem einen oder anderen Gaukler stehen, der seine Künste den Gaffern darbot, damit diese ihn mit klingender Münze dafür entlohnten. Jeder buhlte um die Gunst des Publikums. Eine kurze Weile verharrte er bei einem Jungen, der, kaum den Kinderschuhen entwachsen, nicht nur mit einer immer weiter steigenden Anzahl lederner Bälle jonglierte, sondern überdies seinen Körper in Bewegung setzte und dabei zu wilden Sprüngen anhob, sodass sich alles zusammen in einem einzigen Strömen befand.

      Die Fuhrwerke, die sich am schmalen, mühsam frei gehaltenen Durchweg des Platzes stauten, trieben mit ihren Rädern den Dreck des Bodens in die Höhe. Kilian bemerkte, wie ein besonderes Gefährt aus Richtung des großen Stadttors auf den Platz einfuhr, das von vier braunen Pferden gezogen wurde. Es war just jene schwarze Kutsche, die gestern unter den heiseren Schreien ihres Lenkers rasant an ihm vorbeigerauscht war. Er erkannte sie nicht zuletzt wegen des prächtigen Wappens am Schlag. Jetzt bewegte sich der Wagen langsam. Die edlen Pferde wirkten ruhig. Der Kutscher saß hochaufrecht auf seinem Bock. Ein Raunen ging durch die Menge, als sich das Gespann auf der Mitte seiner Durchfahrt befand. Man bekundete Ehrfurcht, verneigte sich oder beugte die Knie. Kilian allerdings blieb aufrecht stehen und versuchte, einen Blick durch die Scheiben zu erheischen. Schemenhaft erkannte er eine gepuderte Perücke, ein edles geistliches Gewand und einen überheblichen Blick. Am meisten missfiel ihm das ehrfürchtige Flüstern der Menge um ihn her. „Ihr Knechte und Fürstendiener, ihr Jünger der Pfaffen“, dachte er sich, „was seid ihr doch so schwach. Verjagt sie von ihren Thronen und stürzt ihre Kutschen in den Fluss!“

      Wie er sich diese Gedanken so feierlich durch den Kopf gehen ließ, drängte es ihn, sie öffentlich auszusprechen, sie seinen Mitmenschen kundzutun, damit sie mündige Bürger würden und einen Ausgang aus ihrer Misere fänden. Aber die Lippen blieben ihm verschlossen, als er an den Vater dachte. Hier, in dieser Stadt, war eine solch revolutionäre Rede nicht möglich. Im Rathaus saß Bonifaz Kramer und wachte darüber, dass die Bauern und Bürger treue Diener des Kurfürsten seien. Was war das doch für eine Vergangenheit, in der man hier lebte! „Wartet nur“, dachte er, „auch euch holt die Gegenwart ein. Die Zukunft ist im Kommen, die Vergangenheit im Schwinden. Bald werdet ihr aufstehen, bald werdet ihr auf diesem Platz eine Revolution veranstalten. Frankreich hat gezeigt, dass so etwas möglich ist. Auch bei uns wird es möglich sein – und zwar bald.“

      So setzte Kilian unverrichteter Reden seinen Spaziergang fort und besuchte die Stätten seiner Kindheit und Jugend, als seien es Museumsstücke, mit denen er nicht mehr viel zu schaffen habe, als seien es Zeugnisse einer untergegangenen Kultur, die nur zur Freude der Zuschauer von allerhand Schauspielern bevölkert würden.

      IV

      Bonifaz Kramer war ursprünglich Apotheker und Eigentümer eines entsprechenden Geschäfts mit dem Namen „Cosmas und Damian“. Man hatte es vor vielen Jahren nicht gerne gesehen, wie sich der junge Medicus aus dem Rheinischen hier niedergelassen hatte, wie er die einzige Tochter des reichen Goldschmieds ehelichen konnte, gleich nach dessen Verscheiden die Werkstatt des Schwiegervaters schloss und die kurfürstlichen Beamten bestach, um sich kurz darauf den Äskulapstab an die Tür zu heften und eine Apotheke zu eröffnen. Damit trat er in Konkurrenz zum bald tausendjährigen Kloster und wurde von den Brüdern misstrauisch beäugt, die ihre Kräuter in einem geheimnisvollen Garten hinter undurchdringlichen Mauern heranzogen. Von ihnen hatte Bonifaz Kramer keine Hilfe zu erwarten. So tat er es ihnen gleich und legte hinter seinem frisch geerbten Hause am Marktplatz ein nicht unbeträchtliches Feld voller Heilpflanzen an. Lauter kleine, nach Süden ausgerichtete Parzellchen bebaute er mit den verschiedensten Gewächsen. Er hatte sie unterteilt in ihre Zwecke. Hier wuchsen die Kräuter gegen Schlafstörungen, dort jene gegen Irritationen des Magens, hier blühte das Mittel gegen Hautkrankheiten, dort dasjenige gegen Herzbeschwerden oder Gliederschmerzen. Die Liste sowohl der Krankheiten als auch der Kräuter, die gegen sie gewachsen waren, schien unendlich. Bonifaz Kramer hatte alles feinsäuberlich auf einem Plan verzeichnet, der dem Wirrwarr des Gartens Ordnung und Nutzbarkeit verlieh. Er erntete, um das von der Erde Gespendete mit

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