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Als sie fast fertig waren, sagte der Graue:

      »Hast du etwas Tabak in der Tasche? Die Insekten setzen mir so zu, diese langbeinigen Giftspritzer. Ich werde ihnen Dampf in die Rüssel blasen, das wird ihnen die Lust am Angriff nehmen.«

      »Ja, ich habe Tabak.«

      Erkki stand auf und ging zu dem anderen hinüber, der sich ebenfalls erhoben hatte und in seiner Hand eine Pfeife hielt.

      »Ist das guter Tabak?«

      »Ich weiß nicht«, antwortete Erkki.

      »Du weißt das nicht«, sagte der Graue lauernd. »Du weißt nicht, ob der Tabak gut oder schlecht ist? Na, gib ihn mal her.«

      Er stopfte sich seine Pfeife voll. Erkki hatte unterdessen sein Feuerzeug aus der Tasche gezogen und das kleine Rädchen mehrmals bewegt, bis der Funke an den Docht gesprungen und dieser aufgeflammt war. Die Flamme schwankte und warf spaßige Schattenfiguren auf ihre Gesichter, reckte sich wild hinauf und tanzte über der schmalen Öffnung, als der Graue, plötzlich, ohne die Pfeife in Brand gesetzt zu haben, heftig dagegen blies. Die Flamme verlosch. Erkkis Mund formte sich zu einer Frage, doch der Graue gab ihm zu verstehen, indem er einen breiten, am Nagel gespaltenen Finger auf die Strichlippen legte, daß ein lautes Wort nicht am rechten Platze sei. Die Raubmöwe schrie heiser auf und erhob sich von der Kiefer. Erkki bemerkte, daß die Hand des Bürgermeisters das Messer fest umschlossen hielt.

      »Ist da jemand?« zischte Erkki.

      »Still«, befahl der Graue und starrte in den dumpfen, nach Harz riechenden Schatten der Kiefern. Der Morgen lauerte schon feucht hinter den Bäumen und zwinkerte auffordernd dem Tau zu, der sich gewaltsam auf das Gras und auf die Büsche stürzte. Vögel begannen in ihrer Sprache zu reden, fingen mit der ewigen Liebhaberei an oder untersuchten Blätter und Äste, ob sich nicht irgendwo ein Frühaufsteher unter den Käfern hervorwage.

      Da drangen aus dem Wald Geräusche, als ob sich jemand gewaltsam durch das Unterholz fortbewegte. Das magere Knacken hinfälliger, abgelebter Äste schlug an die Ohren der beiden Männer. Einen Augenblick lang dachte Erkki, daß es vielleicht Stenka, der Lehrer, sein könne, der die Nacht dazu benutzte, um sich unbemerkt aus Pekö zu entfernen. Die Geräusche wurden immer deutlicher. Plötzlich fuhr sich der Graue mit der Hand von hinten über den rasierten Schädel und lachte laut auf: aus dem Schatten war ein sonderbarer, in eine völlig zerrissene Pelzjacke gekleideter Mann auf die Lichtung getreten. Blätter hatten sich an seiner Kleidung festgesetzt. Um den Pelz zusammenzuhalten, hatte der Eigentümer in Bauchnabel- und Brusthöhe eine Schnur um den Körper gewunden. Unter der Schnur waren mehrere fette Kalmuswurzeln eingeklemmt, die frisch gepflückt schienen, denn das Wasser tropfte noch von ihren Spitzen auf den Sand der Lichtung. Der Kopf war klein und in strähniges Haar eingewickelt. Die linke Hand war zur Faust geballt, in der rechten trug er zwei große, braune Vogelfedern.

      Erkki sah ungläubig auf diese Erscheinung. Er schüttelte in großer Verwunderung seinen Kopf.

      Der Graue verschluckte ein heiseres Lachen und fragte halblaut: »Kennst du ihn nicht?«

      »Nein.«

      »Das ist der Petrucha. – Er ist wahnsinnig. Er könnte einem, wie er so dasteht, einen Schrecken einjagen. Früher soll er Mönch gewesen sein. Jetzt lebt er hier am See in einer Schilfhütte. Er ist schon eine Ewigkeit lang auf der Suche nach seinem Bruder. – He, Petrucha! Komm näher!«

      Der Graue nahm Erkki das Feuerzeug aus der Hand, setzte seine Pfeife in Brand, schlug die Beine übereinander, lehnte sich gegen den Rumpf eines Bootes und lächelte.

      Der Wahnsinnige ging langsam auf die Männer zu. Vor dem Teereimer blieb er stehen, schnüffelte, indem er sich darüber beugte, steckte einen Finger in die schwarze Masse und wischte ihn wieder an seinem Pelz ab. Dann tauchte er die beiden Vogelfedern ein und klebte sie sich an die Stirn. Seine Augen flackerten unruhig in ihren Höhlen. Als er sich noch einmal versichert hatte, daß die Federn fest an seiner Stirn klebten, kletterte er auf ein Boot, riß eine Kalmuswurzel heraus, biß davon ab und sagte mit einer merkwürdig heulenden Stimme:

      »Meine Herren! Alle Menschen sind gewaltige Vögel! Sie brauchen nur den Kopf, meine Herren, dranzubehalten und über die Wolken zu erheben, dann seid Ihr beide, meine Herren, Drossel, Krähe oder Storch!«

      Ein greller, heulender Ton stieß zwischen den Barthaaren aus seinem Munde hervor, dann sprang er, mit den Armen die Gebärde des Fliegens andeutend, auf den Sand. Bei seinem Aufprall hörten die Männer ein gläsernes Klirren. Der Alte stand auf und bewegte sich, an der Kalmuswurzel kauend, langsam auf Erkki zu.

      Er sagte: »Mein junger Herr! Gestern vormittag traf ich den Frühling. Er stand vor einer Bank und spaltete schon Trockenfleisch für seine Winterreise. Wenn man jung ist, soll man Reisen machen – iiiih!«

      Erkki erschrak, als der heulende Ton dicht an seinem Ohr hervorgestoßen wurde. Er mußte an Stenka denken.

      Der Graue zog an seiner Pfeife und grinste. Er versperrte mit seinen Schuhsohlen einem grünglänzenden Käfer den Weg. Als das Tier zurückkriechen wollte, trat der Bürgermeister mit dem Absatz darauf.

      Petrucha beugte sich hinter Erkki, wo auf einem Boot ein Messer und ein Hammer lagen.

      »Kratzen«, sagte er dann auf einmal, »kratzen, kratzen. Messer gehören in die Brust oder zum Brot. Mit Glas kratzt man, hier.«

      Er faßte mit der Hand in einen Beutel, den er hinter dem Rücken hervorholte, und brachte eine Axt, Büchsen, Lappen, Federn und einige Glasscherben zum Vorschein. Er reichte hastig Erkki die Scherben hinüber.

      »Zum Kratzen«, heulte er und stopfte das andere Zeug wieder in den Beutel. Der Graue nickte und murmelte:

      »Hübsch, ganz hübsch.«

      Da drehte sich der Alte plötzlich um, reckte seinen kleinen Kopf aus den Schultern heraus, sog, während seine Nasenflügel zitterten, die Luft ein, gierig, als ob sich ein Hungernder von der Luft sättigen wollte. Dann kreischte er:

      »Der Wind ist abgereist. Jetzt können die Boote ins Wasser; sie werden euch nicht riechen auf der Insel. Die Mönche, die bärtigen Könige! Fahrt hinüber zu ihnen! Sie wollen wie der da« – er schaute auf den Himmel – »in reiner Luft leben, in weißer, göttlicher Luft. Aber sie denken nicht daran, daß kein Mensch in dieser sauberen, gläsernen Luft leben kann. Da muß man sterben wie ein Fisch auf dem Sand. Diese Luft ist nur für ihn gemacht … iiiih!«

      Er sah den Grauen an und kicherte:

      »Du siehst schon so aus, als ob die Revolution deine Geliebte wäre; ein fettes Weib …«

      Der Bürgermeister preßte den Finger mit dem gespaltenen Nagel auf die schmalen Lippen und sah den Wahnsinnigen mit einem harten Blick an. Plötzlich schrie er:

      »Hör auf, du bärtiger Idiot, halte dein Maul, sonst werde ich dich an deinen Haaren aufhängen. Dann kannst du zappeln wie ein angepflockter Frosch.«

      Der Alte blickte ängstlich-lauernd auf den Grauen. Als er merkte, daß es nur bei der Drohung blieb und man ihm nichts tun wollte, ging er mit kleinen Schritten zu Erkki hinüber und stellte sich dicht vor ihn hin. Wie um sich zu besinnen, schloß er die Augen und begann kindisch mit seinem kleinen Kopf zu wackeln, bis er, die Lider wieder hebend, seine Hand ausstreckte und Erkkis rötliches, sich kräuselndes Barthaar zu streicheln begann.

      »Junger Bart«, sagte er, seine heulende Stimme zitterte wie eine defekte Sirene. »Heimliche Geschichten sind in den Bärten, schützen vor Sonnenbrand, nicht?«

      Der Graue zog wieder an seiner Pfeife und lächelte.

      »Du mein Jesus«, sagte der Alte, »einen Bart kann man nicht ausziehen wie ein Hemd, der sitzt einem immer an der Kehle, wenn man sie nicht durchschneidet. Du mein Jesus, die Nacht schaukelt auf den Zweigen.«

      »Hübsch«, kicherte der Graue, »er ist wahnsinnig, aber das war hübsch.«

      Erkki stand ruhig da und ließ den Alten gewähren, der ihm mit der

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