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die Aufgaben hatte, verspürte sie plötzlich den Drang, dem Oktopus nicht mehr zuhören zu wollen. Traurig und enttäuscht sah sich der kleine grüne Oktopus um, tauchte ab und drehte langsam wieder seine Runden im Aquarium.

       GUT SO! DAS IST, WAS OKTOPUSSE AM BESTEN MACHEN. OK-TOPUSSE BRAUCHEN KEINEN NAMEN! DREH EINFACH WEITER DEINE RUNDEN UND SEI STILL!

      Während Hannah den Oktopus nicht weiter beachtete, stoppte er für einen kurzen Augenblick und kam mit kräftigen Stößen zur Oberfläche geschwommen. Er streckte seinen Kopf weit aus dem Wasser und sah sich wütend um. „Ich soll einfach nur meine Runden drehen? Ich weiß doch, dass ich recht habe! Dir fällt kein Name ein, darum habe ich keinen!“

      Es dauerte einen Moment bis Hannah realisierte, dass der Oktopus nicht mit ihr sprach, sondern mit jemandem anderen. Verwundert ließ sie ihren Stift fallen und kam ganz nah an ihn heran. „Mit wem sprichst du denn?“

      Verlegen schaute er sie an. Man, war es ihm peinlich. Es war sein Geheimnis und Hannah sollte es nicht wissen. Jetzt hatte er es durch seine Ungeduld fast verraten. „Tut mir leid Hannah. Ich spreche mit niemandem.“ Um sich noch einmal zu vergewissern, dass außer ihr niemand im Zimmer war, sah Hannah sich um. Natürlich war niemand da, sie war mit ihrem Oktopus alleine.

      „Nun sag schon, mit wem hast du gesprochen? Doch nicht mit mir, oder? Nun erzähl schon! Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst!“

       VERRATE MICH LIEBER NICHT, KLEINER OKTOPUS! SONST HABEN WIR BEIDE EIN PROBLEM MITEINANDER!

      Demütig ließ sich der kleine Oktopus an den Rand des Aquariums treiben und saugte sich mit seinen Armen am Glas fest. Nachdenklich starrte er Hannah einige Sekunden durch das Glas an, um anschließend langsam zum Boden abzutauchen. Nach ein paar Minuten kam er träge wieder hoch, legte seinen Kopf auf den Rand und sah Hannah mit einem traurigen Blick an. „Du kannst es auch nicht verstehen. Nur ich kann es verstehen.“

      „Was kann ich nicht verstehen?“ Lustlos ließ sie ihren Stift fallen und starrte den kleinen Oktopus an.

      „Okay, ich erkläre es dir. Es ist aber nicht so einfach zu verstehen. Also, es ist so: Ich bin eine allwissende Figur in dieser Geschichte.“

      „Was? Was denn für eine Geschichte?“

      „Diese Geschichte hier, in der wir uns befinden. Du und ich, mein Aquarium, dein Zimmer hier, deine Eltern, einfach alles was hier geschieht. Alles wird vom Schreiber gesteuert! Wie ich schon sagte, ich bin die allwissende Figur in dieser Geschichte. Ich weiß alles. Auch, dass der Schreiber keinen Namen für mich hat!“

      Hannah schüttelte verwirrt den Kopf. „Mal angenommen, ich würde dir glauben und wir sind tatsächlich in einer Geschichte. Woher willst du denn wissen, was er denkt? Kannst du mit ihm sprechen?“

      Der kleine grüne Oktopus sah sich um und nickte langsam. „Ja, das kann ich. Ich kann mit ihm sprechen und er mit mir! Aber nur ich. Nur die allwissende Figur in einer Geschichte kann es. Sonst niemand!“ Hannah winkte ab und hörte ihm gar nicht mehr zu. Ihr wurde das ganze Gerede zu viel. Das ergab doch alles keinen Sinn und es war sowieso Zeit für das Abendessen. Ohne den Oktopus weiter zu beachten stand sie auf und ließ ihn alleine in ihrem Zimmer zurück.

       VERDAMMTER KLEINER GRÜNER OKTOPUS! VERRÄTER!

      Wütend sah sich der Oktopus um. „Aber das stimmt doch! Ich weiß es!“

       KANN SEIN, DASS DU DIE ALLWISSENDE FIGUR BIST. ICH BEREUE ES BEREITS DICH JEMALS ERSCHAFFEN ZU HABEN! EINEN NA-MEN BRAUCHST DU TROTZDEM NICHT! OKTOPUSSE BRAUCHEN KEINEN NAMEN!

      Mit seiner ganzen Kraft streckte sich der kleine grüne Oktopus weit aus dem Wasser. „Du bist zwar der Schreiber, aber wenn Hannah mir einen Namen geben möchte, dann kannst du das nicht verhindern. Ihren Willen kannst du nicht beeinflussen! Das kann niemand! Selbst du nicht!“

       IHREN WILLEN KANN ICH NICHT BEEINFLUSSEN, ABER ICH KANN DAFÜR SORGEN, DASS DU NICHT MEHR WICHTIG BIST! SOLL ICH DIR MAL ZEIGEN, WIE EINFACH DAS IST? ICH ZEIGE ES DIR! WENN HANNAH NACH DEM ESSEN WIEDERKOMMT, WIRD SIE MATHE LIEBEN UND DU WIRST NICHT MEHR WICHTIG SEIN!

      Der kleine Oktopus senkte den Kopf, tauchte ab und versteckte sich zwischen den Steinen am Boden des Aquariums. Es gab nichts mehr, was er noch erwidern konnte.

      Nach dem Abendessen saß Hannah wieder an ihrem Schreibtisch, vertieft in ihre Hausaufgaben. Noch nie hatte ihr Mathematik Spaß gemacht, doch plötzlich verstand sie alles. Ohne große Mühe löste sie eine Aufgabe nach der anderen. In dem Moment war nichts anderes auf der Welt wichtig für sie. Sogar der kleine grüne Oktopus war ihr egal. Bis sie plötzlich aufschreckte. Ihre Mutter war in ihr Zimmer gekommen und stand neben ihr. Da Hannah so vertieft war in ihre Aufgaben, hatte sie es gar nicht gemerkt. Voller Bewunderung schaute ihre Mutter ihr über die Schulter und begutachtete die Hausaufgaben. „Heute so fleißig? Und ich dachte immer, du magst Mathe überhaupt nicht.“

      Ohne den Stift abzusetzen, sah Hannah mit einem breiten Grinsen zu ihrer Mutter hoch und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht. Plötzlich ist alles so leicht. Es hat irgendwie klick gemacht und dann ging es supereinfach!“

      Hannahs Mutter wuschelte ihr durch die Haare und gab ihr einen leichten Kuss auf den Kopf. „Das freut mich! Denkst du bitte auch noch daran, das Aquarium sauber zu machen? Es wird langsam mal wieder Zeit.“

      Kopfschüttelnd winkte Hannah ab. „Das Aquarium sauber machen?“ Voller Eifer wandte sie sich lieber wieder ihren Aufgaben zu. „Dazu habe ich jetzt keine Zeit. Der Oktopus kann warten. Ich mach das morgen. Oder übermorgen, mal sehen. Meine Hausaufgaben sind jetzt wichtiger. Wir schreiben doch am Montag die nächste Mathearbeit.“

       SIEH DA, KLEINER OKTOPUS, SO SCHNELL BIST DU NICHT MEHR WICHTIG. RATE MAL, WARUM HANNAH PLÖTZLICH MATHEMA-TIK SO LEICHT FÄLLT! WEIL ICH IHR DIE FÄHIGKEIT GEGEBEN HABE UND DU KANNST NICHTS DAGEGEN MACHEN!

      Für einen Moment wunderte sich Hannah, warum sie plötzlich alle Aufgaben lösen konnte, dachte aber nicht mehr weiter darüber nach und ging zur nächsten Aufgabe über. Leise drehte sich ihre Mutter um und wollte den Raum verlassen. Es war wohl besser, Hannah jetzt nicht weiter zu stören. „Na gut, mach aber nicht mehr so lange. Es ist schon spät!“

      Als sie vor der Tür stand, drehte Hannah sich plötzlich zu ihr um. „Mama, warum hat mein Oktopus eigentlich keinen Namen?“

      Ihre Mutter blieb stehen und sah Hannah nachdenklich an. „Das weiß ich nicht. Es ist dein Oktopus, gib ihm doch einfach einen Namen!“

      Für einen Moment dachte Hannah nach, wandte sich dann aber wieder ihren Aufgaben zu. „Na gut. Ist auch nicht so wichtig.“

      Leise schloss ihre Mutter die Tür hinter sich und blieb für einen Moment mit einem Lächeln im Gesicht stehen. Sie fragte sich, woher plötzlich der Eifer ihrer Tochter kam. Normalerweise hatte die doch nie Spaß daran, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Und warum die Frage nach dem Namen des Oktopusses? Sie fand das alles sehr merkwürdig.

       DAS IST NICHT MERKWÜRDIG. OKTOPUSSE BRAUCHEN KEINEN NAMEN! BASTA. WIRD ZEIT, DASS HANNAH EINE ABLENKUNG BEKOMMT VON DEM DING UND ES ÜBERFLÜSSIG WIRD!

       KAPITEL 2

      Es kam, wie es kommen musste. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht stürmte Hannah in die Küche, schleuderte ihren Rucksack mit Schwung auf den Küchentisch und kramte ihr Arbeitsheft hervor. „Mama, rate mal, was ich in der Mathearbeit geschrieben habe?“

      Ihre Mutter legte das Küchenmesser zur Seite, mit dem sie gerade die Kartoffeln schälte, und wusch sich schnell die Hände. Zum Mittag sollte es Kartoffelauflauf mit Brokkoli geben, es war eines von Hannahs Lieblingsgerichten. „Lass mich raten. Eine Zwei?“ Sie würde es zwar nie sagen, aber mehr traute sie ihrer Tochter nicht zu. Eine Zwei war schon sehr optimistisch.

      Obwohl Hannah versuchte, sich nichts anmerken zu lassen,

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