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Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore
Читать онлайн.Название Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018
Год выпуска 0
isbn 9783745205985
Автор произведения Cedric Balmore
Издательство Readbox publishing GmbH
Er schaute sie kurz an, als müsse er sich vergewissern dass sein Verdacht stimmte. Aber ihr Gesichtsausdruck verriet ihm nicht, was sie tatsächlich dachte. Von ihren wahren Gedanken ahnte er offenbar nichts.
„Nein, nein. Ich komme schon allein zurecht.“
Als er weg war, tat sie, was er von ihr verlangt hatte. Sie blieb sogar eine Stunde länger, um sich um den Infarkt-Patienten in der Intensivstation besonders zu kümmern. Erst als Gerti Lamprecht sie energisch aufforderte, endlich Schluss zu machen, ging sie.
Beim Einkaufen traf sie zufällig Dr. Becker, einen netten jungen Assistenzarzt der Chirurgie, der, wie sich herausstellte, gar nicht weit entfernt von ihr wohnte und ebenfalls ein Einsiedlerdasein führte.
Er schob seinen Wagen im Supermarkt vor sich her, und so sahen sie sich an der Käseabteilung.
Und da sie sich vom Sehen kannten, grüßten sie einander, und er verwickelte sie in ein Gespräch über eine besondere Käsesorte.
„Haben Sie den schon mal gegegessen? Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er schmeckt fantastisch. Kann ich nur empfehlen.“
So begann es, und sie unterhielten sich weiter.
Er war etwas größer als sie, sehr schlank und schmal, hatte dunkles Haar und ein nettes Jungengesicht. Seine grünen Augen gaben diesem Gesicht einen besonderen Reiz. Sie fand ihn sehr nett. Eigentlich hatte er ihr schon immer gefallen. Aber eben nur so, wie einem jemand gefällt, der sympathisch ist. Ganz gleich, ob Frau oder Mann.
Doch in ihr war immer noch diese geheime Sehnsucht, die sie vergeblich zu verdrängen suchte. Diese Sehnsucht nach einem Menschen, mit dem man sprechen und mit dem man zusammen sein konnte.
Vielleicht erging es ihm ähnlich. Sie hatten längst eingekauft, und er lud seine Habseligkeiten in sein Auto.
Doris hatte nur einen Kasten mit Sprudel und ein paar Dinge, die sie ins Netz gepackt hatte. Sie wollte den Kasten auf den Gepäckständer ihres Rades heben, da sagte er:
„Ach, lassen Sie doch. Ich bringe Ihnen den Kasten mit dem Wasser nach Hause. Ist es weit von hier?“
Sie sagte ihm, wo sie wohnte, lud kurzerhand den Kasten in seinen Kofferraum und sagte: „Fahren Sie schon voraus! Ich komme hin.“
Mit dem Rad war sie schneller und wartete dann vor der Tür, und er kam.
Er lud den Kasten aus und sagte: „Ich bringe ihn nach oben.“
„Das ist nicht nötig. Ich habe ihn immer im Keller. Da ist es kühler. Ich nehme nur eine oder zwei Flaschen mit hinauf. Sie brauchen sich wirklich nicht zu bemühen.“
Aber er bemühte sich doch, schaffte ihr den Kasten hinunter, und zum Dank wollte sie ihm wenigstens anbieten, dass er für einen Sprung mit nach oben kommen und mit ihr eine Tasse Kaffee trinken sollte.
Er nahm das Angebot sofort an, lachte auf eine gewinnende Art und begleitete sie nach oben.
Als sie dann einander gegenübersaßen und Kaffee tranken, sagte er:
„Ich bin ein richtiger Einsiedler und kenne hier so gut wie niemanden. Wissen Sie, ich komme aus Hannover. Das ist eine ganze Ecke weg. Neue Freunde habe ich hier noch nicht gefunden.“
Doris lächelte. „Ich auch nicht. Bedrückt sie die Tatsache, allein zu sein?“
Er nickte ehrlich. „Es bedrückt mich sehr. Früher hatte ich immer einen Kreis, in den ich hineingehört habe. Aber jetzt ist da so gut wie nichts los.“ Er sah Doris wehmütig an. „Ich bin jetzt ein Jahr hier. Lange genug eigentlich. Und trotzdem habe ich kaum Kontakt mit jemand. Ich hatte in Hannover eine Freundin. Keine sehr enge Beziehung. Und sie ist auch prompt darüber kaputtgegangen.“
„Will sie nichts mehr von Ihnen wissen, weil Sie in München sind?“
Er nickte. „Genauso ist es. Sie war dagegen, dass ich nach München gehe. Ich sollte in Hannover bleiben. Aber die Chance, hier zu arbeiten, ist für mich sehr vorteilhaft. Wenn ich meine Facharztausbildung bei Herrn Münzinger mache, der ein hervorragender Chirurg ist, bringt mir das mehr, als in der Klinik, in der ich gewesen bin. Ich verspreche mir von meinem Beruf sehr viel. Sie hat es nie eingesehen. Na ja, so war es eine Trennung im Streit. Aber ich will Ihnen nichts vorheulen. Ich möchte Sie eher fragen, ob wir nicht gemeinsam etwas unternehmen könnten. Ich habe gesehen, dass Sie ein Fahrrad besitzen. Ich wollte mir auch eins kaufen. Oder ...“
Ihrer Meinung nach war er nicht älter als sie selbst. Vielleicht sogar jünger. Sie fand ihn nett. Aber im Grunde war er so etwas wie ein großer Junge für sie. Wenn sie sich auch nach Gesellschaft sehnte, das, was er vermutlich von ihr erwartete, würde sie ihm nicht geben können und auch nicht wollen. Das hatte nicht einmal etwas mit ihren Prinzipien zu tun. Trotzdem war sie bereit, mit ihm Radtouren zu machen. Jemand, mit dem man sich unterhalten konnte, dachte sie. Und sie ermunterte ihn, sich ein Rad zu kaufen.
„Aber nicht etwa nur meinetwegen“, erklärte sie anschließend. „Ich mache gerne Radtouren mit Ihnen. Nur nehmen Sie das bitte nicht als eine Aufforderung zu Dingen, die damit nichts zu tun haben.“
Sie wusste nicht, ob er sie verstanden hatte. Aber er war Feuer und Flamme und fragte sie, ob sie morgen Nachmittag mit ihm zusammen nach Dienstschluss in ein Geschäft gehen würde, damit er sich ein Rad kaufte. Er behauptete, sich von ihrer Beratung viel zu versprechen.
Sie nahm ihm das nicht ganz ab, sagte aber zu. Und dann besann er sich wohl, dass es jetzt besser war zu gehen. Sie widersprach nicht.
Als er weg war, holte sie ihren Putztag nach.
Die große Überraschung kam am nächsten Morgen. Dr. Wieland Graf war nicht zum Dienst erschienen und hatte sich fernmündlich entschuldigt. Es war Schwester Silke, die es Doris sagte. Aber Doris musste zu Professor Winter in die Sprechstunde. Sie war nur auf einen Sprung im Stationszimmer gewesen und hatte das von Silke erfahren.
„Er hat gestern schon wie das Leiden Christi ausgesehen“, sagte Silke.
„Das habe ich bemerkt. Aber du hattest ja eine andere Begründung dafür.“
„Weiß der Teufel“, meinte Schwester Silke. „Man wird aus den Kerlen ja nie schlau. Meiner überrascht mich auch immer wieder aufs neue.“
Die Sprechstunde bei Professor Winter zog sich wieder bis weit über die Mittagspause hinaus. Erst kurz vor drei war Schluss, und die letzte Patientin hatte ihre Untersuchung hinter sich.
Doris war entschlossen, ein Angebot von Professor Winter, mit nach oben zum Essen zu kommen, abzulehnen. Aber er machte ihr dieses Angebot gar nicht, sondern sagte, als er sich den Kittel auszog:
„Sie haben genug geschuftet. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen von jetzt an frei. Es gibt sicher bei dem schönen Wetter draußen einiges zu tun, was schöner ist. Und auf der Inneren Station kommen sie auch ohne Sie aus, Schwester Doris.“
Es war ihr sehr recht, dieses Angebot zu bekommen. Sie bedankte sich und ging zur Station, um noch ein paar Sachen zu holen, die sie im Schrank hatte. Da traf sie Schwester Silke.
„Mein Gott, der schlaucht dich ganz schön, was? Hast du die ganze Zeit Sprechstunde gemacht?“
Doris nickte. „Schlimm. Als wenn sich alle Frauen weit und breit verabredet hätten, zu Professor Winter zu kommen“, sagte sie.
„Du, hör mal“, meinte Schwester Silke. „Ich weiß, dass es eine ziemliche Zumutung ist, was ich von dir verlange, aber ich bitte dich, doch einmal bei Doktor Graf vorbeizufahren. Weißt du, ich kenne ja seine Aufwartung. Und die hat vorhin angerufen. Sie kommt ja immer nur ein paar Stunden und macht ihm das Nötigste. Sie sagt, dass es ihm wirklich nicht gut geht. Aber die Frau hat so viele andere Arbeitsstellen, wo sie hingeht, dass sie sich nicht um ihn kümmern kann.“
Doris hatte sich zwar etwas anderes vorgenommen,