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Читать онлайн.Als sie dann wieder auf ihrer Station war, sah sie im Laufe des Nachmittags vom Fenster aus per Zufall etwas ganz Merkwürdiges, und sie konnte ihre Überraschung darüber kaum verbergen.
Sie wusste, dass sich Schwester Heidi früher freigenommen hatte, kannte aber den Grund nicht. Und es interessierte sie auch nicht wirklich. Aber als sie da zum Fenster hinausschaute, sah sie unten Dr. Graf mit seinem Wagen und Schwester Heidi, die vom Portal aus auf diesen Wagen zuging. Dr. Graf wartete. Und sie konnte sogar durch die Rückscheibe sehen, wie er sich zur Seite beugte, um die rechte Tür zu Öffnen.
Schwester Heidi, in weißer Bluse und weißem Faltenrock, ging auf diese Tür zielstrebig zu und stieg ein.
Doris ertappte sich selbst dabei, dass sie weiter nach unten sah und verfolgte, wie der Wagen den Weg entlang zum Tor fuhr, um dann nach rechts einzubiegen.
Nach rechts, dachte sie noch. Wo fährt er da hin? Aber es geht mich nichts an.
Und trotzdem war da ein eigenartiges Gefühl in ihr. Etwas, als wurme sie, dass Heidi zu Dr. Graf in den Wagen gestiegen war.
Unsinn, schalt sie sich selbst. Es geht mich doch wirklich nichts an. Vielleicht nimmt er sie bloß irgendwohin mit.
Sie machte ihren Dienst weiter, und als sie Schluss hatte, fuhr sie mit dem Rad nach Hause. Es war wiederum ein schöner Tag. Sie ließ sich Zeit. Besorgungen hatte sie nicht zu machen. Sie fuhr langsam, und sah überall die Paare auf den Bänken sitzen oder Spazierengehen. Sie empfand keinen Neid bei diesem Anblick. Aber in ihr wühlte es. Was ist nur mit mir los?, dachte sie.
Fängt es jetzt schon an? Falle ich um? Werfe ich meine Vorsätze und Prinzipien beiseite? Nein, das wollte ich nicht, und das will ich nicht. Ich brauche keinen Mann. Es gibt Millionen von Frauen, die völlig allein leben auf der Welt und damit zurechtkommen.
Aber als sie dann zu Hause war, ließ sie der Gedanke daran, dass Dr. Graf zusammen mit Heidi weggefahren war, nicht mehr los. Sie versuchte vergeblich, nicht mehr daran zu denken.
Sie beschloss, einfach noch ein Stück mit dem Rad zu fahren, um nicht zu Hause herumzusitzen. Sie hatte zwar ihren Putztag, aber sie verschob ihn auf morgen. Sie zog nur ihre Strickjacke über, weil es am Abend doch etwas kühler wurde, ging wieder hinunter und holte das Rad aus dem Keller. Dann fuhr sie los. Ziellos radelte sie durch die Straßen und kam dann wieder nach einer längeren Rundfahrt zurück. Ihre Laune hatte sich nicht gebessert. Als gäbe es auf der Welt nur Paare, hatte sie unterwegs massenhaft junge Menschen gesehen, die Arm in Arm gegangen waren. Sie hatte das Gefühl, diesen Anblick einfach nicht mehr ertragen zu können.
Zurück in ihren vier Wänden, saß sie lange im Sessel, stützte den Kopf in die Hände und fragte sich, wie es weitergehen sollte. Sie sehnte sich nach Zärtlichkeit, nach Liebe, und dagegen halfen auch keine verstandesmäßigen Vorsätze.
Schließlich versuchte sie sich mit dem Lesen eines Buches abzulenken. Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder irrten ihre Gedanken ab, ließ sie das Buch sinken und starrte vor sich hin. Sie dachte an die Zeit mit Dieter. Nein, das konnte es nicht sein. Vielleicht, überlegte sie, habe ich nur den falschen Mann gehabt. Einen Mann, der nicht zu mir passt. Vielleicht hätte es Tausende andere gegeben, wo ich nie auf den Gedanken gekommen wäre, solche Überlegungen anzustellen, wie ich es jetzt tue.
Sie ging an diesem Abend früh zu Bett. Viel früher als üblich. Es war noch nicht einmal richtig dunkel. Und fast hätte sie das heulende Elend überkommen, doch der Schlaf erlöste sie von ihren Problemen.
Am nächsten Morgen war sie noch missgelaunter, und nach der üblichen Gymnastik, die sie früh immer machte, und dem Duschen, fühlte sie sich auch nicht besser. Dann fuhr sie mit dem Rad zur Klinik. Und fast wäre ihr noch ein Hund ins Rad gelaufen. Sie konnte mit Mühe noch anhalten.
Ausgerechnet der Besitzer des Hundes beschimpfte sie, doch sie verzichtete auf eine scharfe Antwort und fuhr einfach weiter.
Dieser Tag, dachte sie später, hat es in sich.
Er hatte es wirklich in sich. Schon innerhalb der ersten Stunde ihres Dienstes ging ihr verschiedenes schief. Dann fiel ihr auch noch ein Reagenzglas mit einer Urinprobe herunter, sodass der Urin neu besorgt werden musste. Und das noch von einer Schwerkranken.
Später geriet sie noch mit Schwester Silke aneinander. Aber diese Wogen ließen sich wenigstens schnell wieder glätten.
Dann tauchte Dr. Graf auf. Er war wieder im OP gewesen. Der gleiche Grund, weshalb Doris heute nicht in der Sprechstunde bei Professor Winter arbeiten musste.
Graf sah blass und müde aus, hatte Ringe unter den Augen, und Silke machte anschließend Doris gegenüber ein paar Anspielungen.
Doris begriff nicht, was Silke meinte und als sie fragte, was es heißen solle, sagte Silke:
„Na, der war doch gestern mit Heidi weg. Und das ist eine Rasierklinge, sage ich dir. Eine wandelnde Rasierklinge. Scharf wie Pfeffer. Die hat ihn offenbar ganz schön geschlaucht.“
„Wie kannst du so etwas sagen?“, meinte Doris vorwurfsvoll. „Glaubst du im Ernst, dass er sich mit Heidi abgegeben hat?“
„Davon bin ich fest überzeugt“, behauptete Silke leise. „Sieh sie dir doch an. Die ist der wandelnde Triumph. Die platzt bald vor Stolz. Und ziemlich müde war sie heute Morgen auch. Die scheinen ganz schön herumgetobt zu haben.“
„Ich will das nicht hören“, wehrte Doris ab.
Doch wie zur Bestätigung tauchte Schwester Heidi auf. Sie strahlte, obgleich sie auch übernächtigt wirkte, trippelte, wie es ihre Art war, mit kleinen Schrittchen den Gang entlang und prahlte wenig später im Schwesternzimmer von einem Lokal, wo sie gestern Abend gewesen war. Sie sagte zwar nicht mit wem, doch sie schilderte das in so glühenden Farben, dass jeder, der zuhörte, sicher war, wer ihr Begleiter gewesen sein musste.
Kurz darauf wurde Doris von Wieland Graf ins Arztzimmer gerufen.
Als sie hinging, hatte sie sich schon eine Meinung über ihn und den Vorgang gestern gebildet.
Er ist genau wie die anderen. Und was er über Frauen gesagt hat und seine kaputte Ehe, sind nur Sprüche gewesen. Ausgerechnet mit Heidi, so einer Gans! Aber es geht mich wirklich nichts an. Es gibt für mich nicht den geringsten Grund, mich ihm gegenüber anders zu verhalten.
Als sie das Zimmer betrat, sah sie ihn am Schreibtisch sitzend, vorgebeugt, aber er schrieb nicht. Er schaute dann kurz auf, sah in ihre Richtung und machte eine schlaffe Handbewegung auf den Stuhl, der weiter vorn stand. „Setzen Sie sich!“
Sie war überrascht, dass er ihr Platz anbot. Sollte das eine längere Unterredung werden? „Wir haben da ein Problem in der Intensivstation“, begann er. „Eigentlich hätte ich danach sehen sollen, aber ich werde gleich nach Hause fahren. Frau Doktor Lamprecht kümmert sich um den Fall. Unterstützen Sie sie ein wenig dabei. Den alten Herren mit der Gallenkolik müssten Sie auch im Auge behalten. Wenn irgendetwas ist, mit dem die Assistenzärzte nicht klarkommen, wenden Sie sich an Professor Winter.“ Er tupfte sich mit dem Taschentuch über die Stirn und atmete schwer. Sie hatte das Gefühl, dass er krank war. Es schien ihr mehr als eine Übermüdung und Erschöpfung zu sein.
„Sind Sie krank?“, fragte sie.
„Vermutlich. Ich habe mir irgendetwas eingefangen. Ich weiß noch nicht, was es ist. Na ja, meistens wird das schon wieder gut, wenn man einmal richtig ausgeschlafen hat. Ich denke doch, dass ich morgen wieder hier bin. Sie wissen also Bescheid. Wenn sonst noch etwas ist, womit Sie nicht zurechtkommen, dann sprechen Sie mit Professor Winter darüber. Aber nur, wenn es sein muss. Sonst versucht ihr es selbst zu regeln. Sagen Sie auch Schwester Silke Bescheid.“ Er stemmte sich von seinem Stuhl hoch wie ein alter Mann. Und so sah er in diesem Augenblick auch aus.
Einem Patienten hätte sie jetzt die Hand an die Stirn gelegt, um zu sehen, ob er stark