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      „Nein, nicht dass ich wüsste. Und zum Arzt geht der eigentlich erst, wenn er halb tot ist. Vor zwei Jahren wurde er von ein paar Krawallmachern mal richtig zusammengeschlagen, aber selbst da hat er sich nicht in eine Klinik einweisen lassen.“ Tony zuckte die Achseln.

      „Eine Arzt-Phobie?“, fragte Milo.

      „Ich würde eher sagen, eine Kosten-Phobie“, widersprach Tony. „Rick ist nämlich zu geizig für eine Krankenversicherung.“

      Wir durchsuchten auch die Schränke, fanden aber nichts, was irgendeine Hinweis darauf geben konnte, wo er sich jetzt befand.

      Als wir fertig waren, versiegelten wir das Zimmer.

      Die SRD-Kollegen mussten sich alles ja auch noch einmal ansehen. Rick Chaves stand schließlich im Verdacht, an einem Mord beteiligt zu sein. Estevez’ BMW wurde in die Fahndung eingegeben. Wir konnten nur hoffen, dass er uns ins Netz lief und nicht inzwischen längst gewarnt worden war.

      „Wir sollten es bei seiner Freundin versuchen“, meinte Milo.

      „Wenn der dort wirklich war, ist er doch längst gewarnt worden“, glaubte Jay Kronburg, der zusammen mit Leslie Morell eingetroffen war und den Durchsuchungsbefehl nachlieferte.

      Ich zuckte die Schultern. „Nach unseren bisherigen Erkenntnissen, war Chaves der Mann, der die entscheidenden Schläge gegen Mendoza geführt hat und wohl auch direkt mit dem Auftraggeber Zarranoga in Verbindung stand. Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir ihn festsetzen.“

      „Leichter gesagt als getan!“, meinte Leslie.

      Wir machen uns auf den Weg nach Süden über den Franklin D. Roosevelt Drive, der inoffiziell auch unter der Bezeichnung East River Drive bekannt ist und sich entlang der Uferlinie hinzieht. Über die Queensboro Bridge ging es nach Long Island City. Unter uns lag Roosevelt Island, das den East River zwischen dem Carl Schurz Park und dem UNO-Hauptquartier in den West Channel und den East Channel teilt.

      Während der Fahrt nahmen wir Verbindung mit dem Field Office auf, um die Adresse von Carmen Cruz herauszubekommen. Insgesamt gab es in New York 124 Personen mit diesem Namen, die einen eigenen Telefonanschluss besaßen. Etwa die Hälfte davon wohnte in Spanish Harlem, ein weiteres Viertel in der Bronx, wo es eine starke puertoricanische Gemeinde gab und das letzte Viertel verteilte sich auf den gesamten Rest des Big Apple.

      Nur zwei Adressen lagen in Long Island City.

      Unsere Innendienstler riefen beide kurz unter einem Vorwand an, um festzustellen, ob sie zu Hause waren. Dabei stellte sich heraus, dass einer der Telefonbucheinträge nicht mehr aktuell war. Eine gewisse Carmen Cruz, die in den Queensbridge Houses gelebt hatte, war vor drei Wochen mit 87 Jahren in ein Altersheim umgezogen.

      Blieb also nur noch eine Carmen Cruz.

      Sie wohnte an der Ecke 10th Street und 44th Road im fünften Stock eines Mietshauses, das im Cast Iron Stil errichtet worden war, der eigentlich eher für Greenwich Village oder Chelsea typisch war.

      Wir stellten den Wagen an der Straße ab. Wenig später trafen Jay und Leslie ein.

      „Für einen Underdog aus Spanish Harlem ist es doch fast so etwas wie ein sozialer Aufstieg, eine Freundin in Long Island City zu haben!“, meinte Milo.

      „Es dürfte auf jeden Fall interessant sein, ihr ein paar Fragen zu stellen!“, stimmte ich zu.

      Wir gingen zur Tür.

      Für den privaten Wachdienst, der sich um das Gebäude kümmerte, gab es eine separate Klingel. Dort drückte ich.

      Eine Männerstimme meldete sich.

      „FBI! Bitte machen Sie die Tür auf.“

      Eine Kamera suchte uns. Milo hielt seinen Dienstausweis in die Optik.

      Daraufhin wurden wir hereingelassen.

      Jay und Leslie besetzten Treppenhaus und Fahrstühle, um zu verhindern, dass sich Chaves noch aus dem Staub zu machen versuchte.

      Etwa fünf Minuten später standen wir vor Carmen Cruz’ Wohnungstür. Über eine Sprechanlage meldete sich eine weibliche Stimme.

      „Wer ist da?“

      „Jesse Trevellian, FBI! Wir möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“

      „Muss das jetzt sein? Ich erwarte Besuch.“

      „Es wird nicht lange dauern.“

      Wenig spätrer öffnete sich die Tür einen Spalt.

      Eine junge Frau mit langen dunklen Haaren stand dort. Sie trug nichts weiter als einen Seidenkimono, dessen Stoff sich an ihre sehr weiblichen Rundungen anschmiegte und so gut wie nichts davon verbarg.

      „Was wollen Sie wissen?“, fragte sie.

      „Es ist vielleicht keine gute Idee, das auf dem Flur zu besprechen.“

      Sie zuckte die Schultern, blickte kurz auf die goldene Uhr an ihrem schlanken Handgelenk und winkte uns herein. „Fünf Minuten. Länger nicht!“

      „Das liegt ganz an Ihnen, Miss Cruz!“, erwiderte ich.

      Sie führte uns ins Wohnzimmer.

      Alles war in einem sanften Dämmerlicht gehalten. An den Wänden hingen Gemälde, die man im weiteren Sinn als erotische Kunst bezeichnen konnte.

      Die Tür zum Schlafzimmer stand offen und gab den Blick auf ein breites Wasserbett frei.

      Ehe Carmen Cruz es verhindern konnte, war ich dort, um mich davon zu überzeugen, dass sich auch im Schlafzimmer niemand befand. Die Einrichtung war schrill. An der Wand hingen Peitschen in verschiedenen Größen.

      „Was fällt Ihnen ein!“, zeterte sie.

      „Wir suchen Mister Rick Chaves. Ist er hier?“

      „Nein!“

      „War er vor kurzem hier?“

      „Ich kenne diesen Rick nicht!“

      „Müssen wir erst eine Gegenüberstellung mit ein paar Zeugen machen, die aussagen können, dass sie beide sich kennen?“

      „Wir könnten natürlich auch einen Tipp an die Kollegen von der Vice-Abteilung des zuständigen NYPD-Reviers geben, damit die mal überprüfen, wie Sie sich dieses teure Apartment leisten können“, ergänzte Milo.

      „Das geht Sie nichts an!“

      „Ich nehme an, Sie wissen, dass Prostitution in New York illegal ist“, fuhr Milo fort.

      Sie schluckte und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Sie haben keine Beweise! Außerdem habe ich einen guten Anwalt, daher sehe ich einer Anklage gelassen entgegen!“

      „Sie brauchen jetzt nicht darüber nachzugrübeln, welcher Ihrer Freier sauer auf Sie gewesen sein könnte und Sie anschwärzen wollte!“, ergriff ich wieder das Wort. „Wir sind wirklich nur an Chaves interessiert. Alles andere fällt nicht in unser Aufgabengebiet. Also würden Sie sich und uns eine Menge Schwierigkeiten ersparen, wenn Sie uns jetzt ein paar brauchbare Auskünfte geben würden!“

      Sie blickte nervös auf die Uhr.

      „Okay“, sagte sie. „Ich kenne einen Rick Chaves. Er kommt aus Spanish Harlem.“

      „Es gibt jemanden dort, der glaubt, dass Sie seine Freundin wären“, sagte ich.

      Sie lache heiser auf. „Wie bitte? Das kann nicht Ihr Ernst sein!“

      „Ich wiederhole nur, was man so hört. Und ich schlage vor, Sie erzählen uns jetzt alles, was Sie wissen. Wir suchen Chaves wegen Mordes und es ist sicher nicht in Ihrem Interesse, tiefer in die Sache hineingezogen zu werden als unbedingt nötig.“

      Einen Augenblick schien sie noch mit sich zu ringen.

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