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als ich, erfuhr ich erst zwei Semester später im Herbst, als wir auch bereits zwei Bassgitarristen verschlissen hatten. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon viel zu eng befreundet – für mich hoffnungslos zu spät für einen Wechsel in die angesichts unseres Altersunterschieds eigentlich geziemende höflichere Sprechstufe.

      Wie Schaumstoffschwimmer und Angelhaken

      waren wir unzertrennlich. Zusammen soffen wir, zusammen verabredeten wir uns mit Frauen, zusammen ließen wir auf der Bühne die Sau heraus, zusammen gingen wir angeln. Eigentlich wollten wir auch gleichzeitig das Studium abschließen, um anschließend weiter miteinander Musik zu machen. Dass daraus nichts werden sollte, stellte sich nach dem Abrüsten vom Militär heraus. So komisch es klingt: Nachdem ich meinen Wehrdienst abgeleistet hatte, fing ich plötzlich an, alles gutzuheißen. Mein Weltverdruss war spurlos verschwunden, und ich war wie verwandelt, nämlich in einen braven Studenten, der sich auf seinen Eintritt in die Arbeitswelt vorbereitet. Quasi nach dem Motto: Für so müßige Scherze wie das Musikmachen ist jetzt nicht die Zeit. Es hielt mich beim Erzählen nun auch nicht mehr auf meinem Angelhocker:

      „Also deswegen habe ich damals mit der Musik Schluss gemacht.“

      „Ach so“, B nickte, aber auch seinerzeit hatte er bloß genickt. Das war’s gewesen. Die Band wurde tatsächlich aufgelöst, und ich bewarb mich um ein Praktikum in eben dieser Firma. B gegenüber hatte ich mich seither immer schuldig gefühlt, und auch jetzt in diesem Moment fühlte ich mich zutiefst schuldig. Wenn in den vergangenen Monaten einer von uns beiden beim anderen angerufen hatte, um mal zu fragen, wie es denn so geht, so war das stets er gewesen, nicht ich. Und wer das Angeln heute vorgeschlagen hatte, das war auch er gewesen, nicht ich. Und ich blöder Arsch – mit knapper Not war ich so gnädig gewesen, zum Angelplatz zu kommen, um nun bloß über Wehwehchen wie die Sache mit dem Waschbären zu schwafeln.

      „Also, was ich denke, ist Folgendes.“

      B beendete seine lange Denkpause und machte endlich wieder den Mund auf. Einer der langen Nägel, die in die Wasseroberfläche eingeschlagen gewesen waren, regte sich plötzlich, als sei er nun lieber doch ein Schaumstoffschwimmer, aber ich machte mir nicht die Mühe, die Schnur zu mir zu ziehen. Die Welt war immerhin so verrückt, dass ein Mensch zu einem Waschbären wurde. Wenn sich da ein Schwimmer in einen Nagel verwandelte oder auch dieser Nagel wiederum zurück in einen Schwimmer, konnte mich das nicht groß kratzen.

      „Ich frage mich, ob es dabei nicht um das Problem des Vergnügtseins geht.“

      „Das Problem des Vergnügtseins?“

      „Will sagen, der Waschbär steht für das Vergnügen.“

      „Das ist mir ein wenig zu hoch.“

      „Stell dir einfach mal vor, du bist mit deinem Leben an diesem Scheideweg angelangt. Also du bist an der Schwelle zu Level 1. Erst jetzt merkst du, welche Abneigung die Welt dem Waschbären entgegenbringt. Nun hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst entweder Waschbär bleiben und die Flucht ergreifen oder den Schwanz einziehen und das Waschbär-Sein vollkommen sein lassen. Dein Abteilungsleiter war höchstwahrscheinlich ein Mensch, der die ganze Zeit seine Waschbärennatur geheim hielt. Das war sicher sehr mühsam für ihn.“

      „Geheim hielt?“

      „Natürlich nur am Anfang. In der Konfrontation mit diesen ständig neuen Level-Herausforderungen vergaß er ja zusehends, ohne es selber recht zu merken, seine Waschbärennatur. Irgendwann stieß er beim Aufstieg an einen unüberwindlichen Plafond. Die Gruben, auf deren Grund man auf einen Reißnagel fällt, die hatte er da aber immerhin schon alle glücklich übersprungen. Und so konnte er sich am Ende dann doch noch, das muss der Neid ihm lassen, zum waschechten Waschbären mausern.“

      „Ich kenne mich hinten und vorne nicht mehr aus. Wie kam denn der Waschbär mit der Menschheit dermaßen über Kreuz zu liegen?“

      „Ich erklär’s dir sehr vereinfacht. Stell dir mal so eine primitive Agrargesellschaft vor. Alle graben gerade fleißig den Boden um, da taucht auf einmal ein Waschbär auf. Einer schreit: Da schau her, ein Waschbär! Und schon lassen die Leute alles liegen und stehen und versuchen, den Waschbären anzulocken: Oh my god, ist der süß! Da komm her, komm doch, Baby, Sugar baby, Sugar sugar baby!

      „Moment mal, hatten die es zur Zeit dieser primitiven Agrargesellschaft auch schon so mit Englisch?“

      „Ich will dir ja bloß die Stimmung vermitteln. Also ursprünglich und an und für sich steht der Waschbär für den Spaß schlechthin. Kommt daher und zieht für ein, zwei Stunden die Leute völlig in seinen Bann. Wie war da wohl dem Kapo von Feld 1 ums Herz? Richtig, der hätte den Waschbären am liebsten erwürgt. Und so ein Hass, der staut sich an. Seither ist viel Zeit vergangen. Und siehst du, inzwischen haben wir die spätkapitalistische Industriegesellschaft. Diejenigen, die heute die Zügel fest in der Hand halten, sind Kerle vom Schlag des seinerzeitigen Kapos vom Feld 1.“

      „Allerhand, was schon damals so alles abgelaufen ist.“

      „Diese Typen gingen allmählich dazu über, den Waschbären komplett auszurotten. So wie sie das bei den Indianern getan haben. Das Mittel, das man angeblich gegen die Tollwut über ganz Ohio versprüht hat, war wahrscheinlich in Wahrheit nur ein Waschbärengift. Warum? Weil es so etwas wie die Waschbärentollwut überhaupt nie gegeben hat. Das sind alles ganz abgekartete Sachen. Diese Schufte geben dauernd vor, den Waschbär schützen zu wollen. Als vom Aussterben bedrohte Tierart eben.“

      „Wieso?“

      „Den Menschen soll vermittelt werden, dass so ein Waschbär ein rarer Vogel sei, dass man solch ein Tier allenfalls mal im Zoo bestaunen kann, weil man es in freier Wildbahn sowieso ein Leben lang nicht zu Gesicht bekommt. Werde man aber doch zufällig eines Waschbären ansichtig, dürfe man, das hämmerte man den Leuten ein, ihn auf gar keinen Fall anfassen.“

      „Diese Intrigen sind ja zum Fürchten.“

      „Auch du solltest bald deine Entscheidung treffen. Was diese Sache anlangt, meine ich, das Vergnügtsein.“

      „Tut mir echt leid. Also dass ich dir mit solchen Sorgen komme.“

      „Es braucht dir nicht leid tun. Eigentlich ist das etwas, über das ich mir schon lange Gedanken mache. Und heute wollte ich sowieso mit dir darüber reden.“

      „Worüber?“

      „Also, ehrlich gesagt, ich glaube, ich möchte ein Waschbär sein.“

      „Machst du dir damit das Leben nicht zu schwer?“

      „Am Anfang, klar, ist man auf der Flucht. Aber wirklich schwierig ist sozusagen nur die Installation, der Rest ist einfach. Man braucht bloß einen Emulator für das alte Programm. Auf jeden Fall glaube ich, der Waschbär ist das größte Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat. Beziehungsweise das ist sogar meine einzige Gewissheit.“

      „Dann gehen wir jetzt getrennte Wege?“

      „Fühlst du dich allein gelassen?“

      „Ja.“

      „Trotz allem gibt es auf dieser Welt ja immer noch die Waschbären, vergiss das nie.“

      „Stimmt, danke.“

      Mein Schaumstoffschwimmer fing wieder an zu wackeln. Energisch zog ich die Rute zu mir. Eine kleine junge Karausche hing an der Schnur. Ich fädelte ihr den Haken aus dem Mund und warf sie ins Netz. Sie zuckte und zappelte wie ein Mensch, der gerade auf Level 1 ins Spiel einsteigt. Genau in diesem Augenblick blendete mich eine Art Leuchtkörper.

      Das Ding schwebte wie schwerelos über dem Akazienwald am gegenüberliegenden Ufer des Angelsees. Es war eindeutig ein Flugobjekt, das sich aber scheinbar federleicht in der Luft zu halten vermochte, so als berge es in seinem Innern nichts weiter als eine große Luftblase. Der halbkugelförmige Körper des Dings war vollkommen umhüllt von einer augenblendenen, wunderschönen blauen Aura

      Nanu, war das nicht ein Ufo, wie es im Buche stand?

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