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will.“

      „Ich meinte für mich persönlich. Du weißt doch, dass ich Architektur studieren möchte, vielleicht noch einen Auslandsaufenthalt dazu!“, erwiderte ich. Martin war sichtlich erbost über so viel Dreistigkeit. „Also, Hummel, ein Studium ist für dich nicht drin. So wie ich das sehe, bist du früh verheiratet, bekommst einen Stall voller Kinder, damit wäre das Studium sowieso rausgeschmissenes Geld. Nee, das brauche ich jetzt dringend für mein Projekt.“ Ich war enttäuscht und verletzt, startete noch mal einen Versuch, ihn umzustimmen:

      „Aber Papilein“, säuselte ich, „das ist doch mein Herzenswunsch!“ Diese Ansprache wählte ich als letzte Reserve, wenn ich spürte, dass gar nichts mehr ging. „Du weißt doch, dass ich mich brennend dafür interessiere. Bin auch bereit, während des Studiums im Hotel zu arbeiten. Biiiittteee“, flehte ich.

      Martin zündete sich genüsslich eine dicke Zigarre an, blies den Rauch gelassen in mein Gesicht und lächelte, ohne ein Wort zu sagen. In meinem Zimmer schlug ich mein Frust- und Tagebuch auf.

       Mein Kopf dröhnt. Bin stinksauer und wütend. Immer dasselbe. Toll, wie immer seine Entscheidung. Hätte ich mir denken können. Elender Sadist und Egoist. Bei seinen Absagen blieb er weiß Gott standhaft. Alles Flehen und Weinen für die Katz. Sein Traum hatte mal wieder oberste Priorität. Könnte schreien!

      Ich blätterte im Tagebuch. Fand die Stelle und Situation mit Oma Frieda. Damals hatte ich kommentiert: blöde Oma. Der Schreibfehler war mir egal. Die Emotion stimmte. Ich ließ es so stehen. Auch die Seiten, auf denen ich über die blutigen Schläge gegen Alex im Keller geschrieben hatte, entdeckte ich, las die Notiz am Ende: Ich hasse beide. Ich hörte auf zu blättern. Die aufsteigende Wut hätte mich sonst überrollt. Mein Blick fiel auf den Froschkönig. Wie sehr wünschte ich mir beim Anblick des Frosches, dass ich eines Tages meinen zukünftigen Prinzen finden würde, der mich liebte, achtete und würdigte. So einer wie Martin käme nie auf meine Couch. Niemals!

      Donnerstag 3. Mai. Mein Herzenswunsch ist IHM scheißegal. Nur sein Projekt zählt. Hat mich mal richtig spüren lassen, wer hier die Hosen an hat. Wünschte, ich hätte genügend Geld. Ich würde sofort abhauen. Wirklich, bin sauwütend. Oder ist er vielleicht eifersüchtig? Gibt es Eltern, die vordergründig stolz auf ihr Kind und dessen akademische, sportliche oder soziale Leistungen sind! Insgeheim aber sind sie eifersüchtig? Fühle ich mich minderwertig? Hm, möglich. Wie hält Ella das nur aus? Verstehe, wieso sie zum militanten Pillenfresser geworden ist. An ihrer Stelle würde ich ihn verlassen.“

      Alexander hatte mit seinen neuen Freunden eine weitere Mutprobe absolviert. Die Schmerzen und Striemen der letzten Mutprobe hatte er verdrängt, er lief zur Höchstform auf. Ich wurde eingeteilt, um Schmiere zu stehen. Ich hatte keine Ahnung, was laufen würde, aber Dabeisein war alles, wie Opa Eugen es formulierte. Es war Kirmes. Die Jungs hatten ihren Späherblick aufgesetzt, sahen einen roten Porsche Cabriolet auf der riesigen Wiese, die als Parkplatz diente. Einer der Jungs stand am Heck des Autos. Alexander stocherte mit einem langen Draht durch das Gummi des Seitenfensters, öffnete geschickt den Wagen. Auf dem Autodach fingen die Jungs an zu knobeln. Der Becher wurde umgestülpt, die Würfel fielen. Alex juchzte: „Gewonnen.” Er legte sich im Fußraum unters Lenkrad, schraubte die Verkleidung ab und knotete die Drähte aneinander. Er öffnete die Beifahrertür, seine Kumpels stiegen ein. Mir stockte der Atem. Zu meinem Entsetzen sprang der Motor an. Alex fuhr erst rückwärts, lässig schaltend, dann vorwärts elegant zwischen den Autos entlang. Ich konnte es nicht glauben. Vor meinen Augen klaute mein doch so liebes Brüderlein, gefolgt von seinen Kumpels, ein schickes Auto. Ja wie war der denn drauf? Ich musste Pipi vor Aufregung. Sie drehten ihre Runden, kamen zurück und der andere Kumpel stieg ein. Der setzte sich hinten aufs Faltdach, seine Beine zwischen den Jungs, seine Füße abgestützt auf dem Mittelholm. Sie kreischten vor Bewunderung und Freude, drehten das Radio noch eine Umdrehung lauter.

      „Born to be wild“ entsprach genau ihrem Lebensgefühl. Nach der vierten Runde wurde ihnen mulmig. Alex stellte den Wagen an die ursprüngliche Stelle. Sie waren erregt und völlig aus dem Häuschen. Ich wurde von meinem Posten abgezogen. Gemeinsam traten wir in der Dämmerung die Heimkehr an. Alex erntete Anerkennung und Bewunderung für seine hervorragenden Fahrkünste. Außerdem hatte niemand etwas bemerkt. Sie hielten sich für oberschlau!

      GELD MUSS HER

      In der Schule kam ich gut voran. Nach der Mittleren Reife legte ich mich noch mal ordentlich ins Zeug. Aber die Aussicht, zukünftig in den Bergen zu wohnen, die ich zwar liebte, aber nur als Winter- oder Sommer-Besucher, lag mir im Magen. Der Gedanke, im eigenen Hotel den Touristen den Hintern hinterherzutragen, brachte mich um den Verstand. Ich erwischte mich, dass ich nachts wach wurde und vom Prinzen träumte, vom perfekten Prinzen, der mich eines Tages durch Liebe erlöste. Das starre Regime zu Hause beengte mich. Diese ewige Bettelei für Friseurbesuche, Schulausflüge, Kino, Konzerte,

      Fahrkarten, Pausengetränke, Geburtstagsgeschenke empfand ich als erniedrigend. Oft hieß es:

      „Dafür haben wir kein Geld. Du bleibst zu Hause, wir müssen fürs Hotel sparen.”

       Geld muss her!

       Ertrage es zu Hause nicht mehr. Meine Wünsche bleiben unerfüllt, meine Interessen ignoriert. Die Wertigkeit meiner Person wird belächelt. Ich werde nicht ernst genommen. Mir reicht es, werde mir etwas ausdenken müssen, wo ich ihre hundertprozentige Aufmerksamkeit erhalte. Ich bin nicht Ella.

       Ich halte nicht still.

      Ich hatte da so eine Idee, erst vage, aber dann kam sie täglich aufs Gehirn-Tablett. Nachts, wenn Ruhe herrschte, holte ich die Puzzlestücke aus der hinteren Hirnrinde, stellte die Verbindung zu den Synapsen her, legte sie fein säuberlich als neue Gedanken aus. Die Lesung dieser Gedanken ergab, dass ich demnächst jegliche Leistung in Geld umsetzen musste. Sparen war angesagt.

       Tagebuch 17. Juni . Martin ist eigentlich ein guter Lehrmeister. Er hat Geld und Macht. Er bestimmt immer, wo es langgeht. Das will ich auch. Wie er kann ich dann gelassen den Dingen entgegensehen, bestimmen, was gemacht wird. Diese ständigen Kämpfe sind nervig. Sie meinen wohl, Schuhe an den Füßen und sich satt zu essen, reicht aus, um Kinder zu erziehen. Wirklich? Nehmen die mich überhaupt wahr? Sie scheinen nur mit ihren Problemen beschäftigt zu sein. Ich kann’s nicht mehr hören!

       Meine Freundin Carmen scheint ein ähnliches Problem zu haben. Sie sprüht mit grellen Farben Sätze, Namen und Figuren an Hausmauern, Brückenpfeiler und Betonwände. Sie will auch wahrgenommen werden. Wenn schon nicht zu Hause, dann von irgendjemandem, der sie sieht. Ich schreie nicht malend meinen Frust raus, ich schreibe ihn mir von den Fingern.

      Weiterer Eintrag im Frustbuch:

       Ella hat uns heute beim Abendbrot wieder die Stimmung versaut. Was immer wir machen, nichts ist gut genug oder richtig. Sie kam wieder mit der Meldung, ich hätte exzentrische Züge, weil ich beim Erdbeerkuchen nur die Erdbeeren obendrauf gegessen habe. Den Boden habe ich liegengelassen.

       Na und? Sie kann weder kochen noch backen! Ich finde den Teig scheußlich. Er schmeckt wie eingeweichte Pappe. Außerdem ist er nährstoffarmes Füllmaterial und zuckerhaltiger Dickmacher. Ich will so schlank sein wie meine Freundinnen, hasse ihre schulmeisterhaften Belehrungen, die mit dem drohenden Zeigefinger!

      Seit Neuestem trug ich nach der Schule alten Damen und Schwangeren die schweren Einkaufstaschen vom Supermarkt nach Hause, wusch unsere Autos. Verkaufte selbstgepflücktes Obst am Straßenrand, in der Schule meine Bücher, Puppen, selbstgemalte Bilder. Gab nachmittags Nachhilfe in Mathe und Englisch für die Kleinen. Die leichteste und lukrativste Einnahmequelle waren die Zigarrenstummel. Oft war Martin so fasziniert vom Fernsehprogramm, dass er nicht bemerkte, dass er die angerauchten Zigarren auf der Drehscheibe im Aschenbecher versenkte. Nachts stand ich auf und holte mir die Stummel aus dem Aschenbecher. Sie wurden gebunkert.

      Wenn er dann mal keine Zigarren hatte, drehte er nikotinsüchtig durch. Nervös durchforstete er akribisch seine Bunkerplätze. Verkaufte ihm dann zu Höchstpreisen seine eigenen Stummel. Hatte seine Lektion verinnerlicht, die da lautete: „Im Einkauf

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