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werden.

      »Noch eine Woche, dann höre ich auf.«

      »Dein Boss wird schon ungeduldig.«

      »Habe ich dann nicht alles getan, was in meiner Macht liegt?«

      »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen.«

      Karla mochte nicht daran denken, was war, wenn nach dieser Zeit der Mörder wieder auftauchte. Und würde sie bei den Behörden Unterstützung für Claudia bekommen? Verden sagte ihr ständig, er würde mit den richtigen Leuten die Sache besprechen, machte ihr aber keineswegs viel Hoffnung.

      An diesem Abend war es besonders düster und kalt in der zugigen Straße. Als sie am Abend ihr gemütliches Heim verließ, dachte sie: Und wenn ich heute mal blau mache? Sicher werden sich die anderen Nutten darüber freuen. Immerhin habe ich auch dort den meisten Zulauf, obwohl ich mich nicht darum reiße.

      Sie ging durch die Straßen, und die Nässe kroch langsam an ihr hoch.

      Was machen sie nur im Winter, dachte die Klasse-Tülle erschrocken. Sie können doch nicht in der Kälte stehen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Sie wollte die Mädchen fragen.

      Auf dem Strich war Hochbetrieb. Die Kunden hatten Lohntag und wollten sich ein hübsches Stündchen leisten, oder was sie darunter verstanden. Karla war unruhig und konnte es sich nicht erklären, warum das so war. Sie hatte das Gefühl, als wäre heute alles anders. Sie war noch vorsichtiger in der Auswahl der Kunden, so dass die anderen Mädchen schon grantig wurden.

      Keine wusste, warum Karla hier stand. Man behandelte sie verächtlich, weil sie keinen Schutz hatte. Die Nutten verstanden das überhaupt nicht, denn sie nahm eine Menge Zaster ein. Dass ihre Luden nicht dagegen angingen, war unbegreiflich. Oder lief sie vielleicht für den Großluden?

      Sie erfuhren nichts und hielten auch dicht, schon aus Höflichkeit wegen der Bullen.

      Ahnte Karla, dass es diese Nacht sein würde? Warum drehte sie sich immer wieder um und vergewisserte sich, dass der Sender vorhanden war?

      Die Zeit ging trotzdem quälend langsam vorbei. Sie fühlte sich nach ein paar Stunden durch und durch kalt und beschloss, die Arbeit abzubrechen.

      Sie sagte es ihrer Nachbarin. »Ich hab’ keinen Bock mehr. Das ist ja eine Sauarbeit.«

      »Meinst du, es ist für mich ein Zuckerschlecken«, gab diese missmutig zurück. »Ich muss mir noch drei Stunden die Beine in den Bauch stehen.«

      »Wenn einer nach mir fragt, sage ihm, dass ich gegangen bin.«

      »Wer soll denn schon nach dir fragen? Etwa ein Stammkunde, Karla?«

      Sie lachte rau auf.

      »Du bist so garstig, dass du sie alle vergraulst. Ich glaube, bei dir sind ein paar Schrauben locker.«

      »Schon möglich, mach dir nur keine Gedanken deswegen.«

      Sie kümmerte sich nicht mehr um die keifende Dirne und setzte sich einfach ab. Weil es kalt war, hoffte sie, an der Ecke ein Taxi zu erwischen. Sie war am Ende ihrer Kraft und dachte nicht mehr an ihre eigentliche Arbeit.

      Die Kundenautos kamen in sturer Regelmäßigkeit. Sie sah ihnen böse nach. Als sie das Ende der Strichstraße erreicht hatte, war weit und breit kein Taxi. Bei dem Sauwetter hatten sie bestimmt in der Stadt genug zu tun. Für die Heimfahrt der käuflichen Ware war es auch noch zu früh.

      Die Strichstraße lag hinter ihr, sie umfasste ein ganz bestimmtes Gebiet. Doch das Industrieviertel war noch lange nicht vorbei. In der Nacht wirkte die Gegend besonders düster und unheimlich. Die dunklen, gähnenden Höfe wirkten unheimlich. Man wusste nie, was hinter den dicken Röhren und Mauern lauerte.

      Karla hatte sich die Angst längst abgewöhnt. Sie konnte sich ja verteidigen.

      Heute hatte sie es so eilig, ins Warme zu kommen, dass sie erst spät die Gefahr erkannte. Sie wusste nicht, wie lange er ihr schon nachgeschlichen war.

      Ganz plötzlich hatte sie wieder dieses Gefühl, sie wurde nicht nur beobachtet, sondern auch verfolgt. Ihr Herz schlug Alarm. Dann hatte sie sich wieder gefangen. Ihr Hirn war hellwach.

      »Na also«, murmelte sie leise und hatte sofort die Kälte und den Regen vergessen.

      Sie wusste es. Jetzt kam der Mörder.

      Und doch zog sich ihre Kopfhaut zusammen. Wie würde er sie angreifen? Was war, wenn er sie nicht würgte, wenn er sich eine andere Todesart ausgedacht hatte?

      Wo waren die Beamten, und wie weit reichte der Sender?

      Sie hörte die lautlosen Schritte und spürte die unsägliche Anspannung. Sie durfte jetzt keinen Fehler machen, sonst war es um sie geschehen. Wichtig war, nicht erkennen zu lassen, dass sie von seiner Anwesenheit wusste.

      Möglichst normal ging sie weiter, die Tasche hielt sie umkrallt.

       Ich muss ihn unschädlich machen!

      Weit und breit war um diese Zeit keine Menschenseele anzutreffen. Plötzlich wusste sie es. Sie war nicht weit von der Stelle entfernt, wo Vera den Tod gefunden hatte.

      Blinde Wut stieg in ihr hoch. Sie hätte doch die Waffe nehmen sollen, um ihn zu erschießen. So bekam er nur viele Jahre Haft.

      Die Entfernung zwischen ihr und dem Schatten verringerte sich zusehends.

      Eine Gänsehaut lief über ihren Rücken.

      Wenn er sie angriff, musste sie ihn fortschleudern, nur so konnte sie ihr Leben retten. Die anderen Opfer waren entweder überfallen worden oder in Panik geraten.

      Vielleicht wollte der Mörder das grausige Spielchen Katz und Maus? Sollte sie auch in Panik geraten?

      Fast war die Straße zu Ende. Und wenn er jetzt nicht zuschlug? Ein zweites Mal würde er sie nicht verfolgen.

      Sie fing an zu rennen. Der Schatten flog über die Straße. Die Lungenflügel wollten zerbersten, sie bekam nicht mehr genug Luft.

      Dann war er über seinem Opfer. Er sprang es von hinten an.

      Sie hatte genug Kraft, ihn von sich zu schleudern, obwohl sich seine Hände um ihren Hals gelegt hatten. Er war derart überrascht, dass er sie für Sekunden loslassen musste und gegen die Mauer prallte.

      Karla wusste, jetzt war ihr großer Augenblick gekommen. Sie wandte sich blitzschnell um und stand ihrem Mörder gegenüber. Sie musste ihn unschädlich machen, und das konnte sie nur, wenn sie schneller war.

      Sie sprang vor und wollte ihm die Arme auskugeln. Den Trick hatte sie gelernt, und sie wusste, es tat dermaßen mörderisch weh, dass der Angegriffene nicht mehr fortrennen konnte.

      »Du?«, keuchte sie und prallte zurück.

      Der Mann hatte sich aufgerafft und starrte sie an.

      »Du bist der Dirnenmörder! Sag es mir, auf der Stelle sag mir, ob du es getan hast!«

      Stöhnend lehnte er an der Fabrikmauer.

      »Ja«, sagte er leise.

      Vor ihr stand ihr eigener Bruder.

      »Benedikt«, schluchzte sie, »Benedikt, das ist doch nicht wahr. Ich beschwöre dich, bitte sag mir die Wahrheit.«

      Er war wieder bei Sinnen.

      Er sprang sie an und schrie: »Ich musste es tun, verstehst du, ich musste es doch tun!«

      »Aber warum? Warum hast du es getan?«

      Nun schluchzte er. »Du bist doch auch eine Dirne, darum musste ich es tun. Dich konnte ich nicht töten, denn du bist meine Schwester. Ich hatte einen Zwang in mir, ich muss sie alle töten, verstehst du. Es sind böse, schreckliche Menschen. Sie müssen weg, nur dann finde ich Ruhe.«

      »Du hast Vera ermordet«, schrie sie ihn an, »Vera, meine Freundin.«

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