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      „Er war von der Firma aus regelmäßig auf der Leipziger Messe. Und von einer Messe ist er nicht mehr in die Bundesrepublik zurückgekommen.“

      „Warum denn nicht?“

      „Auch das weiß keiner genau. Ich habe Helga Jahre später einmal zufällig in Dortmund-Romberg im Zoo getroffen. Und da hat sie mir erzählt, dass die Polizei vermute, er sei entführt worden und werde nun irgendwo in der DDR oder in der Sowjetunion gefangen gehalten.“

      „Gab es denn dafür einen Grund?“

      „Entweder eine der hübschen Messehelferinnen mit Stasiauftrag oder seine Kenntnisse als Stahlkocher. Sie wusste es nicht und wartete in ihrem Haus in der Feldstraße auf die Rückkehr ihres Helden.“

      „Ganz alleine? Hatte sie dort denn Freunde oder gute Bekannte?“

      „Wenn du unter Freunden auch etwas fürs Bett meinst, glaubte ich das nicht. Angefreundet hatte sie sich wohl mit einer Nachbarin, die im Rollstuhl saß und teilweise gelähmt war. Ohne Krücken oder Hilfe ging bei Della gar nichts mehr.

      „Krebs? Und wieso Della. Du meinst wohl Bella.“

      „Nein, Della. Nie gelesen oder gehört von Rechtsanwalt Perry Mason und seiner rechten Hand Della Street?“

      „Nein, tut mir leid.“

      „Es war auch kein Krebs, sondern ein Verkehrsunfall. Mit Della hat sie viel unternommen. Della hatte sich von dem schuldigen Fahrer vor Gericht das Geld für ein umgebautes spezielles Auto erstritten. Mit dem die beiden Frauen ordentlich herumgegurkt sind. Della schwamm sehr gut und viel und deine Helga hat mitgemacht. Schon beim Aussteigen und Einsteigen brauchte Della die Hilfe deiner Helga.“

      „Sie ist und war nie meine Helga.“

      „Aber du hättest nichts dagegen gehabt, wenn sie’s geworden wäre.“

      „Gut möglich. Und was macht Helga heute?“

      „Die hat ein paar Jahre in Hattingen auf ihren Carsten gewartet und ist dann ohne Abmeldung, ohne Piep und Kommentar, in eine andere Stadt gezogen. Ich habe seit Jahren nichts mehr von ihr gehört oder gesehen.“

      „Und was ist mit dieser Della? Wovon hat die gelebt?“

      „Sie hat Klavierunterricht gegeben.“

      „Also kein Lebenszeichen von deiner alten Schulfreundin Helga?“

      „Mit Schulfreundin war bald nichts mehr. Du kannst dich noch an Pater Milan erinnern?“

      „Kann ich.“

      „Deine Helga war verknallt in ihn, aber man hat ihn mit mir in der Sakristei erwischt. Ich weiß nicht, was mit ihm daraufhin geschehen ist. Ich musste vom Viktoria runter und habe mich mit allen möglichen Jobs über Wasser gehalten.“

      „Du bist nicht verheiratet?“

      „Nein, ein katholisches Mädchen, das einen viel versprechenden jungen Priester verführt und dabei ertappt wird, hat es damit nicht so leicht.“ Sie seufzte: „Und wie ist es mit dir?“

      „Seit jetzt über fünfzig Jahren Junggeselle. Nicht immer keusch, aber die Richtige ‚für auf Dauer‘ ist halt nicht vorbeigekommen.“

      „Kann passieren. Was hältst du von einem ordentlichen Bier?“

      „Gibt es hier denn noch gemütliche Kneipen?“

      „Ich kann dir eine in der Eleonorastraße zeigen.“

      „Läuft die denn gut?“

      „Sie muss sich immer noch von dem Düsseldorfer Nichtraucherschlag erholen. Sonst können wir zu mir gehen. Da gibt es auch Bier und dazu Aschenbecher, ich weiß auch, wie man den Rauchmelder abschaltet.“

      „Klingt gut, Stengelchen, machen wir.“

      Bis zur Wallotstraße war es nicht weit. Und er war erschrocken, wie hässlich die Mellinghauser Straße geworden war. Verglichen damit lebte er in seinem Schnodderbusch wie im grünen Paradies. Annegret erzählte noch von ihrem einzigen Besuch in der Feldstraße, bei dem sie sogar Della kennengelernt hatte. Della – sehr dünn, streng und geduldig – gab nebenbei Klavierunterricht, und der unvergleichliche Carsten hatte gemeint: ‚Leicht an Kilos, aber schwer an Grips.‘ Ob sie dort noch lebte, wusste Annegret nicht. Sie behauptete, noch trinkbares Export im Keller zu haben. Mit dem deutschen Pils konnte man Joko jagen.

      „Kannst du mir erklären, warum man Viktoria dicht gemacht hat?“

      „Erklären? Nein. Es gab schon seit Jahren Gerüchte, dass die Schule nicht mehr zu halten sei, zu wenige Anmeldungen. Konkurrenz, was weiß ich. Weniger Spanisch gefragt, dafür mehr Computer. Mehr Pepp, weniger ‚Wir sind alle eine große Familie‘. Erklären kann ich es dir nicht.“

      „Aber es gab doch sicher einen Altschülerinnenverein?“

      „Den gibt es immer noch, den organisiert seit Jahren eine Architektin in Kettwig.“

      „Du hast sicher den Namen, eine Adresse und eine Telefonnummer.“

      „Habe ich alles, schreibe ich dir auf. Daniela Landmann und wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Mail ihr lieber, sie ist so viel unterwegs, dass man sie kaum ans Telefon bekommt.“

      „Kein Handy?“

      „Doch, aber die Nummer behält sie für sich, sie wolle auch mal eine ruhige halbe Stunde haben, sagt sie.“

      „Verstehe ich, das ginge mir auch so. Und die letzte Anschrift, die du von Helga kennst, war Hattingen Feldstraße 33?“

      „Oder 44 oder 55. Das habe ich mir nicht gemerkt.“

      „Ja, danke.“

      „Du trauerst ihr immer noch nach?“

      „Nein. Ich habe mich über die Art geärgert, wie sie mich auf der Straße verabschiedet hat, während er ihr grinsend das Händchen hielt, und das habe ich ihr bis heute nicht vergessen. Mehr ist da nicht.“

      „Und warum suchst du sie dann so verbissen?“

      „Verbissen?“

      „Ja, sicher.“

      „Nein, nicht verbissen, ich möchte nur gerne wissen, was aus ihr geworden ist. Neugier oder vielleicht auch Schadenfreude, wenn sich ihr Carsten wegen einer anderen verflüchtigt hat.“

      So ganz glaubte sie ihm das nicht, und weil sie ihn das spüren ließ, lehnte er eine dritte Flasche Export dankend ab und fuhr nach Hause.

      Er wusste genau, dass er hätte bleiben können, sie war nicht nur allein, sondern auch einsam; aber sein bequemes Bett war ihm wichtiger. Das wollte er ihr nicht sagen, das hätte sie natürlich beleidigt und es gab für ihn keinen Grund, sie zu kränken. Mit Pater Milan hatte sie eine Riesendummheit begangen, aber – so, wie es aussah – dafür auch mächtig gebüßt.

      Am nächsten Morgen wachte Joko um acht auf und hatte bis neun Uhr gefrühstückt und eine ausführliche Mail an Daniela Landmann geschickt. Ab neun Uhr versuchte er eine halbe Ewigkeit, unter der Nummer, die an der Eingangstür vom Viktoria ausgeschildert war, jemanden zu erreichen, bis sich endlich ein Frau einstellte: „Schulamt der Stadt Essen, Heise ist mein Name. Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“

      „Guten Morgen, Frau Heise, mein Name ist Bernd Jokisch. Ich möchte in einer etwas komplizierten Erbschaftssache eine ehemalige Schülerin des Viktoria-Gymnasiums finden, von der ich leider nur eine gesicherte Adresse aus dem Jahre 1961 habe.“

      „Ach du meine Güte. Früher geht’s nicht?“

      „Nein. Helga Schmied hat 1955 oder 1956 Abitur gemacht. Hilft Ihnen der Geburtstag?“

      „Vielleicht.“

      „15. September, in Essen oder in Düsseldorf.“

      „Moment mal bitte!“ Joko hörte

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