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stach mir ins Auge, also zog ich es heraus. Ich hielt es mir hin und drehte mich damit. Wow, war das schön! Die Perlen auf dem bestickten Samtstoff schillerten, wenn man sie im Licht bewegte. Das Kleid sah aus wie aus einem Prinzessinnenfilm.

      Selbst die Jungs bestaunten einen Moment lang die alten Klamotten. Sie fischten sogar aus ein paar Hutschachteln die passenden Zylinder, Hüte und Perücken und setzten sie sich nacheinander auf. Doch dann lehnte sich Mats an den Schrank und zog aus einer Hutschachtel einen von unzähligen leeren Parfümflakons. »Was ist das denn?« Er deutete auf die Fläschchen. Sie waren noch unbenutzt und sahen alle identisch aus.

      Ich beugte mich ebenfalls darüber und zog einen vergilbten Zettel heraus, der dazwischenlag. Schnörkelige, kaum zu entziffernde Buchstaben in Tinte verrieten, dass hundert Flakons der Marke Priscilla an einen Herrn Daan de Bruijn geliefert wurden, nachdem die Flakons für vier Taler, dreizehn Groschen und acht Pfennig vorab bezahlt worden waren.

      Ich stockte und hielt Mats den Zettel unter die Nase. »Guck mal. Ein Daan de Bruijn hat vor zwei Jahrhunderten leere Parfümflaschen bestellt. Meinst du, das ist derselbe wie in dem Brief, den der Postbote für Willem gestern vorbeigebracht hat?«

      »Ach Quatsch. Das gibt’s doch nicht.« Mats nahm mir den Zettel aus der Hand und las ihn leise. »Du hast recht. Das ist echt ein Lieferschein aus dem Jahr 1869! Vielleicht war er einer der alten Besitzer?«

      »Oder der Hexenmeister?«, fragte Benno dazwischen und kicherte.

      Auch Mats musste grinsen. »Oder das.«

      »Aber was hat dann Willem mit dem zu tun?«, überlegte ich laut vor mich hin. »Und warum kriegt der die Briefe? Müssten die nicht an Hanne gehen? Das Haus hat ja der Familie van Velden gehört, oder?«

      Mats zuckte nur mit den Schultern, aber in seinen Augen sah ich genau, dass er auf diese Frage unbedingt eine Antwort haben wollte.

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      5. Kapitel

      Am nächsten Morgen schlich ich mich noch einmal allein auf den Dachboden. Die Vorstellung, dass jemand einen Brief an jemand anderen schickte, der schon seit zwei Jahrhunderten tot sein musste, hatte mich die Nacht über kaum ein Auge zumachen lassen. Im Haus war es ruhig, nur Benno und Ma waren bereits aufgestanden und klapperten lachend unten in der Küche herum. So lautlos wie möglich öffnete ich die Tür zum Dachboden und stieg die Stufen hinauf.

      Ich ging auf die Kisten und Seemannskoffer zu, die noch niemand von uns angerührt hatte. Mit hochgekrempelten Ärmeln machte ich mich an die Arbeit. Ich würde auch ohne, dass ich Willem danach fragen musste, herausfinden, wer dieser Daan de Bruijn war.

      Mit spitzen Fingern öffnete ich eine Holztruhe. Spinnweben zogen sich dabei in die Länge. Ich spähte in die Truhe hinein und fluchte, weil ich keinen Lappen mitgebracht hatte.

      Mehrere Kisten in Schuhkarton-Größe stapelten sich aufeinander. Sie waren mit bedruckten Banderolen verklebt. Hatte etwa noch niemand die Schachteln geöffnet, nachdem sie gekauft worden waren? Eine von ihnen nahm ich heraus und drehte sie vor mir herum. Auf die Banderole war ein schnörkeliges Firmenzeichen gedruckt: Bernard. Darunter stand Anno 1887 und eine französische Adresse. Vorsichtig streifte ich die Banderole vom Karton. Sie bestand aus hauchdünnem Papier und war bei jeder Bewegung kurz davor zu zerreißen.

      Mein Herz klopfte, als ich endlich den Kartondeckel anhob. Eigentlich war es nur ein Dachboden, vollgestellt mit altem Krempel, aber trotzdem fühlte ich mich, als wäre ich etwas Großem auf der Spur. Vielleicht lag die Antwort auf alle Gerüchte um die Villa Evie genau hier versteckt? Mit Kiste Nummer eins ging ich zu dem runden Fenster, um mehr zu erkennen, doch es lagen nur Korken darin. Allerdings sehr kleine Korken, nicht solche, wie ich sie von den Weinflaschen im Keller kannte.

      Etwas enttäuscht schloss ich den Karton und griff mir einen anderen aus der Truhe. Diesmal zog ich einen uralten Zerstäuber heraus. Ich erinnerte mich, dass Oma so einen immer auf ihre Parfümflaschen geschraubt hatte. Mit ausgestrecktem Arm hatte sie sich dann großzügig damit eingenebelt, bis ihre Wohnung wie eine Kaufhaus-Parfümerie stank.

      Bevor ich die Truhe wieder schloss, legte ich alles zurück an seinen Platz. Offensichtlich hatte dieser Daan de Bruijn Parfüm geliebt. Auch in den anderen Truhen, die ich öffnete, fand ich entweder Fläschchen oder Verschlüsse.

      Irgendetwas musste aber doch über den Mann selbst zu finden sein, wenn all sein Kram noch hier lagerte! Ratlos schloss ich hinter mir die Tür zum Dachboden und ging die Treppe runter Richtung Küche. Ich versuchte zu verstehen, was an dem Brief für diesen Daan de Bruijn nicht stimmte. Als ich schon fast am Ende der Treppe im Erdgeschoss angekommen war, setzte ich mich erst mal auf eine der Stufen und wischte mir die Spinnweben von der Jeans. Dabei stieß ich mit dem Ellenbogen an eine der geschnitzten Blüten am Geländer. Sie ließ sich wie fast alle von ihnen drehen.

      Ich schüttelte nur den Kopf darüber. Wieso hatte sich bitte jemand die sinnlose Mühe gemacht, Holzblüten in eine Treppe zu schnitzen, die sich um sich selbst drehten?

      Über mir quietschte plötzlich eine der Holzstufen. Dabei hatte ich sie nicht mal berührt! Ich zuckte zusammen, als sich mit einem Mal eine der Treppenstufen öffnete. Unglaublich! Das Holzbrett schob sich einfach von selbst auf! Lag das daran, dass ich die Holzblüte verdreht hatte?

      Ich kniete mich vor die geöffnete Stufe und starrte in ein Fach – ein Geheimfach. Es sah aus wie alles, das lange nicht mehr benutzt worden war, nämlich dreckig. Mit der Hand tastete ich vorsichtig hinein. Und da. Meine Finger streiften etwas! Es fühlte sich kühl und hart an. Ich griff danach und hielt einen Schlüssel in der Hand, der an einer Kette baumelte. Er war verschnörkelt und dunkel angelaufen wie alles in der Villa Evie.

      »Luuuzie, bist du oben?«, hörte ich Benno unten durch die Diele rufen. Bestimmt hatte er das Quietschen gehört. Jetzt kam er die Treppe hoch und strahlte mich an.

      »Ich muss dir was zeigen!«, flüsterte ich und winkte ihn näher. »Ich hab was gefunden, was Geheimes!«

      Benno gluckste vor Aufregung und kam näher.

      Ich zeigte auf die geöffnete Treppenstufe und hielt ihm den Schlüssel vor die Nase. »Der lag dadrin versteckt!«

      Benno starrte mich mit offenem Mund an. »Ich hol Mats! Der soll das auch sehen!« Noch bevor ich protestieren konnte, stürmte Benno schon aus der Haustür hinaus.

      Oh Mann, wenn Mats davon erfuhr, würde der uns wahrscheinlich gar nicht mehr in Ruhe lassen.

      Fürs Erste ließ ich den Schlüssel in meiner Hosentasche verschwinden und drehte wieder an der Blüte am Holzgeländer. Knarrend schob sich das Brett zurück auf die Stufe. Ich stand auf und ging den Flur im ersten Stock entlang, vorbei am Schlafzimmer unserer Eltern. Wozu gehörte dieser Schlüssel und warum lag er in einem so ausgetüftelten Versteck?

      Was, wenn er genau das verschloss, worüber sich alle den Mund fusselig redeten? Was, wenn Mats recht hatte?

      Ob Hanne davon wusste? Ich hörte die Gummisohlen von Turnschuhen die Holztreppe hochrennen und ging zurück. Im nächsten Moment standen ein nach Luft schnappender Benno und Mats vor mir.

      »Was ist denn passiert?«, keuchte Mats.

      Mit Absicht lächelte ich nur und schwieg, um ihn auf die Folter zu spannen. »Rate mal.«

      Mats hob die Augenbrauen und machte ein ahnungsloses Gesicht.

      »Sie hat einen Geheimschlüssel!«, platzte es aus Benno heraus. »Zeig ihn endlich! Bittebittebitte!«

      Übertrieben langsam zog ich den Schlüssel an seiner Kette aus meiner Hosentasche. Dann drehte ich wieder an der Holzblüte. »Du glaubst nicht, wo ich den gefunden habe. Guck mal.« Knarrend schob sich das Holzbrett wieder auf und zeigte das Versteck in der Treppenstufe.

      Mats sah einen Moment sprachlos zwischen Schlüssel und Treppe hin und her. »Und wozu ist der gut?«

      Ich musste lachen und drehte wieder an der Holzblüte,

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