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ein ziemlicher Idiot sein.«

      Da konnte was dran sein. Aber ich fragte mich trotzdem immer noch, was Leon vorhin genau gemeint hatte mit der »Gruselvilla«. Nachhaken wollte ich aber auch nicht, also hob ich nur die Schulter. »Ist schon okay.«

      »Ich bin übrigens Mats, aber das weißt du ja schon.« Er lächelte und in seinen Backen tauchten Grübchen auf. »Und du?«

      »Luzie. Und der Kurze heißt Benno.« Ich lächelte knapp zurück. »Hilf meinem Bruder nachher wieder über den Zaun, wenn ihr fertig seid, ja?« Damit nickte ich Benno zu und verdrückte mich Richtung Haus.

      Hanne stand nach wie vor an den Rosensträuchern und schnitt einen verblühten Ast nach dem anderen ab.

      »Ich wünschte, ich könnte sie noch einmal riechen«, sagte sie ganz plötzlich in meine Richtung.

      Verwundert drehte ich mich zu ihr um. »Was möchten Sie gern riechen?«

      »Meine Rosen natürlich.« Hanne winkte mich zu sich hinüber. »Als Kind habe ich den Duft so geliebt, weißt du?«

      Ich ging zu ihr an die Sträucher. Hanne hielt mir eine der dicksten rosa Blüten hin. Also beugte ich mich vor und atmete den zarten Duft aus Sommer und Leichtigkeit ein. Die Rosen rochen wirklich gut, genau so, wie Rosen es eben taten.

      Ich deutete leicht irritiert auf die Blüte. »Was ist so besonders an ihnen?«

      »Ach, nichts im Grunde.« Hanne betrachtete verträumt ihre Rose. »Ich rieche sie nur kaum noch. Mein Geruchssinn hat mich vor langer Zeit verlassen. Schlimm, nicht? Das Leben verliert irgendwie an Farbe, wenn man nichts mehr riecht. Selbst das Essen schmeckt nach nichts.«

      »Oh, das tut mir leid.« Extra für sie roch ich deshalb noch einmal an der rosa Blüte.

      Verzückt sah mich Hanne an. »Ach … nur ein einziges Mal den Duft von blühenden Rosen, von Lavendel oder Flieder riechen können … das wär’s. Als Kind konnte ich von den vielen Düften rund um das Haus nie genug bekommen.« Sie seufzte und warf mir einen langen Blick zu. »Wie gefällt es dir denn so in der Villa Evie?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Ist schon okay.«

      »Schon okay?« Hanne hielt für einen Moment die Luft an. »Na, hör mal, Kindchen! Die Villa Evie ist ein ganz und gar einzigartiges Haus. Weißt du das denn gar nicht? Glaub mir, sie ist prall gefüllt mit Geschichten. Und Geheimnissen!«

      In dieser Sekunde hatte sie meine volle Aufmerksamkeit. »Was denn für Geheimnisse?«

      Aber Hanne schüttelte nur ihren Kopf und wandte sich einem neuen Rosenstock zu. »Manchmal direkt nach dem Aufwachen glaube ich, mich im Traum an etwas erinnert zu haben. Etwas, das ich vor sehr vielen Jahren im Haus entdeckt habe. Aber sobald ich wach bin, ist alles wie weggeblasen. Liegt bestimmt am Alter. Dafür scheint sich deine Mutter mit Leib und Seele auf die Suche nach den alten Geschichten im Hause zu machen, nicht?«

      Ich verzog leicht genervt die Lippen und nickte. »Ist ihr Job. Sie findet alles toll, was alt ist. Je älter, desto besser.«

      Hanne seufzte wieder und dabei klangen ihre Worte, als hätte sie mir gar nicht richtig zugehört: »Mir hat die Villa Evie nicht viel Glück gebracht. Ich habe in diesem Haus nur verlernt, die Dinge um mich herum zu riechen. Eigentlich bin ich froh, dass ich mich nicht mehr um das Haus kümmern muss. Aber es ist schön zu sehen, dass deine Mutter darin so aufgeht.«

      »Na ja …«, fing ich an, aber da knirschten plötzlich die Sohlen der verkleideten Lady über den Kiesweg. Ihre Limousine wartete immer noch vor der Villa.

      Hanne nickte in ihre Richtung. »Guck mal, sie würdigt uns keines Blickes. Aber das tun die nie. Alle, die Willem besuchen kommen, sind schrecklich eingebildet.«

      Ich hob meine Augenbrauen. »Bekommt Willem denn oft Besuch von solchen Leuten?«

      »Nein, das nicht. Aber alle von denen tragen ihre Nasenspitze viel zu hoch in der Luft!« Hanne legte die Heckenschere in ihren Korb, während die Limousine davonfuhr.

      Einen Moment lang schaute sie an der Villa Evie hinauf, als wäre ihr plötzlich wieder etwas eingefallen. Aber dann griff Hanne sich schon ihren Korb und nickte mir zum Abschied zu. »Also dann, es war nett, mit dir zu plaudern, Lizzie.«

      »Luzie«, murmelte ich und sah ihr nach, bis sie hinter ihrer eigenen Wohnungstür seitlich im Haus verschwand – während in meinem Kopf nur noch die Worte »Gruselvilla« und »Geheimnisse« umherschwirrten.

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      3. Kapitel

      Am nächsten Tag machten wir uns daran, die Berge von Umzugskisten auszuräumen und die Villa Evie in etwas zu verwandeln, was grob an unser Zuhause erinnerte. Aber jedes Mal wenn ich endlich eine Kiste ausgeräumt und für all die Dinge darin einen neuen Platz in den Schränken und Regalen gefunden hatte, stand nur die nächste Kiste vor mir und alles fing wieder von vorn an.

       Ding-Di-Dong!

      Oh Mann. Schon seit Stunden schrillte die Türklingel und irgendein neuer Nachbar stand vor unserer Haustür. Wer war es wohl diesmal? Ich öffnete die Tür und schaute in das Gesicht einer Frau, die freudestrahlend einen Gugelhupf vor sich hielt. »Ja bitte?«

      »Einen schönen guten Tag«, trällerte sie. Hinter mir kam Ma an die Tür. Zum Glück.

      »Ich wollte Ihnen ganz herzlich zum Einzug gratulieren!« Die fremde Frau drückte Ma den Kuchen in die Hand und reckte ihren Kopf in unseren Flur hinein. Offensichtlich versuchte sie, mit einem Blick so viel wie möglich von der Villa Evie in sich hineinzusaugen.

      »Ich bin Silvia Norman von schräg gegenüber, das gelbe Haus.« Sie zeigte hinter sich auf irgendeins der Häuser, aber jetzt, da Ma da war, nutzte ich die Chance, mich schnell wieder zurück zu den Kisten zu schleichen. Benno war nämlich gerade damit beschäftigt, zwischen den Kartons herumzutoben, und schaffte es, unser Durcheinander in ein noch größeres Chaos zu verwandeln.

      Plötzlich kam mir eine Idee.

      »Wollen wir Entdecker spielen?«, schlug ich Benno vor, um ihn davon abzuhalten, alles noch kurz und klein zu treten. Und weil ich so vielleicht endlich herausfinden konnte, woher diese seltsamen Düfte kamen, die sich über jeden Zentimeter des Hauses gelegt hatten. Ob sie irgendetwas mit den Geheimnissen zu tun hatten? Mir ging einfach nicht aus dem Kopf, wie Hanne darüber gesprochen hatte. Sie hatte ihre Stimme gedämpft, wie jemand, der einem etwas Verbotenes erzählt.

      »Hausentdecker?«

      »Au ja!« Benno war sofort Feuer und Flamme.

      »Dann los!« Ich verstellte meine Stimme, damit sie tief und schaurig klang. »Heute suchen und entdecken wir den geheimen Schatz der Villa Evie!«

      »Jaaa!« Benno hüpfte vor lauter Aufregung über ein neues Spiel hoch und runter.

      »Also gut.« Ich winkte ihn vom Flur durch die Küche. »Unsere Hausentdeckertour startet im Erdgeschoss!«

      Hinter der Küche lag das frühere Esszimmer. In Zukunft würde hier aber kein Esszimmer mehr sein, sondern Mas Arbeitszimmer. An den Wänden stapelten sich schon die endlosen Bücher und Aktenordner zum Thema Epochen, historische Stilelemente und anderem alten Dekokram.

      Ma freute sich riesig auf ihr erstes eigenes Büro und begrub den Esstisch unter ihren Pinseln, Schabern und Lappen. Ein ganzes Esszimmer brauchten wir eh nicht und wir vier an einem so langen Tisch beim Abendessen? Das konnte ich mir sowieso nicht vorstellen. Wir aßen zwar immer gemeinsam, darauf bestand besonders Pa, aber es war jedes Mal laut und wuselig und das ging am besten an unserem kleinen, runden Tisch. Pa hatte ihn in der Küche aufgebaut und genau da gehörte er auch hin. Manche Dinge durften sich einfach nicht verändern, weil sie einem dieses besondere Zuhausegefühl gaben.

      Ich zog Benno weiter in die Diele, die uns an der Treppe vorbei in den Salon führte. Der Raum war so groß wie drei normale Wohnzimmer zusammen. Unsere kleine Couch

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