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Duftapotheke?« Ich kicherte, als ich Mats’fassungsloses Gesicht sah. »Ach komm schon, guck nicht so. Was auch immer das gerade war, gefährlich sind ein paar Blümchen jetzt wirklich nicht.«

      Mats strich sich über die Stirn. »Vielleicht haben wir einfach nur Glück gehabt.« Er sah richtig mitgenommen aus.

      Ich versuchte, mich von seinem mulmigen Gefühl nicht anstecken zu lassen. »Du glaubst doch nicht wirklich an die Märchen vom alten Hexenmeister? Das ist Quatsch. Hier stehen ein paar Fläschchen mit lustigen Namen rum. Okay, das mit den Blumen war echt der Hammer, aber gefährlich? Komm schon!«

      Mats klappte das Notizbuch zu und hob einen seiner Mundwinkel in die Höhe. »Na ja, wenn du meinst …« Aber wirklich überzeugt klang er nicht. »Wir haben also eine Duftapotheke gefunden! Was auch immer das sein soll.«

      Benno hatte in der Zwischenzeit eins der unteren Regale mit den »Flüchtigen Düften« ausgeräumt und baute fröhlich einen Turm aus den Fläschchen. Wie eine Pyramide aus Bauklötzchen wackelten und schwankten die bunten Flakons aufeinander. Noch bevor ich etwas sagen oder tun konnte, setzte Benno einen viel zu großen auf die Turmspitze und brachte das gesamte kleine Bauwerk zum Einsturz. Der oberste Flakon knallte auf die Steinfliesen und zersprang in tausend Scherben.

      »Was machst du denn da?«, blaffte ich Benno an. »Muss man wirklich jede Sekunde auf dich aufpassen?«

      Mein kleiner Bruder sah mich mit Kulleraugen an und kniff die Lippen aufeinander. Ich folgte Bennos Blick, der zur Flüssigkeit zwischen den Scherben wanderte. Sie war hell, aber nicht so klar wie Wasser, stattdessen schillerte sie blaugrün wie Öl. Ein feiner Dunst in der gleichen blaugrünen Farbe hatte sich knapp über dem Boden gebildet und schwebte wolkig darüber. Langsam stieg immer mehr Nebel aus den Scherben auf. Erst nur ganz schwach, doch im nächsten Moment zog er dichter und immer dichter um Benno herum. Bald füllte er den gesamten Raum aus. Um uns herum schwebten farbige Dunstschwaden zur Decke hinauf.

      Ich kniete mich neben Benno und fing an, in den Scherben nach dem Etikett des Flakons zu suchen. Mittlerweile roch ich es auch.

      Es war ein schneidender Geruch, der mir in die Naselöcher stach und der sofort Bilder in meinem Kopf entstehen ließ: Eisgletscher, Schnee und Windböen auf Gebirgsspitzen. Dabei war ich in meinem ganzen Leben noch nie auf einem Gletscher gewesen.

      Ich hob das tropfende Etikett auf, von dem die Flüssigkeit die halbe Tinte gewaschen hatte. Aber ich erkannte noch genügend Buchstaben, um mir die verschwommenen zusammenzureimen: »Der Duft von Kälte«.

      Mats suchte nach einem Lappen oder Tuch, fand aber nichts, also zog er sich sein Sweatshirt aus und wischte die Flüssigkeit damit auf. Darunter hatte er immerhin noch ein T-Shirt an, worüber ich ganz erleichtert war. Benno räumte kleinlaut einen Flakon nach dem anderen zurück ins Regal. Zum Glück war nur einer von ihnen zersprungen und nicht alle. Wer weiß, welcher Gestank uns sonst benebelt hätte.

      »Lass mich mal lieber«, sagte ich und nahm Benno die Fläschchen aus der Hand. »Das hier ist wirklich nichts für kleine Jungs.«

      Benno setzte an zu protestieren, ließ es dann aber doch sein und nuschelte: »Ist nur aus Versehen passiert.«

      Mats grinste. »Na ja, wenn man kleine Türmchen aus Fläschchen stapelt, dann kann einem das natürlich aus Versehen passieren.« Er zwinkerte Benno zu und ich konnte fast hören, wie meinem Bruder ein Stein vom Herzen fiel.

      »Trotzdem«, meinte Mats und warf Benno einen strengeren Blick zu. »Hier unten fasst du nichts mehr an, klar? Wer weiß, welche Kräfte in diesen Flaschen stecken. Vielleicht sind die Dämpfe ja sogar giftig …«

      Erst nachdem Mats das ausgesprochen hatte, machte es auch bei mir Klick. Er hatte recht! Schneidende Dämpfe waren in der Regel nicht übermäßig gesund.

      Also stolperten wir auf direktem Weg und so schnell wir konnten aus der Duftapotheke.

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      9. Kapitel

      Ich hatte immer noch den beißenden Geruch in der Nase. Selbst als wir längst durch das gekippte Fenster aus dem Gewächshaus geklettert und wieder draußen an der frischen Luft waren. Mein Blick fiel auf Mats’ zusammengeknülltes Sweatshirt, mit dem er die Flüssigkeit aufgewischt hatte. Seltsam, aber daraus stiegen weiterhin Duftwolken auf.

      Wer bitte entwickelte so ein blödes Parfüm und gab ihm dann diesen albernen Namen? Wer benutzte überhaupt so was? Und wozu?

      Aber etwas anderes war noch viel seltsamer: Bevor wir in das Gewächshaus geschlichen waren, hatten sich zwar ein paar Sommerwölkchen vor die Sonne geschoben, aber jetzt hingen dichte graue Schleier über uns und verdunkelten den Himmel. Es fühlte sich an, als hätte hier draußen jemand das Licht ausgemacht. Dabei war es Juli und mitten am Tag. Außerdem hatte sich die Luft abgekühlt und alles fühlte sich plötzlich an wie im tiefsten Herbst. Dabei war doch Hochsommer!

      Auf unseren Armen standen die Haare senkrecht nach oben und wir beeilten uns, zurück ins Haus zu kommen. Mats entsorgte sein Sweatshirt in unserer Mülltonne. Die Duftwolken, die immer noch aus dem Stoff aufstiegen, waren keinem von uns so ganz geheuer.

      Niemand war zu Hause. Ma hatte sich heute Morgen mit einer endlos langen Einkaufsliste in den Baumarkt und Künstlerbedarfshandel aufgemacht. Die Renovierung der Villa Evie schluckte ihre gesamte Aufmerksamkeit. Aber ich wusste, dass das nur eine Phase war, die auch wieder aufhörte. Normalerweise dauerte es nie länger als ein oder zwei Wochen und Ma tauchte aus ihrem kaputten Museumskram auf und kehrte zurück in unser Familienleben. Dann hörte sie wieder zu, kochte uns leckere Mittagessen und war wieder ganz die Alte.

      Wenn es um etwas wie Arbeit ging, waren meine Eltern grundverschieden. Pa arbeitete zwar auch gern als Musiklehrer, aber das tat er nur in der Zeit, in der er in der Schule war. Kam er nach Hause, war er voll und ganz bei uns. Ein paar Ausnahmen waren die Tage, an denen er Klassenarbeiten korrigierte oder irgendwas vorbereitete. Aber das hielt sich bei Pa in Grenzen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er jemals mit seinen Gedanken irgendwo anders war, wenn man mit ihm reden wollte. Heute traf er sich allerdings trotz Ferien mit einem seiner zukünftigen Kollegen auf einen Kaffee in der Stadt. Wahrscheinlich war er doch nervöser wegen der neuen Schule, als er zugab.

      Das Haus war leer, dunkel und ziemlich kalt. Benno maulte, weil er Hunger hatte, also setzten wir uns an den Küchentisch und beschmierten ein paar Toastbrote mit Erdnussbutter. Ich ging zum Herd und setzte einen Topf Kakao auf. Während ich mir die Hände über der Gasflamme wärmte, dachte ich über den seltsamen Kälteeinbruch nach. Ich rührte die Milch um und bemerkte, dass die Fensterscheiben beschlugen. Ich stockte und schaute genauer hin. Da bildeten sich tatsächlich Eisblumen am Glas! Und dann, plötzlich und ohne Vorwarnung, ging es los. Ein Hagelschauer donnerte vom Himmel und knallte auf die Fensterbretter, auf denen Eiszapfen wuchsen und wuchsen.

      »Oh mein Gott! Was ist das?!« Ich drehte mich zu Mats und Benno, die am Küchentisch saßen und mitten im Kauen aufgehört hatten.

      Als wären wir selbst schockgefroren, starrten wir aus den Fenstern und sahen dem Unwetter draußen zu. Wir waren so fassungslos, dass wir erst gar nicht sahen, wie sich langsam eine Mütze, dann Haare und schließlich Augen am Küchenfenster hochschoben und zu uns hineinglotzten.

      War das Willem? Ja! Er sah mich mit einer Mischung aus Wut und Entsetzen an. Eine sehr lange Sekunde lang fixierte er mich. Neben mir kochte die Milch über und ich nahm schnell den Topf vom Herd. Als ich wieder zum Fenster sah, war er verschwunden.

      Ich wischte die tropfende Milch auf und fluchte. »Was will der hier?«

      »Wie? Wer?« Mats sah konzentriert nach draußen, allerdings durch ein anderes Fenster.

      Noch bevor mir eine Erklärung für Willems plötzliches Auftauchen einfiel, zuckte ich zusammen. Die Türglocke schrillte. Wie immer viel zu laut.

      »Ich! Ich geh, ich!«, rief Benno und lief aufgeregt zur Eingangstür, als stünde da draußen der Weihnachtsmann.

      »Warte!«, versuchte

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