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zu einer EU-konformen Flüchtlingspolitik zu bewegen, wäre dies wahrlich ein stolzer Preis.

      Andererseits ist Deutschland mit einem Bruttoinlandsprodukt von 3.386.000 Millionen das wirtschaftlich mit großem Abstand stärkste Land der Europäischen Union, gefolgt von England (2.393.692) und Frankreich (2.353.090) (20). Das heißt natürlich keinesfalls, dass es sich Deutschland mir nichts dir nichts erlauben kann, den Handel, mit allen EU-Mitgliedsstaaten, die die gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik verweigern, zu boykottieren.

      Man kann sich leicht ausrechnen, was es unser Land kosten würde, bedingungslos und gegenüber allen Ländern konsequent zu sein.

      Denkbar scheint jedoch, zunächst ein Exempel zu statuieren und lediglich ein oder zwei abtrünnige Länder zu sank-

      tionieren. Vielleicht ginge schon davon eine Signalwirkung aus, weil jedes Land, das die Flüchtlingsaufnahme verweigert, befürchten müsste, als nächstes boykottiert zu werden. Und weil viele der sich weigernden Ländern wirtschaftliche Probleme haben und sie demgemäß ein Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland schwer treffen würde. Ich verweise auf die oben angesprochene exorbitante Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland für Polen.

      Es wäre wünschenswert, dass Deutschland als stärkste Wirtschaftsmacht der EU hier eine Vorreiterrolle übernimmt. Andere Staaten können es sich kaum leisten.

      Trotz teils nachvollziehbarer Argumente ist ein EUinkonformes Verhalten einzelner Mitgliedsländer in der Flüchtlingsfrage nicht tolerierbar.

      Wer Mitglied in der Europäischen Union bleiben will, muss deren Regeln und Vorgaben akzeptieren und umsetzen.

      Im Spätsommer 2020 erhält die nicht enden wollende Diskussion über die kontinentale Verteilung der Flüchtlingsströme neue Nahrung. Anfang September gerät das griechische Flüchtlingslager Moria in Brand. Es befindet sich im Landesinneren der ostägäischen Insel Lesbos nahe der Ortschaft Moria in der Gemeinde Mytilini. In dem für 2.800 Personen konzipierten Lager leben zeitweilig 20.000 Menschen; es ist Europas größtes Flüchtlingslager Die Flammen breiten sich schnell aus in der provisorischen Flüchtlingsunterkunft auf der hellenischen Insel. Der Präsident der Feuerwehrgewerkschaft weiß zu berichten, dass das Camp "zu 99 Prozent abgebrannt" sei, das Staatsfernsehen zeigt Bilder von verkohlten Containerwohnungen und verbrannten Zelten rund um das Camp. Es gibt nach Angaben der Feuerwehr auf Lesbos weder Verletzte noch Tote. Mehrere Menschen ziehen sich leichte Rauchvergiftungen zu.

      Ob die Brände von Migranten oder Inselbewohnern gelegt wurden, bleibt vorerst unklar. Vorangegangen jedenfalls waren Unruhen unter den Migranten, weil das Lager nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtet der Einsatzleiter im Fernsehen. Die griechische Regierung spricht von Brand-

      stiftung und verstärkt die Sicherheitseinheiten auf der Insel. Wenige Tage nach dem verheerenden Brand nehmen die griechischen Sicherheitskräfte sechs mutmaßliche Brandstifter fest. Aus Kreisen der Polizei heißt es, es handele sich um junge Migranten. Afghanen, deren Asylanträge abgelehnt worden waren (21).

      Es war zu befürchten, dass das Lager eine tickende Zeitbombe ist. Wut staut sich dort auf, wo Perspektivlosigkeit herrscht. Und gleichzeitig hören die Migrationsbewegungen nicht auf. Auch dann nicht, wenn die Willkommenskultur, erst recht in Corona-Zeiten, zurückgefahren wird.

      Die Geschehnisse in Moria sind der sichtbare Ausdruck eines jahrelangen europäischen Politikversagens. Zudem eines solchen, welches vorherzusehen war. Das Resultat einer gescheiterten europäischen Grenz- und Asylpolitik, die einst mit dem EU-Türkei-Deal 2016 begann. Es ist seit Jahren klar, dass diese Politik scheitern muss, wenn sie nicht endlich als gesamteuropäische Aufgabe verstanden und auch umgesetzt wird.

      Als das Flüchtlingslager in Schutt und Asche liegt, rufen die Menschen vor Ort im Chor nach Angela Merkel.

      Und in unserem Land keimt die seit einem halben Jahr von der Corona-Krise in den Hintergrund gedrängte Frage nach der Verteilung der Flüchtlinge unmittelbar wieder auf.

      Den Menschen auf der griechischen Insel Lesbos, die selbst das Wenige, was Sie hatten, verloren haben, muss geholfen werden. Umgehend.

      Doch auch in dieser Notsituation lassen die europäischen Eitelkeiten eine Soforthilfe nicht zu. Während viele europäische Länder erst gar nicht daran denken, spontan Menschen aufzunehmen, formieren sich in Deutschland erneut zwei Lager: Die, die darauf insistieren, die Not leidenden Menschen aus humanitären Gründen aufzunehmen, egal, ob unsere europäischen Nachbarn gleiches tun oder auch nicht. Und jene, die vehement eine europäische Lösung fordern, um nicht durch die Aufnahme von Flüchtlingen in dieser Ausnahmesituation erneut Anreize für eine weitere unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland zu setzen.

      Die deutsche Bundesregierung muss sich ihrer Verantwortung stellen. Schließlich war sie maßgeblich beteiligt an der Wiederherstellung des Grenzregimes.

      Und nicht zuletzt hat sie gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne. Die beste Voraussetzung, um endlich eine kontinentale Lösung auf den Weg zu bringen.

      Dafür jedoch erscheint ein anderes Gebaren Deutschlands unumgänglich. Denn die EU-Partner sind keinesfalls einverstanden mit der Flüchtlingspolitik made in Germany. „Viele unserer Nachbarn sagen mir: Warum sollen wir uns beteiligen, wenn die Deutschen immer wieder als Moral-Weltmeister auftreten und uns damit unter Druck setzen“, sagt Horst Seehofer.

      Manche Partner aus der Europäischen Union würden sich an 2015 erinnert fühlen, als Deutschland zuerst die Grenzen öffnete und erst dann fragte, wer noch Migranten aufnimmt. „Diese Reihenfolge schätzen viele EU-Staaten nicht“. Nach dem Brandanschlag in Moria dasselbe Szenario: Erst entscheidet Deutschland alleine und dann sucht es Mitstreiter. Angesichts der Situation auf der griechischen Insel Lesbos erwartet der Bundesinnenminister jetzt einen handfesten Vorschlag, damit „wir bis Ende des Jahres eine politische Verständigung über die europäische Asylpolitik haben“ (22).

      Es muss ein klarer Kurs gefahren werden – nicht zuletzt, um die einheimische Bevölkerung nicht zusätzlich zu verwirren, die sich zurecht fragt: „Warum nehmen wir die auf und andere nicht?“.

       07

       Ist Flüchtlingspolitik ein staatlichesMachtinstrument?

      Im "Neo Magazin Royale" vom 31. März 2016 trägt der deutsche Satiriker Jan Böhmermann unter dem Titel "Schmähkritik" ein Gedicht vor, in welchem dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan verschiedene potenziell beleidigende Attribute und Tätigkeiten zugeschrieben werden.

      Unter anderem verwendet Böhmermann Klischees über Türken mit rassistischen Anklängen ("Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner"), Pennälerhumor-Ausdrücke ("Die dumme Sau hat Schrumpelklöten"), persönliche Verunglimpfungen ("Sein Kopf so leer wie seine Eier"), und bezieht sich auf verrufene politische Praktiken ("Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken, Kurden treten, Christen hauen und dabei Kinderpornos schauen") (23).

      Man mag vom türkischen Staatspräsidenten halten was man will – Böhmermanns Poem ist nach meinem Empfinden weder witzig noch smart, sondern einfach nur dumm und geschmacklos. Billig. Erbärmlich. Wie man über ein solches „Gedicht“ lachen, nein, auch nur schmunzeln kann, erschließt sich mir nicht. Allerdings habe ich mit Satire auch wenig am Hut. Das war zu Zeiten eines Dieter Hildebrandt einmal anders. Komiker vom Format eines Loriot jedenfalls wälzen sich wahrscheinlich mit Schaudern in ihren Gräbern.

      Wie nicht anders zu erwarten, reagiert der türkische Präsident Recep Tayip Erdogan prompt auf die Verunglimpfung aus Deutschland und droht Böhmermann mit Strafverfolgung. Die deutsche Bundesregierung entschließt sich, die Strafverfolgung gegen Jan Böhmermann zuzulassen.

      "Im Ergebnis wird die Bundesregierung im vorliegenden Fall die Ermächtigung erteilen", so der Wortlaut von Angela Merkels' Statement.

      Im Oktober des gleichen Jahres werden Journalisten der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ verhaftet. Auch diesbezüglich hört

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