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Celeste - Gott und der König. Sabrina Kiefner
Читать онлайн.Название Celeste - Gott und der König
Год выпуска 0
isbn 9783347121324
Автор произведения Sabrina Kiefner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия Celeste
Издательство Readbox publishing GmbH
Wegen der großen Distanz zu meiner älteren Schwester, verbrachte ich viel Zeit mit meinen Brüdern. Sie teilten meine Vorliebe für Tiere, Wälder und frische Luft. Ihre Gesprächsthemen schienen mir unendlich viel interessanter als die Konversation meiner Schwestern mit ihren Freundinnen. Unser wesentlicher Altersunterschied verstärkte unsere Distanz noch. Jeanne vermählte sich mit einem Mitglied der angesehenen Familie Sapinaud, deren weitverzweigte Dynastie den Royalisten zahlreiche Kämpfer stellte, von denen zwei zu renommierten Chefs ernannt wurden. Jeannes Gemahl war bereits vor der Revolution verstorben. Sein Bruder, der Ritter Sapinaud de la Verrie, kommandierte die Armee der Mitte; Sie werden noch etliche Male von ihm hören.
Als Jeanne Witwe wurde, war ihre jüngste Tochter sechzehn Jahre alt. Meine Schwester zog sich in ihr Schloss zurück und entschied, nicht wieder zu heiraten. Ich verstand diesen Entschluss nicht: an ihrer Stelle hätte ich die Lust am Leben verloren. Für mich ist ein Leben ohne Liebe nicht lebenswert. Zu Beginn des Krieges versuchte Jeanne alles Erdenkliche, um mich von meiner Teilnahme an den ersten Kämpfen der Konterrevolution abzuhalten. Sie schickte mir lange Briefe, in denen sie erläuterte, dass eine Dame aus guter Familie auf den Schlachtfeldern nichts zu suchen hatte. Während ich in der königlichen Armee unsere Religion, den rechtmäßigen Herrscher und unser Land verteidigte, entschied sie sich für ein Leben im Verborgenen. Im folgenden erlaubte meine Schwester es sich, die Strategien bestimmter Generäle zu verurteilen; ihre Kritik betraf vor allem den General Charette. Dabei machte sie sich keinerlei Gedanken über die Ursachen, die unseren Chef zu seinen Entscheidungen bewegt hatten. Wir hatten seit zwanzig Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt, als ich von ihrem Tod erfuhr. Und doch fehlte sie mir und ich litt unter der Distanz, die sich zwischen uns aufgebaut hatte. Als mir ihre posthum erschienene Erzählung in die Hände fiel, wurde mir übel. Ich las sie mit Enttäuschung und stellte fest, dass einzig der Verleger des Werkes meinen Namen auf dem Einband erwähnt hatte, vermutlich um seine Verkaufschancen zu erhöhen. Blutsverwandtschaft kann man sich eben nicht aussuchen!“
Die alte Dame seufzt, ihre Finger trommeln nervös auf die Oberfläche des Eichentischs. Mit leiser Stimme fügt sie hinzu: „Diese vertraulichen Angelegenheiten sind nicht für meine Biograhie bestimmt, aber sie werden Ihnen zweifellos helfen, den Lauf meines Lebens besser zu verstehen.“
„Ja, ich kann gut nachempfinden, wie schwierig es sein muss, wenn sich Verwandte wegen der Entscheidungen, die das Leben von uns verlangt, von uns distanzieren. Ich hatte selbst nicht das Glück, in einer großen Familie aufzuwachsen..“
„Das Leben ist manchmal voller Reue, nicht wahr?“, antwortet Celeste. „Ich schrieb meiner Schwester, erhielt jedoch keine Antwort auf meine Briefe. Also las ich ihre Memoiren und litt mit ihr unter den Bürden, die ihr auferlegt wurden. Diese Lektüre nahm mir all die Bitterkeit, die ich Jeanne gegenüber empfunden hatte und man könnte behaupten, dass ihre Geschichte uns letztendlich versöhnt hat.“
Die zwei Frauen verstummen, jede in ihre eigenen Gedanken versunken, während ihre Blicke auf den schnurgeraden Reihen des Gemüsegartens ruhen, bis Aurore ein leises Schnarchen vernimmt. Sie steht behutsam auf und geht auf Zehenspitzen in ihre Wohnräume.
Dort will sie den Brief an ihren Verlobten zu Ende schreiben; sie hat nicht die geringste Lust auf einen Stadtrundgang in der flirrenden Hitze des Nachmittags. Sie setzt an die schwungvoll und gleichmäßig geschriebenen Sätze an, die die Hälfte des Briefpapiers bedecken, findet jedoch nicht die richtigen Worte; ihre Feder scheint steckenzubleiben. Aurore öffnet ein jungfräuliches Notizheft und beginnt damit, ein erstes Kapitel ins Reine zu schreiben, das sie Von der Kindheit bis zur Jugend nennt. Sie fühlt sich von einer Art Fieber befallen und voller Tatendrang. Eine unwiderstehliche Lust, etwas Neues zu schaffen hat von ihr Besitz ergriffen, und sei es nur, um eine Spur in diesem Leben zu hinterlassen, das so schnell zu vergehen scheint.
IV
Die Hochzeit meiner Schwester Marie-Adelaide war ein wichtiges Ereignis in den verschlafenen Dörfern des Loire-Tals. Zu dieser Zeit durften Mädchen erst im Alter von achtzehn Jahren ausgeschnittene Kleider tragen; ich war bereits ein Jahr älter! Die Zeiten haben sich geändert wie die Gewohnheiten, doch wie ich glaube, nicht unbedingt zum Vorteil der Frauen. Das Hochzeitsmahl war oft eine Stätte der Verhandlungen, bei denen neue Bande geknüpft wurden. Kandidaten wurden ausgesondert, unter die Lupe genommen und anschließend ausgiebig kommentiert. Entlang der langen Tischreihen beschlossen die Familien, welcher Bräutigam unter den Gästen für welche hereitsfähige Tochter in Frage käme.
Dies war der Fall für meine Patentante, Julie. Meine Schwester wurde dem Ritter Louis-Félicité de Jousbert de la Roche-Tremer versprochen. Er gehörte zur Gemeinde von Luzon*, wo die beiden planten, sich am 6. Juli 1775 das Jawort zu geben. Ich war inzwischen volljährig und würde diesmal an allen Tänzen und Festlichkeiten der Heirat teilnehmen dürfen! Maman nähte mir ein wunderschönes Kleid aus scharlachroter Seide. Mit einundzwanzig Jahren hatte ich es gelernt, nicht mehr beim kleinsten Kompliment eines Bewunderers zu erröten. Ich freute mich regelrecht darauf, im Mittelpunkt zu stehen, denn ich war an der Reihe, für das nächste Bündnis in Frage zu kommen. Einige Wochen später bereiteten wir die Einladungen für die Hochzeit meiner Schwester vor, als meine Mutter sich über Schwindelanfälle beklagte und kurz darauf zusammenbrach. Ihre körperlichen Leiden und der Überdruss, der sie schon so lange bedrückte, hatten ihr Antlitz ausgehöhlt – sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Ursachen des Schwächeanfalls lagen vermutlich in ihrem Schlafmangel und der Nahrungsverweigerung, die sie sich zur Gewohnheit gemacht hatte. Mein Vater sagte traurig zu mir, dass sie aus Kummer sterben wollte – er war ein klardenkender Mensch. Gibt es etwas Schlimmeres für eine Mutter, als ihre Kinder zu verlieren?
* * *
Der Tod Mamans, so vorhersehbar er auch war, quälte meinen Vater so sehr, dass er ihr Verhalten nachahmte; er zog sich immer mehr zurück und erschien nicht mehr zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Nach einigen Wochen des Leidens folgte er ihr nach. Er hatte sich nicht an ein Leben ohne meine Mutter gewöhnen wollen. Julies Hochzeit fand im kleinen Kreise und nur wenige Monate nach der Beerdigung unserer geliebten Eltern statt.
Auf dem denkwürdigen Fest wurden mir so viele Honoratioren und Standespersonen vorgestellt, dass ich die meisten langen und komplizierten Namen trotz aller Bemühungen sofort wieder vergaß. So wusste ich nicht, wer der junge Reitmeister war, der unter dem kritischen Blick des alten Marquart eine atemberaubende Vorführung präsentierte. Er zog bewundernde Blicke auf sich während des Sektempfangs, bei dem sich die Notabeln* von Stadt und Kirche unter die Gäste mischten.
Der junge Mann bediente sich einer Art Sattel, wie ich ihn nie zuvor gesehen hatte. Am Vorderzwiesel war eine Eisenstange angebracht, an der sich der junge Reiter festhielt, als er sich aufschwang und im Kniefall auf seinem galoppierenden Pferdchen balancierte. Er fand sein Gleichgewicht in Lederschlaufen, die ihm als Steigbügel dienten und präsentierte die unglaublichsten akrobatischen Übungen, die vom Publikum ausgiebig beklatscht wurden. Er ließ den Kopf nach unten hängen, streckte die Beine in die Luft und verharrte lange in dieser unbequemen Haltung, bevor er plötzlich unter dem Bauch des Pferdes verschwand und wir alle den Atem anhielten. Dann zog er sich geschickt auf der anderen Seite seines Reittiers hoch und setzte sich in den Damensitz, bevor er eine letzte Runde im Sattel stehend darbot. Sein feuriges Pferdchen raste nach wie vor, ganz ohne offensichtliche Hilfen, und zeigte nicht die kleinste Ermüdungserscheinung!
Marquart, der meine Bewunderung für das erstaunliche Spektakel bemerkte, flüsterte mir zu: „Das ist die Reitkunst der Kosaken! Sie sind ein sehr altes Reitervolk der ungarischen Steppen – die sogenannte Puszta.“
Der Akrobat war nicht sehr hochgewachsen, doch von erstaunlicher Behändigkeit. Außerdem schien er in perfekter Harmonie mit seinem Pferd zu sein, das erst jetzt wieder in einen passageähnlichen Trab zurückfiel. Es gab großzügigen Applaus und sein triumphierendes Lächeln brannte sich in meine Erinnerung.
Ich wand mich an den Stallmeister: