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da in einem solchen Szenario kaum investiert wird und Geld in einem Umfeld sinkender Preise die beste Anlageform ist. Damit beantwortet sich auch Frage Nummer 3 von selbst: Es gibt im Kapitalismus nichts Schlimmeres als eine über die Menge der neu erschaffenen Kredite hinausgehende Kredittilgung, da die Schulden nominal fixiert sind, während die Bewertung der unter den Schulden liegenden Güter variabel ist. So wie sich also ein (inflationärer) Wirtschaftsboom aus sich selbst heraus speist – Konsum, Löhne, Beschäftigungsquote, das Preisniveau und damit die Bewertung der Pfänder steigen in einem sich selbst verstärkenden Regelkreis –, so wirkt auch die Kehrseite des inflationären Booms, der deflationäre Bust, autokatalytisch. Nun haben kleine Einbrüche im Aufwärtstrend der Geld- bzw. Kreditmengen nicht sofort eine deflationäre Depression zur Folge. Meist kommt es zu einer rezessiven Kreditkontraktion, die zu einem Crash in einer ganzen Branche führt, der einen neuen, leicht niedrigeren Geld- bzw. Kreditmenge-Level implementiert, auf dem neu aufgeschuldet werden kann. Bricht aber der Aufwärtstrend grundsätzlich und es werden über einen längeren Zeitraum weniger Kredite aufgenommen als getilgt, ist eine deflationäre Depression unvermeidlich, solange der Staat nicht als Nachschuldner einspringt. Zur besseren Orientierung für den Leser im nachfolgenden Text dieses Kapitels will ich bereits an dieser Stelle einen Teil des Jargons meiner Zyklen-Theorie erläutern, auch wenn die tiefere Bedeutung dieser Begriffe erst in chronologisch späteren Kapiteln ausführlich dargelegt wird: Unter dem »Machtzyklus« verstehe ich den Zeitpunkt von der ersten Unterwerfung eines Bauernstammes durch einen Hirtenstamm zur ökonomischen Ausbeutung, der bis heute andauert und spätestens 5000 v. Chr. startete. Der Machtzyklus ist demnach ein Teil des »patriarchalischen Zyklus« (ab ca. 7000 v. Chr.), der wiederum ein Teil des Neolithikums ist (spätestens 10.000 v. Chr.). Der Machtzyklus speist sich aus den aufsteigenden und absterbenden Kulturen, deren Lebensdauer vom Zeitpunkt echter Staatspolitik1 bis zur hochzivilisierten Lebenshaltung etwa 1000 Jahre beträgt. Danach geht ein 1000-jähriger »Kulturzyklus« in eine jahrzehnte- oder jahrhundertelange Desintegration über, an deren Ende primitive, entwicklungsunfähige Volksmassen stehen, die sich zu Stämmen zurückentwickeln und erneut der Unterwerfung für einen weiteren Kulturzyklus harren. Auf die innere chronologische Struktur eines Kulturzyklus werden wir später im Detail eingehen. Im folgenden Kapitel konzentrieren wir uns auf den großen kapitalistischen Zyklus innerhalb des abendländischen Kulturzyklus, dessen Anfänge sich in Europa zwar bereits zwischen dem 13. und 15. Jh. verorten lassen, der aber erst mit der Industriellen Revolution 1750 seinen wirklichen Durchbruch hatte. Und dieser große kapitalistische Zyklus ist gekennzeichnet durch wirtschaftliche Auf- und Abschwünge, die ich als »debitistische Durchläufe« oder »debitistische Zyklen« bezeichne, die im Abendland zwischen 50 und 70 Jahre andauern, in weniger technologisierten Kulturen (entschleunigter Kapitalismus durch wesentlich längere Kommunikations- und Transportwege) aber ein Vielfaches davon betragen können. Der letzte debitistische Durchlauf fällt dabei mit dem Ende eines Kulturzyklus zusammen und wird so lange gedehnt, dass kein klares Ende definierbar ist.

      Halten wir nach diesem kleinen Einschub fest, dass mit jeder Neukreditaufnahme auch ein neuer Level an Schulden auf der einen Seite und Guthaben auf der anderen Seite etabliert wird, der nicht mehr signifikant unterschritten werden darf. Deshalb müssen die Schulden im Kapitalismus innerhalb eines engen Trendkanals ständig wachsen und die Realität verifiziert diese These in jeder Hinsicht. Die Folge davon kann natürlich nur sein, dass der Kapitalismus die Schere zwischen Arm und Reich unaufhörlich öffnet, da die Schulden der Unter- und Mittelschicht und der Unternehmen den Guthaben der Oberschicht entsprechen. Ebenso konzentriert sich das unbelastete Eigentum zur potentiellen Kreditschaffung in der Oberschicht, das deshalb bei den Leistungsträgern des Wirtschaftssystems rar wird. Der Leistungsdruck nimmt also in den unteren Schichten und den verschuldeten Unternehmen sukzessive zu, verunmöglicht im Volk nach und nach die Schaffung eines kleinbürgerlichen Glücks und hat am Ende nur noch den Sinn, Erträge für die Oberschicht zu erwirtschaften, deren Wertpapiere bedient werden und im Wert steigen sollen (Entkopplung von Realwirtschaft und Finanzwirtschaft). Ohne eine breit gestreute Eigentumsverteilung und die Schaffung von Vermögen durch die Leistungsträger zur weiteren Kreditgenerierung endet ein debitischer Durchlauf in sich selbst. Bricht nämlich die Netto-Neuverschuldung dauerhaft ein, ist ein debitistischer Zyklus vollendet und löst sich auf in Bürgerkriege, internationale Kriege, bitterster Armut, Totalitarismus und schließlich einer Neuordnung der Dinge. Diese Durchläufe kennt man bereits seit der frühdynastischen Zeit Mesopotamiens (2900 – 2340 v. Chr.), als es gegen Ende des Kulturzyklus der Sumerer immer wieder zu staatlich veranlassten Schuldenerlassen kam, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Ein Konzept, das natürlich nur dann Sinn macht, wenn der Großteil der Menschen die Schulden direkt beim Staat hat (via Tempelbank) und die Schuldenerlasse nicht mit periodischer Regelmäßigkeit kommen (sondern nur, wenn bereits die Krise eingetreten ist). Würden heute periodische Schuldenerlasse beschlossen, wäre die Rechtssicherheit für Gläubiger dahin, die Geschäftsbanken sofort pleite und der Markt würde sich sofort auf die neue Regelung einstellen (z.B. in Form von horrend steigenden Zinsen, je näher das nächste »Jubeljahr« rückt). Schuldenerlasse sind also nicht irgendeiner Großzügigkeit geschuldet, sondern nichts anderes als eine Währungsreform, der bereits schwerste Krisen und katastrophale Schicksale vorausgingen. Dass der Kapitalismus stets in die gleiche Katastrophe mündet, ist natürlich kaum jemandem in der Geschichte des Kapitalismus entgangen. Bereits Aristoteles beklagte die angebliche Widernatürlichkeit des Zinses und heute sind es vor allem die Freiwirte1, die mit ihren Konzepten einer »umlaufgesicherten Währung« den Fehler des Systems auszumerzen versuchen. Allen Kritikern des gegenwärtigen Geldsystems, angefangen bei Aristoteles, ist allerdings gemein, dass sie nicht begreifen, was Geld eigentlich ist und deshalb dem Tauschparadigma anhängen. Expemplarisch will ich hierfür die Freiwirte hervorheben. Sie wollen das Sparen von Geld durch eine Wertminderung desselben über die Zeit hinweg bestrafen, z.B. indem man auf jeden Geldschein (z.B. 100-€-Schein) Monat für Monat eine Marke klebt (z.B. im Wert von 50 Cent), um den Wert zu erhalten, d.h. Geldhaltung soll auch Geld kosten – das Geld soll sozusagen »verderben« wie eine Ware. Dabei erklären die Freiwirte nicht, woher der ursprüngliche 100-€-Schein kommt, da er in ihrer Vorstellung ohne Schulden ensteht und damit schon per se wertlos ist (»Nettogeld«). Sie erklären ebenso nicht, woher die Marken kommen: Sind sie Nettogeld, d.h. werden sie nicht zur Schuldentilgung abgefordert? Dann sind sie wertlos und befeuern die Hyperinflation des ohnehin schon wertlosen Freigeldes. Sind sie aber Ergebnis eines Gläubiger-Schuldner-Kontrakts, dann befeuern sie das deflationäre Potential, weil Menschen Kredit aufnehmen müssten, damit andere ihr Guthaben wertstabil halten könnten – ein groteske Vorstellung, mit ebenso grotesken Implikationen für das Bankgeschäft und die Negativzinspolitik in einem Freigeldsystem. Dass ein derartiges »Schwundgeld« natürlich mit einer massiven Hortung von Sachwerten einhergehen würde, ist auch dem Begründer der Freiwirtschaftslehre, Silvio Gesell, nicht entgangen, weshalb er der Hortung von Grund und Boden in seinem Theoriemodell durch eine »Bodenreform« beizukommen versuchte. Diese beinhaltete Pachtzahlungen an den Staat als Nutzungsgebühr, was besonders skurril ist, weil mit dieser Pacht der positive Zins, den Gesell zu bekämpfen versuchte, plötzlich wieder die kapitalistische Bühne betritt. Pachtzahlungen sind nichts anderes als Zinsen (»Pachtzins«); vom primären Zins, dem »Zinnß«, der Steuerzahlung an den Staat, ganz zu schweigen.2 Darüber hinaus – und das war auch der Grund, weshalb ich die Freiwirte dem debitistischen Denkmodell gegenüberstellte – ist eine Erhöhung der sogenannten »Umlaufgeschwindigkeit« keine Lösung für das systemimmanente Problem des Debitismus, so wie diese überhaupt eine der am meisten überschätzten Phrasen der etablierten Lehre ist. Was passiert, wenn sich die Umlaufgeschwindigkeit einer Währung erhöht? Bleibt die Nettoneuverschuldung aus, dann werden in der Zwischenzeit Kredite getilgt. Jeder Nachfrage nach Produkten auf der einen Seite, durch eine Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit, stehen Fälligkeiten der Kredite gegenüber, durch die das Geld erst erschaffen wurde. Wo also auf der einen Seite Produkte nachgefragt werden und sich deren Preis erhöht, werden auf der anderen Seite Kredite getilgt, was Geld vernichtet und die Nachfrage wieder abwürgt. Das Missverständnis, dass eine signifikante Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes die Ursache für Hyperinflationen ist, kommt einerseits daher, dass die Neoklassiker Geld wie eine Ware behandeln, d.h. seinen Wert ebenso durch Angebot und Nachfrage ausdrücken wollen wie bei den Dingen, die man damit kauft. Und andererseits kommt es aus der Beobachtung, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit

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