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mir vor, als würde es immer weiter weg sein. Ich befinde mich gerade so in der Mitte der Bahn und merke, dass mir das Atmen nicht mehr so einfach fällt. Ich versuche, weiterhin regelmäßig ein und aus zu atmen, und schaffe es tatsächlich bis zum Ende. Das Atmen gelingt mir ziemlich schwer.

      Ich lege mich hin, meine Beine halten mich nicht mehr. Ich liege da, für ein, zwei Minuten und bin dabei, mich wieder zu beruhigen. Langsam kann ich wieder normal atmen.

      „Yasmin?“, höre ich Yails Stimme. Er setzt sich neben mich.

      Als ich aufstehen möchte, um meine beiden noch übrigen Runden zu beenden, hält Yail mich fest.

      „Bleib liegen, ich übernehme das für dich“, sagte er.

      Er schafft es allerdings auch nicht, aufzustehen, denn um uns herum haben sich alle versammelt. Oh nein, bitte nicht auch noch das. Das Kichern beginnt und ich weiß nicht, wie viele Kommentare wir uns anhören mussten. Ein Kommentar, der uns beide zum Entschluss gebracht hat, dass es reicht, ist der folgende: „Oh wie süß, Yail und Yasmin. “

      Erst habe ich wirklich nicht glauben wollen, dass irgendwer das gesagt hat, ich meine, wie dumm kann man bitte sein? Ich weiß, in diesem Alter haben Mädchen nicht so viel mit Jungs zu tun, aber man muss es ja nicht gleich übertreiben. Yail schaut kurz zu mir und steht dann auf. Ich weiß, dass es soweit ist. Jetzt wird das Geheimnis gelüftet, das wir seit Jahren versuchen zu verheimlichen.

      Ich mache kurz meine Augen zu und wieder auf. Warum haben wir das überhaupt so lange verheimlicht? Im Nachhinein finde ich es irgendwie sehr harmlos. Als Yail seinen Mund öffnet, versucht die Lehrerin sich einzumi-schen, er fängt aber trotzdem an zu reden.

      „Yasmin und ich sind Milchgeschwister“, sagt er, ziemlich laut.

      Okay, das war’s? Ist es jetzt endgültig vorbei? Langsam entfernen sich alle wieder, zurück bleiben Yail, ich und unsere Lehrerin. Sie schaut uns verwirrt an, als würde sie noch eine Bestätigung erwarten. Ich nicke einfach nur. Erst jetzt realisiert sie, dass ich auf dem Boden liege. Sie setzt sich ebenfalls zu uns und fragt mich, wie es mir geht.

      Es ist die letzte Stunde heute und wir sitzen im Klassenzimmer. Wir haben Kunst. Ich mache die ganze Stunde lang nichts und denke nur nach. Es ist jetzt draußen. Ich glaube, viele verstehen jetzt nicht, warum wir das zu einem Geheimnis gemacht haben und vielleicht wissen manche nicht mal, was das ist, deshalb beginne ich ganz von vorne.

      Milchbrüderschaft ist bei uns ziemlich verbreitet, Milchgeschwister wird man dadurch, dass eine Mutter ein anderes Kind stillt. In unserem Fall hat meine Mutter Yail gestillt. Für Milchgeschwister gelten dieselben Regeln wie für leibliche Geschwister.

      Das machen Eltern, die zum Beispiel ihre Familie vergrößern möchten. Unsere Eltern haben an etwas anderes gedacht. Sie wollten nicht, dass Yail und ich später, wenn wir älter sind, Schwierigkeiten haben. Beispielsweise wenn ich später ein Kopftuch tragen möchte, habe ich dann keine Schwierigkeiten mehr.

      Alles scheint bis jetzt gut zu sein, und bis jetzt kann immer noch keiner nachvollziehen, warum wir das verheimlicht haben. Es ist nur, dass Yail und ich verschiedenen Religionen angehören. Milchgeschwister aus verschiede-nen Religionsgruppen sind nichts Verbotenes, aber es ist ziemlich ungewohnt. Und das ist auch alles.

      Unsere Eltern wollten nur nicht, dass wir das ständig erklären müssen, weil es eben etwas Neues ist. Aber jetzt bin ich sehr froh, dass es raus ist und bin sehr stolz darauf. Yail ist nicht nur mein bester Freund, sondern auch mein Bruder. Wer weiß, vielleicht können wir zwei dazu beitragen, dass solche Fälle häufiger vorkommen.

      Hier leben zwar alle gemeinsam, es gibt aber immer noch einige Dinge, die nur innerhalb der eigenen Religion gemacht werden.

      Nach der Tahiat al Alam laufen Yail und ich sehr glücklich nach Hause. Wir sind wirklich unglaublich erleichtert, dass es vorbei ist.

      Auch der restliche Tag läuft schön ab. Am Abend gehen wir alle zusammen noch in ein Café. Wir wohnen in Al Salhia, also im Zentrum von Damaskus. Abends gehen wir oft noch ein bisschen raus, um irgendwas zu trinken oder zu spazieren.

      Auch Yail und ich gehen uns ab und zu einen Milchshake holen, wie gesagt, wir wohnen im Zentrum und um uns herum ist alles verteilt, deshalb können wir auch alleine überall hin.

      821.10.2010

      Auch heute ist wieder ein Tag von vielen, leider wieder ein Donnerstag. Ich habe irgendwie schon im Voraus eine Vorstellung, wie der Tag ablaufen wird.

      Erst werden wir eine Stunde Arabisch haben, die ganz ruhig sein wird. Wir werden die Hausaufgabe besprechen und dann noch einige Aufgaben als Vorbereitung auf die Probe machen.

      Dann haben wir Mathe und da werden wir heute eine Probe schreiben, dann ist die Stunde zu Ende und dann kommt das Schlimmste: Doppelstun-de Sport. Da möchte ich nicht mal dran denken, wie das ablaufen könnte, ich lass es lieber auf mich zukommen.

      In der letzten Stunde haben wir noch Kunst, da werden wir in Ruhe malen können. Nach der Tahiat Al Alam geht es dann auch schon nach Hause und in das Wochenende.

      Wir haben jetzt die erste Sportstunde und bis jetzt ist tatsächlich alles genau so abgelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe.

      Die Sportstunde beginnt relativ harmlos, wir spielen nur Teamsports, was bedeutet, dass ich nicht so viel rennen muss. Doch meine Freude hält nicht bis zum Ende der beiden Stunden, denn am Ende sollen wir wieder ein richtig dummes Spiel spielen.

      Ich habe ehrlich gesagt nicht wirklich den Regeln zugehört, weil ich viel zu viele Sorgen wieder habe. Diesmal muss ich nicht nur rennen, sondern habe auch noch eine andere ‚Qual‘ vor mir.

      Wir müssen leider die Teams selbst einteilen. Zwei Leute werden ausgesucht, um die Mannschaften zu wählen, leider ist Yail diesmal nicht dabei.

      Viele wurden schon gewählt und es bleiben nur noch ein paar übrig, natürlich auch ich. Auch die paar anderen, die mit mir noch übrig waren, wurden jetzt gewählt und mal wieder stehe ich als Letzte da und komme somit ungewollt in ein Team, das mich gar nicht wollte.

      Vielleicht klingt das nicht nachvollziehbar, aber man kann mich erst verstehen, wenn man das selbst ständig aushalten muss. Irgendwie kann ich das schon verstehen, denn ich bin keine Spielerin, die man im Team braucht oder die irgendetwas Außergewöhnliches für das Team leistet, aber ich kann ja auch nichts dafür.

      Da ich sowieso ungewollt im Team bin, renne ich nicht besonders viel und schade auch nicht meiner Gesundheit, um dem Team zu gefallen. Ich versuche einfach nur den Rest der Stunde zu überstehen, so lang kann sie nicht mehr sein.

      Die Kunststunde findet jetzt auch ihr Ende und wir versammeln uns auf dem Hof. Es dauert ein paar Minuten, bis alle zusammengekommen und ruhig sind.

      Nach der Tahiat al Alam laufen wir auch direkt nach Hause. Unser heutiges Gespräch ist über meinen kommenden Geburtstag. Ich habe noch keine Ahnung, was ich von meinen Eltern bekommen werde, aber Yail soll schon etwas haben.

      929.10.2010

      Ich wache auch heute ziemlich früh auf. Ja, ich bin acht Jahre alt. Eigentlich ist es schon voll viel, ich meine acht Jahre, seit acht Jahren lebe ich auf dieser Welt, schon krass, findet ihr nicht?

      Naja ist ja auch egal, es ist ja schließlich so wie es ist. Was richtig cool ist, ist, dass heute Freitag ist, was bedeutet, dass ich keine Schule habe. Und es gibt eine weitere Sache, die super ist.

      Ich habe vor ein paar Minuten erfahren, was meine Eltern heute mit mir vorhaben. Wir werden ins Happy Land fahren, und zwar mit Yails Familie. Das Happy Land ist ein Freizeitpark hier bei uns in Damaskus. Ich freue mich schon sehr darauf!

      Es ist schon nach ein Uhr und wir sitzen alle um den Esstisch. Mit wir meine ich mal wieder Yail, seine Eltern und Kristina, seine Schwester, nur mein Vater fehlt. Er ist beim Freitagsgebet in der Moschee, aber eigentlich müsste er schon längst zurück sein.

      Meine Mutter unterhält sich mit Onkel Phillip und Tante Maria, während Yail und seine Schwester irgendein Problem lösen. Ich kann ja mal beschreiben,

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