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konnten. Wir einigten uns darauf, dass Torschüsse in den oberen Teil nicht gewertet werden sollten. Das führte dazu, dass der Torwart recht oft ärgerlich, aber manchmal auch spitzfindig „zu hoch!“ rief, vor allem, wenn er nicht gut drauf war. Da es keinen festen Torwart gab, musste er nach einer Weile wieder ins Feld und bekam das Gleiche zu hören. Es war ein flottes Hin und Her, manchmal spielten wir nur zu dritt mit einem Torwart, das andere Mal kamen bis zu zwölf Spieler zusammen.

      Die Anwohner, vor allem die Väter, fühlten sich nicht gestört. Die Ballkunst der Kleinen bestaunend, manchmal anfeuernd, standen sie auf den Balkonen oder an den offenen Fenstern. Die Eltern schienen zudem froh, ihre Zöglinge in der Nähe und damit unter Aufsicht zu wissen. Erst Jahre später waren Stunden der Ruhe vorgeschrieben und laute Spiele vor dem Haus generell verboten. Fußballspiele tagsüber waren dann mit einem gewissen Risiko verbunden: Weniger, weil die Rasenqualität unter unseren kleinen Füßen gelitten hätte, vielmehr war Fußballspielen laut Hausordnung verboten. In unregelmäßigen Abständen kam der Hausmeister Rotzinger vorbei. Meistens tauchte er wie aus dem Nichts auf, griff sich unseren Ball und versuchte, einen von uns an den Ohren zu ziehen. Der Ball war dann weg. Erschien Rotzinger zu oft, richteten wir eine Warnvorrichtung ein: Einer musste sich für jeweils eine halbe Stunde an die Durchfahrtstraße stellen und Ausschau halten. Der Ausruf „Der Rotzinger kommt!“ bewirkte etwa das Gleiche, wie wenn der Erdmännchen-Wächter einen gellenden Warnpfiff ausstößt und die gesamte Sippe in irgendwelchen Eingängen verschwindet. Der als nächster dran war, sollte sich den Ball schnappen. Das klappte leider nicht immer. Rotzinger nahm ihn mit. Viel Geld hatten wir nicht, aber erstaunlicherweise kam immer von irgendwo wieder ein Ball her.

      Rotzinger wiederum hatte eine Verbündete, Liebetanz mit Namen. So lieb war sie allerdings nicht, denn sie stand auf dem Balkon und verpetzte unsere Verstecke unter Balkonen oder Kellertreppen. Unsere Strafe war gehässig: Wir verbanden ihre Eingangstür mit einem Seil mit der gegenüberliegenden Tür, sodass sie ihre nicht aufmachen konnte. Wir klingelten heftig, wütend zog sie an der Tür, einer schnitt rasch das Seil durch, und Liebetanz, mehr fliegend als tanzend, flog in ihre Wohnung zurück. Neugierig auf den Ausgang unseres Plans spickten wir um die Ecke. Wie ein Käfer lag der dicke Körper auf dem Rücken. Aus der fetten Kehle drangen fürchterlich fluchende Töne. Aber sie lernte nichts und verpetzte uns weiter.

      Das Fußballspielen ging über Jahre, der eine oder andere zog weg, neue Buben kamen hinzu. Als wir etwa fünfzehn Jahre alt waren, gab es andere Spiele – diejenigen mit Mädchen, nicht mehr offen auf dem großen Hinterhof, sondern eher in „Partyräumen“, wie die umgebauten Keller damals genannt wurden. Oder, sobald das zweisitzige Moped vor der Tür stand, an anderen Orten als im Viertel.

      Sprecher des Schützenvereins, der Polizei und des Tischtennis-Clubs brachten ihre Erschütterung über den frühen Tod von Horst zum Ausdruck. Verdienste wurden aufgezählt, so manche Episode in Erinnerung gebracht. Die Arbeit bei der Polizei war sein Leben, er hatte aber viele Interessen. Horst diente als Einsatzleiter, auch bei großen Fußballspielen des SC Freiburg. Die Fans hatte er unter Kontrolle, nicht mit Gewalt und Drohung, sondern mit Überzeugungsarbeit. Horst war akzeptiert und beliebt. Seine Methoden waren schlau, stets effektiv. Immer wieder kam in den Trauerreden der Fußball ins Spiel. Kommissar Horst hatte auch manchen von uns aus unangenehmen Situationen geholfen.

      Das Gesagte war ernst gemeint und wurde unter Tränen ausgesprochen. Der Pfarrer konzentrierte sich auf das religiös Zeremonielle, die Gemeinde war in Trauer vereint. Angeschoben von sechs Schützen des Schießsportvereins, alle waren nicht mehr die Jüngsten, gelangte der Sarg zum Grab. Letzte religiöse Worte, anschließend verschwand er langsam in der Grube. Der Himmel ließ Schneeflocken zum Abschied tanzen, ein kalter Wind die Trauernden frösteln. Weihwasser und Erde fielen auf den Sarg, und die Gemeinde löste sich langsam auf. Horst war zu früh gegangen, der Krebs hatte schnell zugeschlagen. Eine Heilung schien in Aussicht, doch es gab Komplikationen, er schaffte es nicht. Keine zwei Jahre in Pension waren Horst vergönnt gewesen. Er hatte sein Haus modernisiert, der Umbau war beinahe beendet. Auch die Heizung hatte er für die nächsten Jahre mit seiner Frau Elisabeth erneuert. Der Wald hatte genug Holz, gefroren hätte niemand, aber es fehlte Horsts menschliche Wärme.

      Es wurde inzwischen Winter und es gab bei uns im Flachland ein wenig Schnee. Die weiße Pracht war selten geworden. Wir Kinder konnten uns damals noch oft daran erfreuen.

      Winterkind

      Mutter war kein Freund der Winterzeit. Sie liebte den Sommer, das Meer, den Strand, die Blumen. Die meisten Fotoaufnahmen mit ihr und ihren Freundinnen sind an den Stränden der Ostsee entstanden: Badefreuden der jungen Damen, sich sonnen in den Dünen. Wenn sie vom Winter in der Heimat sprach, kamen in ihren Erinnerungen nur Kälte, Schnee und Matsch vor. Die Sommer dagegen waren erfüllt von Wärme, sonnigen Stunden am Strand und Wanderungen entlang der Oder. Der Krieg hatte sie zuerst nach Dänemark und dann in den äußersten Südwesten Deutschlands vertrieben. Dass sie in die Berge ziehen und mit Erich zusammenleben würde, hatte sie nicht geplant. Aber von systematischer Planung direkt nach dem Krieg konnten die wenigsten sprechen. Sie hatte im April 1951 den Soldaten Erich Trostmann eher aus Panik als aus Liebe oder Überlegung geheiratet und war mit ihm in den tiefsten Schwarzwald nach Todtnauberg gezogen. Viel Auswahl an Männern gab es damals nicht. Er hatte sich in Russland einmal Skier angeschnallt. Nun wollte er das Skifahren auch hier im Schwarzwald ausprobieren und fuhr todesmutig die Hänge hinunter. Da er sich keine Knochen brach, musste seine Frau ihm folgen. Sie fiel alle paar Meter hin; sie hasste das Skifahren und den Winter. Der Winter kann im Schwarzwald lange dauern.

      Es kam die Hochzeitsnacht, und sie wollte schwanger werden. In ihrer ersten Ehe hatte das nicht geklappt. Jetzt mit 38 Jahren war die letzte Gelegenheit gekommen. Schon wieder so etwas wie Panik. Und so wuchs ihr Bauch, und mein Vater ließ sie arbeiten. Schwere Eimer mit Wasser tragen? Er war der Herr im Hause und tat so etwas nicht, nie. Zu allem Überfluss kam Uwe dann mitten im Winter zur Welt, im Januar 1952. Es lagen zweieinhalb Meter Schnee, der Bus zum im Tal gelegenen Krankenhaus fuhr nicht, ein Nachbar musste aushelfen. Die Erholungsphase nach der Geburt dauerte lange. Für Mutter war es ein Lichtblick, als die Familie schon ein Jahr später nach Freiburg ziehen konnte.

      Ich aber war ein Winterkind und liebte den Schnee. Erst fuhr ich Schlitten, so oft es nur ging, und später Ski. Als wir etwas älter waren, setzten wir uns in die Straßenbahn und fuhren im Winter zum Schlittenfahren nach Günterstal, einen Stadtteil am Rande des Schwarzwalds. Mit acht Jahren bekam ich die ersten Skier. Vater meinte, dass ich jetzt Skifahren lernen sollte. Als Soldat war er schon im Krieg mit Skiern unterwegs gewesen. Jetzt versuchte er sich als Skilehrer, hatte aber, wie üblich, keine Geduld und scheiterte. Ich lernte das Skifahren unter seiner Anleitung nicht. Er war zu ungeduldig und hatte auch kein Talent, etwas richtig vorzuführen. Er gab die Sache glücklicherweise auf und mottete seine Skier für immer ein. Ich lernte das Skifahren viel besser ohne ihn. Mit Pit und dessen Bruder Michael ging es mit der Schauinslandbahn auf den Berg. Wir hatten unser Taschengeld dafür zusammengekratzt. Geld für den Skilift hatten wir nicht und mussten deshalb den Skihügel auf dem Schauinsland immer wieder hochlaufen. Meine Skikleidung aus Wollsachen war bald durch und durch nass: innen vom Schwitzen und außen vom ständigen Hinfallen in den Schnee. Es hat mich wenig gestört. Erst wenn ich müde wurde, spürte ich die Kälte. Ab und zu leisteten wir uns auch den Lift. Unser Vesperbrot hatten wir dabei, wir verzehrten es auf der Piste. Abends fuhren wir todmüde die Horbener Hänge hinunter zurück nach Günterstal. Die Straßenbahn brachte uns wieder nach Hause. Im Winter gab es damals noch viel Schnee, und stetes Üben mit den Skiern machte den Meister.

      Von da an war ich im Winter ständig mit Freunden unterwegs. Wir hatten uns die Schwünge erst auf kleinen Hügeln, anschließend auf Abhängen und später in den Bergen selber beigebracht. Die Ferien erlebten wir in Jugendherbergen im Schwarzwald. Wir lernten Jugendliche aus anderen Teilen Deutschlands kennen und näherten uns auch mal den Mädchen. Der Führerschein und ein von Pits Vater geliehenes Auto erleichterte uns die Anfahrt. Doch auch mit meinem 2CV ging es zum Skifahren. Wurde es zu kalt, so musste man kurbeln, um den Startvorgang zu unterstützen. An einem eiskalten 31. Dezember, spät nachmittags, verweigerte der Motor meines 2CVs den Dienst. Auch energisches Kurbeln nützte nichts mehr. Der Motor sprang nicht an. Pits Vater kam uns zur Hilfe. Er fuhr auf den Schauinsland, schleppte uns bis zum Pass ab, und von dort rollten

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