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Ging es ihm wirklich um meine Gesundheit oder wollte er nur den Gegenwert für die Beiträge der Krankenversicherung haben?

      Immer wieder rannte ich an Mutters Seite die lange Eschholzstraße entlang bis zu den Universitätskliniken. Ich hatte keine Ahnung, warum Mutter oft zu spät aufgebrochen war. Das Ende vom Lied war, dass wir hechelnd bei der Patientenaufnahme anstanden. Was nun kam, war auch immer wieder dasselbe: Wir warteten stundenlang, bis wir an die Reihe kamen. Mit fortschreitender Stunde wurde Mutter nervöser, denn um Punkt 12 Uhr hatte das Mittagessen auf dem Tisch zu stehen. Deshalb sollten wir um 11 Uhr wieder zu Hause sein. Selten gelang das. Wir kamen dort an, und Vater war schon wieder auf dem Weg zur Arbeit. Ich kann mir vorstellen, dass er statt Essen nun Wut im Bauch hatte und sein Fahrrad damit malträtierte. Er konnte nicht kochen und hat sich auch bis ins hohe Alter geweigert, es zu lernen. Das war die Sache der Frau.

      In späteren Jahren, ohne Garten und Auto, beschloss Vater, selbst einen Teil seiner Zeit beim Arzt zu verbringen. Er war ein nahezu perfekter Hypochonder. Glücklich kam er mit einer Tüte voller Medikamente, der Beute seines Ausflugs, durch die Eingangstür. Der Beitrag für die Krankenkasse war in diesem Monat wieder erfolgreich in Form von Medikamenten herausgeholt worden. Das Bemerkenswerte dabei war, dass er die meisten Pillen davon auch schluckte. In seiner besten Zeit waren das bis zu acht verschiedene Tabletten, Kapseln, Tropfen oder Pülverchen, täglich. Und das dreimal am Tag. Die Leber wurde trotzdem 95 Jahre alt. Ernsthafte Krankheiten hatte er nie. Die Reste der Medikamente sammelte er in einem Koffer unter seinem Bett, später wurden daraus zwei Koffer. Ich fand sie, als meine Eltern ins Pflegeheim umzogen. Ich wusste inzwischen, dass sich Hunderte von Pillen darin befanden. Vater nahm mir die Koffer sofort aus der Hand, „die nehme ich selber“, und transportierte sie eigenhändig ins Pflegeheim, wo sie wieder unter dem Bett verschwanden. Wegen seiner Rückenschmerzen befanden sich auch einige starke Schmerzmedikamente darunter. Gerne nahm er ein paar mehr davon, bis er antriebslos auf dem Sofa lag. Die Pfleger brauchten einige Wochen, bis sie die Ursache in Form der versteckten Koffer fanden. Vater war inzwischen hochgradig tablettenabhängig. Erst mit Gewalt, schließlich mit der Drohung, die Polizei zu rufen, verteidigte er bis zuletzt seinen Pillenschatz. Erst die Ankündigung der Heimleitung, ihn sofort auf die Straße zu setzen, wirkte. Danach durfte sein Hausarzt, der ihm noch nie einen Wunsch abgeschlagen hatte, ihn nicht mehr betreuen und wurde durch einen anderen Arzt ersetzt. Wie zu erwarten, weigerte sich Vater standhaft wie ein Soldat, diesen Arzt zu akzeptieren. Es nützte ihm nichts.

      Treffpunkt Sandkasten

      An Geld mangelte es in unserer und in den Familien der meisten meiner Freunde. Spielsachen waren einfach, meistens aus Holz oder Metall, und nicht im Überfluss vorhanden. Plastik gab es erst viele Jahre später. Ich hatte einen kleinen Teddybären und sonst keine Kuscheltiere. Mein Teddy bekam von meiner Großmutter eine selbst gestrickte Jacke. Als die ein Loch hatte, versuchte ich mich in der Kunst des Stopfens. Am Ende hatte ich einen Faden um das Loch herum gefädelt und daran gezogen. Zu war das Loch. Meine Mutter fand das lustig, ließ mich aber machen. Dieses Erlebnis war so nachhaltig für mich, dass ich mich bis heute nicht mehr an die Kunst des Nähens und Stopfens gewagt habe.

      In unserem Hof oder auf der Straße durfte jeder alles benutzen. Ich nehme deinen Tretroller, du bekommst mein Rad. Wir sahen das unkompliziert. Selbst mein Vater hatte da keine Einwände.

      Der erste mir bekannte Treffpunkt mit anderen Kindern war der Sandkasten des Viertels. Eine Fotografie brachte meine Erinnerung zurück zu der folgenden Begebenheit: Eine Gruppe von etwa fünfzehn Jungen und Mädchen traf sich regelmäßig am Sandkasten zum Spielen. Die meisten waren etwas älter als ich, einige auch jünger, und ich hielt mich erst einmal zurück. Irgendwann musste ein Junge auf die Idee gekommen sein, eine Stadt aus Sand zu bauen, die den gesamten Sandkasten ausfüllen sollte. Ich gehe davon aus, dass damals für baulich kreative Angelegenheiten eher ein Junge in Betracht kam. Sitze und Tische für die Puppen, die die Mädchen gebaut hatten, wurden kurzerhand zu burgähnlichen Gebäuden. Dies geschah unter dem Protest der Mädchen, der nicht nur verbal ausgetragen wurde, manchmal gab es handfeste Streitigkeiten. Unsere Stadt wuchs täglich. Meine Beiträge beliefen sich auf das Herstellen von Sandbauten aus Sandeimern und anderem Sandkastenspielzeug. Ich war stolz, dabei sein zu dürfen. Vertieft in das Häuserbauen mit meinen Sandformen war ich mein eigener Bauleiter. Die Größeren unter uns verbanden die einzelnen Bauwerke miteinander, sodass das Ganze am Ende tatsächlich wie eine Stadt aussah. Irgendein Erwachsener verewigte unsere Stadt auf einem Foto. Unser Treiben zog einige Väter an, die sich nicht zurückhalten konnten und verbale Empfehlungen für die Stadtentwicklung gaben. Andere mischten sich handfest in die Bauarbeiten ein – aus heutiger Sicht kein gutes pädagogisches Handeln. Interessanterweise mischen sich auch heute noch Eltern beim Sandburgenbauen an den Urlaubsstränden ein. Die Kleinen dürfen zwar staunen, aber selten mitbauen. Nun, unser Bauwerk ging bald den Gang eines jeden Sandbauwerkes. Stetes Umbauen wurde zu langweilig. Einige von uns hatten die Idee, noch Wassergräben zu bauen, und schütteten eimerweise Wasser in den Sandkasten. Anfangs war das eine Bereicherung, aber schnell waren die Bauwerke zerstört. Das Ganze zerfiel in eine Matschgrube. Ich glaube, die Sandstadt bestand gerade mal zwei oder drei Tage. Bald war das Interesse der Größeren am Sandkastenspiel vergangen, und sie gingen wieder zum Fußballspielen über. Ich war noch zu klein für diese Sportart. Im Sandkasten blieb ich jetzt erst einmal beinahe allein. Meine Ingenieurskunst beim Sandburgenbauen wurde damals geschult. Später sollte sich diese Erfahrung noch auszahlen. Mit meinen Kindern baute ich umfangreiche Burgprojekte aus Sand an südeuropäischen Stränden.

      Zurück zu früher: Die Mädchen dominierten wieder die Szene mit ihren Bänken und Tischen für die Puppen. Sie formten allerlei Dinge für den Haushalt, was für mich weniger interessant war. Langsam drängten sie mich hinaus. In dieser Zeit entwickelte ich meine Guerillataktik: Wenn die Mädchen nicht hinsahen oder abwesend waren, attackierte ich ihre Bauwerke. Christiane, Bärbel und Heidi rächten sich, indem sie sich ebenso heimtückisch auf mich stürzten und verprügelten. Damit hatte ich zumindest eine Verhaltensweise gelernt: wenn eine Attacke, dann heimlich. Vor allem dem weiblichen Geschlecht gegenüber.

      Meine große Stunde im Viertel kam erst Jahre später. Fußballspielen im Hinterhof war der Zeitvertreib, bei dem die meisten Buben zusammenkamen, bis andere Dinge interessanter wurden. Körperlich etwas gerundet, aber dennoch beweglich, wurde ich der Abwehrspieler auf unserem Rasen, an dem man nicht so leicht vorbeikam. Sicherlich auch wegen meiner Fülle und meines Gewichts. Ich blieb stehen, wenn mich ein Gegenspieler anrempelte.

      Fußball im Hinterhof

      Es ist nun mehr als zwei Jahre her, dass Horst zur Behandlung ins Krankenhaus musste. Ein Speiseröhrenkrebs hatte sich bei ihm gebildet. Horst war einer der wenigen Klassenkameraden, mit denen ich in den zehn Jahren zuvor noch regelmäßig Kontakt hatte. Wir wollten ein Klassentreffen organisieren, nun besuchte ich ihn in der Klinik. Drei Monate dauerte die Behandlung. Bei jedem Besuch redeten wir über unsere Jugendzeit, unsere Streiche, unsere Schulzeit. Und wir machten Pläne für das nächste Treffen. Wir hatten Hoffnung, dann kam das schnelle Ende. Er war der Erste aus unserer Klasse, der verstarb.

      Es war ein kalter Februartag. Mehrere Hundert Trauernde hatten sich in der Klosterkirche von Oberried eingefunden. Der eintönige Singsang der Rosenkranzbetenden erfüllte die Kirche, eine endlose halbe Stunde lang, bevor der Pfarrer den Trauergottesdienst eröffnete. Horst war unser Fußball-Anführer gewesen. Obwohl er zu den Älteren gehörte, war er einer der Kleinsten unter uns, aber sehr aufgeweckt und körperlich beweglich.

      Horst und sein kleiner Bruder Rudi waren die Experten, später spielten sie in einem Fußballverein, Rudi legte eine kleine Karriere als Fußballer hin. Sie setzten die Regeln, wir hatten nichts dagegenzusetzen, denn wir waren keine anerkannten Experten. Wir merkten aber, wenn sie die Regeln zu ihren Gunsten auslegten. Dann stritten wir uns, aber wir prügelten uns nie. Mädchen mit fußballerischen Ambitionen gab es offenbar noch nicht. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass ein Mädchen gewagt hätte, mit uns zu spielen oder auch nur zu fragen. Die Zeit war noch nicht reif dafür. Mädchen hatten nach unserem Verständnis nicht Fußball zu spielen.

      Wir hatten einen tollen Rasenplatz in unserem großen Innenhof, und die Teppichstangen eigneten sich hervorragend als Tore. Teppiche wurden morgens geklopft, wenn wir in der Schule waren. Nachmittags waren

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