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      Wir waren in den Anfangsjahren so gerne gemeinsam unterwegs. Ich liebte es, Hotelschnäppchen zu buchen, und Eberhard liebte es, entfernte neue Gegenden zu erkunden. Und jährlich kamen neue Reisen dazu. Die Erinnerungen daran laufen ab wie ein Film. Ich tauche noch einmal ein in die zärtlichen Zeiten voller Neugierde, Spaß und Gemeinsamkeiten, Stadtbummel, Entdeckungstouren, Erotik, Strände und Meer. Da klopft es plötzlich an der Zimmertür. „Kann ich dir helfen?“, fragt Eberhard leichthin. Und plötzlich sehe ich rot. Das Blut rauscht in meinen Ohren, ich ringe nach Atem, fühle den grenzenlosen Hass in meinen Eingeweiden, schmecke ihn förmlich auf der Zunge. Und in diesem Moment will ich ihn vernichten, so wie er mich vernichtet hat. „Wie kannst du da so seelenruhig herumstehen und mich so etwas fragen? Geht’s dir nicht schnell genug? Es ist widerwärtig, wie du mit mir umspringst, einfach widerwärtig!“ Ich bemerke es selbst: Ich kann nur noch hysterisch keifen, es ist so peinlich, so unwürdig. Dann verliere ich völlig die Fassung, schreie ihn an, beschimpfe ihn auf niedrigstem Niveau, kann nichts mehr erkennen außer hellen, flirrenden Schemen. Ein Atlas fliegt in seine Richtung. Einen Moment lang ist er fassungslos, bekommt es scheinbar mit der Angst zu tun angesichts der großen emotionalen Attacke auf seine Gelassenheit. Doch dann fängt er sich rasch wieder, lächelt kalt und beherrscht, nimmt sein Handy aus der Hosentasche, aktiviert die Kamera und hält sie in meine Richtung.

      „Soll ich für die Internetwelt einmal festhalten, wie sich die Dame Geschäftsführerin hier so aufführt? Bestimmt ist das interessant für deine Kunden, wenn ich das hier ins Netz stelle!“

      Seine Ironie und seine Boshaftigkeit lassen mich alles um mich herum vergessen. Ich stürze mich auf ihn, will ihn schlagen, ihn verletzen, ihn töten, ihn nicht länger erdulden müssen … Der ganze Schmerz der vergangenen Wochen bricht aus mir heraus. Ich möchte diesen Mann, dieses Ungeheuer verwunden, will, dass auch er diesen Schmerz fühlt, dass er leidet, wie auch ich gelitten habe in all den zurückliegenden Wochen.

      Für einen kurzen Augenblick sieht es so aus, als würde die Situation eskalieren, mit ungewissem Ausgang. Aber er bringt sich schnell wieder unter Kontrolle, verhindert so Schlimmeres. Er wehrt meine Schläge ab, hält meine Hände fest, stößt mich weg. Er schüttelt fassungslos und angewidert den Kopf, läuft die Treppe herunter, wirft im Verlassen des Hauses seine Jacke über und ist, wieder einmal, verschwunden.

      Er sieht nicht, wie ich niedersinke, beachtet nicht, wie er mich ein weiteres Mal völlig hilflos und weinend zurücklässt. Irgendwann rappele ich mich auf, packe apathisch und müde weiter, bis es dunkel wird.

      ***

      Eine Woche später ist es endlich soweit. Die Möbelpacker klingeln ganz früh an diesem Morgen. Während der vergangenen Nacht habe ich kein Auge zugemacht, öffne ihnen erschöpft und mit schmerzendem Magen die Tür. Es dauert kaum länger als eine Stunde, bis alles im Möbelwagen verstaut ist.

      Nun lasse ich mein altes Leben also endgültig hinter mir. Ich fliehe aus meiner gewohnten und vertrauten Umgebung, verliere für immer mein Zuhause. Tatsächlich auf den Tag genau vor fünf Jahren sind Eberhard und ich hier gemeinsam eingezogen. Das, was bis zu diesem letzten Moment noch mein Nest war, mein Heim, auf das ich so stolz war, ist von nun an Vergangenheit. Ich ziehe weiter, breche auf in eine ungewisse Zukunft. Es tut so weh – und trotzdem kann ich es kaum erwarten, die Tür hinter mir zu schließen. Es ist keine Kraft mehr da.

      Einige Tage später werde ich noch einmal zurückkehren in dieses Haus, ich werde die letzten Kleinigkeiten mitnehmen und – ganz die gute Hausfrau – alles noch ein letztes Mal durchwischen, meinen Hausschlüssel an Eberhard übergeben. Wir gehen an diesem Tag tatsächlich friedlich auseinander. Ich bin entsetzt über die Leere des Hauses. Es wirkt riesig und irgendwie unheimlich. Offenbar ist es genau so traurig, wie ich es bin. Es wird viele, viele Monate dauern, ehe Eberhard frei sein wird, ehe das Haus verkauft ist. Ich gönne ihm diese Erfahrung der Leere und des Unbehagens. Ich gönne ihm jede einsame Minute, die er dort verbringen muss. Ich gönne ihm dies aus tiefstem Herzen.

      Der Möbelwagen fährt voraus und ich mache mich auch auf den Weg. Meine Hände umschließen das Lenkrad so kräftig, als hätte ich Eberhard im Würgegriff. Mein Schal wird feucht von all meinen Tränen, die herunterfallen. Aus den Augenwinkeln nehme ich noch einmal den nahegelegenen Wald wahr. Wie oft sind wir hier spazieren gegangen! Hunderte von Spaziergängen in all den Jahren, die Hunde immer an unserer Seite. Ich suche auf dem Beifahrersitz nach einer Flasche Wasser, esse und trinke dieser Tage viel zu wenig, habe bereits mehrere Kilos verloren. Im Fußraum meines Autos entdecke ich den Prospekt eines Kaufhauses, das Kaffeevollautomaten anbietet. Er sollte eine Espressomaschine von mir zu Weihnachten bekommen, Heiligabend wollte ich ihn damit überraschen. Jetzt bin ich froh, dass ich dafür kein Geld mehr ausgegeben habe. Für einen sehr kurzen Moment reißt der Tränenfluss ab.

      Es ist ein diesiger Wintertag, der letzte Tag im Januar. Es will gar nicht so richtig hell werden heute, bereits der Vormittag sieht aus, als würde es schon wieder dämmrig werden. Die Wiesen und Felder ringsum zeichnen sich vor dem grauen Himmel ab. Die Stimmung draußen passt perfekt zu mir und zu diesem Tag. Ich frage mich, wie Eberhard das leere Haus nach seiner Rückkehr heute Abend wohl empfindet. Kommt er alleine zurück? Friert er so wie ich? Bereut er gar? Fürchtet er sich vor der Leere? Nie wieder wird er meine Schritte hören oder Ovambos Bellen. Macht ihm das alles wirklich gar nichts aus? Ich habe keine Ahnung, wie es ihm geht und wie es in ihm aussieht. Aber irgendwie ahne ich es doch – und das Herz wird mir sehr schwer.

      Ich schalte das Radio ein. „Geboren um zu leben“ von Unheilig, wieder einmal, wie so oft in dieser Zeit – und so passend. Und wieder fließen die Tränen …

      4 Weggeschlossen

      Eine Weile und ungefähr einhundert gefahrene Kilometer in Richtung Münsterland später, biege ich in die kleine Einbahnstraße ein, an deren Ende mein zukünftiges

      Zuhause auf mich wartet. Das Wort ‚Zuhause‘ klingt zwar noch wie Hohn für mich, aber immerhin ist es meine neue Bleibe, und eine durchaus akzeptable dazu. Mein Vater wartet bereits ungeduldig vor dem Eingang, neben ihm mein guter Freund Chris. Chris und ich kennen uns schon seit unserer Schulzeit. Wir sind, abgesehen von ein paar Jahren, in denen sich unsere Wege trennten, eng miteinander befreundet. Ohne ihn und seinen geduldigen freundschaftlichen Notdienst hätte ich die vergangenen Wochen vermutlich nicht überstanden. Er und mein Vater, beide sind hier, um mir heute zur Seite zu stehen, mir bei den wichtigsten Dingen an meinem Umzugstag zu helfen. Waschmaschine anschließen, Lampen aufhängen, Löcher bohren – und mir damit das Einziehen ins Neue und Unbekannte zu erleichtern.

      Rasch wird mir klar, dass ich künftig wohl besser einen Schnellkurs in ‚Heimwerkern für Single-Frauen‘ absolvieren sollte, denn die Zeiten von „Schatz, kannst du mal eben

      …“ und „würdest mal hier schnell …“ sind wohl für immer vorbei. Heimwerkern ist wirklich so gar nicht mein Ding.

      Die Möbelpacker sind fast fertig, es geht alles sehr schnell, viel zu schnell. Es war ja auch nicht mehr viel für den Transport vorhanden. „Wo sollen wir denn die Kommode aufstellen?“ Ich zucke zusammen, als der Arbeiter in Latzhosen mich anspricht. Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Im eiskalten Dezember habe ich aufgehört zu sein, wie kann es mich da interessieren, ob ein Möbelstück nun hier oder dort stehen soll? Ovambos unruhiges Jaulen holt mich zurück ins Hier und Jetzt. Ein Möbelpacker hat versehentlich eine Schüssel zerdeppert und mein Kleiner versteckt sich vor Schreck hinter der provisorisch aufgestellten Couch. Natürlich versteht er nicht, wo er hier ist und was das hier alles soll. Er hasst Veränderungen und wirkt krank und verängstigt. Sein Anblick bricht mir das Herz.

      Ich nehme mir eine kleine Auszeit vom Trubel, gehe ins Bad, setze mich auf den Wannenrand. Es riecht hier so fremd, fast ein wenig muffig. Alles Männliche fehlt in diesem Raum. Da ist kein Rasierer mehr, kein Aftershave, keine zweite Zahnbürste auf dem Bord. Wirklich allein …

      „Wo soll diese Lampe angebracht werden, Wohnzimmer oder Schlafzimmer?“, fragt mich mein Vater durch die geschlossene Badezimmertür. Auch das interessiert mich jetzt nicht. Aber ich öffne die Tür, gehe zurück in den Wohnbereich, deute stumm auf die Decke. Und ich weiß ja genau, wie wenig Lust

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