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wenn auch nur für Stunden entfliehen.

      Der Maler kann schon in die neuen Räume, der Teppichboden wird verlegt. Er ist hell und weich, aber nicht teuer – immer das schmelzende Budget im Blick. Aber ein Teppich muss sein, auch wenn mir jeder zu Laminat rät. Ich denke dabei an Ovambo, er liebt Teppiche. Und ich will, dass er es schön bequem hat in unserem neuen Heim. Und dann ist mir vor allem wichtig, dass hier alles vollkommen anders aussieht als in meiner alten Umgebung, unserem gemeinsamen Haus. Eberhard mochte keine Teppiche – für mich nun Grund genug, die Wohnung damit komplett auszulegen.

      Seit Eberhard und ich das gemeinsame Haus vor fünf Jahren gekauft hatten, haben wir es ständig umgebaut: neue Außenanlagen angelegt, die Zimmer verändert, ein neues, edles Bad hier, ein neues, größeres Schlafzimmer dort, ein neues, stylisches Wohnzimmer. Jeden verdienten Cent haben wir in Baumärkte getragen, in Baustoffhandel und Einrichtungshäuser. Nun wären wir tatsächlich nahezu fertig mit dem ganzen Umbau gewesen, endlich nach so vielen Jahren. Wohl eine Ironie des Schicksals: Nur noch eine neue Flurtreppe hatte gefehlt – schickes Edelstahl mit integrierten Lämpchen am Boden hatten wir bereits ausgesucht –, dann hätten wir alles geschafft – und hätten fortan unser wunderschönes Traumhaus gemeinsam genießen können. Nun werden sich Fremde daran erfreuen. Bitter.

      Heute geht dort eine kühle, offensichtlich überarbeitete Maklerin durch die schönen Räume, taxiert den Wert, formuliert Vor- und Nachteile der Immobilie und hat auch bereits den einen oder anderen potenziellen Interessenten im Kopf. Vielleicht kann sie sogar schon diese Woche einen Besichtigungstermin vereinbaren. Nur zu!

      Ehrlich gesagt muss ich Eberhard sogar dafür bewundern, wie er das aushält und die Hausführungen durchsteht. Auch er hatte dieses Haus doch gewollt und geliebt, es als sein Zuhause empfunden. Hoffentlich geht es ihm richtig schlecht dabei, wenn er Fremde herumführen muss und ihnen unser ehemaliges Eigentum schmackhaft machen darf, denke ich gehässig. Wir haben bislang erst wenig vom Kredit getilgt, das Haus ist noch fast vollständig belastet. Bin mal gespannt, für welche Summe er bereit sein wird, es zu verkaufen. Glücklicherweise müssen wir beide einverstanden sein und dem Verkauf eines Tages gemeinsam zustimmen.

       Viele Monate später wird mir die Maklerin in einem Gespräch berichten, dass mein

       Mann sich während der Besichtigungen und auch während des späteren Verkaufs nicht besonders gut gehalten hat. „Ihr Mann wirkte, als stünde er total neben sich. Er sah katastrophal aus und redete oft vollständig unsinniges Zeug, sodass ich die Situation öfter mal retten musste. Sonst wären die Interessenten wohl kaum ein zweites Mal wiedergekommen und es wäre unter Umständen erst gar nicht zu einem

       Verkaufsabschluss gekommen. Bei dem Notartermin mit den Käufern hat er sich fast um Kopf und Kragen geredet“, plauderte sie weiter.

      Ich gebe zu, ich höre diese Worte gerne, wirklich gerne. Ja, es freut mich, und wie! Ganz offensichtlich ist auch er mit der Situation überfordert und es tut gut zu wissen, dass ich ihn durch meinen überraschenden vorzeitigen Auszug zumindest in diese unangenehme Situation bringen kann. Wie liebend gern, davon bin ich fest überzeugt, hätte er mir feige das Feld überlassen, wenn wir gemeinsam als ‚WG‘ den Hausverkauf abgewartet hätten!

      Ich erinnere mich wieder an die Zeit, als wir vor fünf Jahren, so glücklich verliebt, begannen, Häuser zu besichtigen und uns vorstellten, darin zu leben. Immer waren wir uns einig gewesen, hatten immer denselben Geschmack. Wir wussten genau, was infrage kam und was nicht. Es waren schöne Wochen und wir hatten viel Spaß dabei. Es dauerte damals nicht lang, bis wir ‚unser‘ Haus tatsächlich gefunden hatten. Und natürlich hatten wir während dieser Zeit auch Objekte besichtigt, die kurzfristig frei geworden waren, weil sich ihre Besitzer getrennt hatten. ‚Scheidungshäuser‘ nannten wir solche Häuser damals. Und die Stimmung, sofern bei der Besichtigung beide Besitzer im Haus anwesend waren, war meist bedrückend. Schrecklich! Und es gab auch einige wirklich taktlose und blamable Szenen, deren Peinlichkeit die Verkäufer selbst aber offenbar überhaupt nicht bemerkten. Oder vielleicht war es ihnen ja auch einfach inzwischen egal, wenn sie unpassende Kommentare über einander abgaben, sich gegenseitig anblafften und sich wie Kinder vor den Augen Dritter stritten und blamierten. Wir ignorierten ein solches Verhalten damals gekonnt, lachten aber natürlich im Nachhinein schadenfroh darüber. Hochmut kommt ja bekanntlich vor dem Fall.

      Nun befinde ich mich auf einmal in der gleichen Situation und mache selbst ebenfalls gar keine gute Figur dabei. Ich habe das Gefühl, wahnsinnig zu werden, kann die Situation kaum aushalten und will nur weg von hier, ehe ich mich vergesse. Ich habe mich überhaupt nicht im Griff, ganz genauso wie diese Besitzer der ‚Scheidungshäuser‘ damals, die ihre Emotionen auch nicht zügeln konnten. Ich bin dermaßen verwundet und voller Trauer, dass ich Eberhard in Gegenwart der Maklerin auf übelste Weise beschimpfe und beleidige. Ich finde gar kein Ende, versprühe Gift und Galle, könnte vor Hass und Verzweiflung über diese Situation platzen.

      „Frau Ilkner, ich schlage vor, ich absolviere mit Ihrem Mann die Besichtigungen vielleicht besser alleine. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber es macht einfach keinen guten Eindruck und verschreckt vielleicht sogar den ein oder anderen Interessenten, wenn hier dermaßen gestritten wird“, belehrt und kritisiert mich die Maklerin – und führt mir dabei zugleich drastisch mein Verhalten vor Augen. Denn natürlich hat sie recht. Aber sie ist ja auch nicht in meiner Situation, sie kennt unsere Geschichte ja gar nicht. Und ich möchte mir nicht vorstellen, was Eberhard ihr dazu erzählt, sobald ich gegangen bin. Nachdem ich ihr auch noch die eine oder andere Frechheit entgegnet habe, verlasse ich jedoch endlich fluchtartig das Haus.

      ***

      Unsere Bücher, CDs, Spiele und Eberhards umfangreiche Schallplattensammlung haben wir während der Umgestaltung des Wohnzimmers in einem freien Zimmer untergebracht, alles wartete zwischengelagert darauf, in einigen Wochen in schickes neues Mobiliar wieder ausgepackt und einsortiert zu werden. Vor einigen Wochen konnte ich ja noch nicht wissen, dass es besser gewesen wäre, bereits alles in ‚Er‘- und ‚Sie‘-Stapel aufzuteilen. Nun muss ich also unsere Habe auseinanderdividieren, in seine Sachen und meine Sachen. Stunde um Stunde bringe ich damit zu. Ich sortiere seine Reiseliteratur und meine Musik, überlege, wem dieser oder jener Bildband gehört. Ist diese CD ein Geschenk von mir? All das ist so anstrengend und so traurig. Wieder rinnen Tränen über meine Wangen, jedes Buch, das ich berühre, spricht Bände von vergangenen Tagen, bringt mich zurück an die Urlaubsorte, an denen ich es gelesen habe.

      Zum bitteren Schluss liegen die Fotoalben vor mir, eines für jede Reise und jedes Jahr unserer gemeinsamen Zeit, alle besonders liebevoll gestaltet, beschriftet und mit kleinen Erinnerungen versehen. Ein ganz besonders schönes ist unser Hochzeitsalbum: unsere Trauung, die Feier und die Hochzeitsreise in Italien. Auf jedem Bild strahlen wir uns an, lachen in die Kamera, sind sicher, dass niemand dieses unglaubliche Glück, das wir uns so hart erkämpft hatten, zerstören kann. Warum auch? Schließlich hatten wir eine rosige Zukunft vor uns. Dass wir ein gutes Team waren, hatten die letzten gemeinsamen Jahre ja bereits bewiesen. Es ging uns gut und wir führten eine gnadenlos harmonische, intensive und liebende Beziehung. Stress war etwas, das lediglich von außen auf uns zukam. Und auch wenn Eberhards Ex-Frauen, seine Kinder und meine familiären Verpflichtungen viel Zeit und Nerven kosteten – wir beide schienen unantastbar.

      Gerade mal ein Jahr zusammen, hatten wir bereits ein gemeinsames Haus in meiner Heimatstadt gekauft. Es gab viele Hürden, schließlich war Eberhard noch verheiratet, seine Frau reagierte ziemlich irrational und legte der Scheidung viele Steine in den Weg. Aber wir meisterten scheinbar alle Hürden, nur um letztendlich hier, inmitten der Scherben unseres früheren Glücks zu stranden.

       In wenigen Wochen wird eben dieses wunderschöne Hochzeitsalbum in den Kaminflammen im Wohnzimmer meines guten Freundes aufgehen. Ich weiß genau, Zeugnisse dieser für mich vergangenen Zeit kann ich nicht mehr ertragen und werde auch nie wieder die Kraft aufbringen, diese Fotos anzuschauen. So what!

      Während ich so auf dem Teppich sitze, inmitten dieser Erinnerungen, sehne ich mich zurück an all die Orte, die wir als Paar bereist haben, erinnere mich an Italien, an die raue Nord- oder Ostsee, so viele Orte und Länder, die wir in den gemeinsamen Jahren gesehen haben: Dänemark, Schweden,

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